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Künstliche Intelligenz in der Vermögensverwaltung: Die Zukunft der Aktienauswahl

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14 min
Aktienauswahl mit KI

©Elke Mayr
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Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert zahlreiche Branchen - auch jene der Vermögensverwaltung. Der Einsatz von KI in der Aktienauswahl markiert einen signifikanten Wandel in der Art und Weise, wie Anlageentscheidungen getroffen werden.

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Einführung in die KI-gestützte Vermögensverwaltung

ChatGPT elektrisiert seit der Einführung im November 2022 die Welt. Künstliche Intelligenz (KI) ersetzt zunehmend Menschen in der Arbeitswelt. KI produziert nicht nur Musik, schreibt Artikel, führt Kriege, fährt durch die Stadt, sondern verwaltet auch Aktiendepots.

Während sich die generative KI auf Erkenntnisse auf Basis von Trainingsdaten konzentriert, versucht die im quantitativen Handel eingesetzte KI, Vorhersagen darüber zu treffen, wohin sich ein bestimmter Aktien- oder Anleihekurs entwickeln wird.

All diese Tools werden unisono darauf trainiert, Muster in großen Datenmengen zu finden. Traditionelle Quant-Modelle basieren auf linearen Beziehungen, wie beispielsweise der Beobachtung, dass Value-Aktien oder unterbewertete Wachstumsaktien mit der Zeit steigen. Aber möglicherweise sind diese Thesen zu einfach, um die Komplexität der Märkte zu erfassen. Neuere Modelle des maschinellen Lernens sind besser darin, eine große Anzahl von Einflussfaktoren zu berücksichtigen und komplizierte Muster zu erkennen, einschließlich der Art und Weise, wie verschiedene Variablen miteinander interagieren.

Einer der ersten, der Verhaltensmuster mit Machine Learning erkannte, war der Mathematiker James Simons. Anstatt Geschäftsberichte zu lesen, mit Vorständen zu sprechen, auf die Intuition zu hören, nutzte er Computer, um seine Investments zu tätigen. Sein quantitativer Hedgefonds Renaissance Technologies erzielte fast 66% Rendite p.a. in 30 Jahren.

Trades: Computer statt fundamentaler Analysen

Heute gehen die meisten Trades an der Börse auf solche quantitativen Rechenmethoden zurück. Fundamentale Analysen, wie sie Value-Investoren wie Warren Buffett, Bill Ackman und David Einhorn machen, sind selten geworden. Übrigens hat es selbst Buffett in den vergangenen 20 Jahren nicht mehr geschafft, den S&P 500 Index zu übertreffen.

Es sind unzählige Fintechs entstanden. Sie nutzen maschinelles Lernen, um herauszufinden, wohin sich die Börsen entwickeln werden. Darunter sind EquiLibre Technologies (Prag), Kavout (Seattle) und Axyon AI (Modena, Italien).

KI-Modelle in der Vermögensverwaltung

Künstliche Intelligenz spielt seit einigen Jahren in der Anlageentscheidung eine größere Rolle. Die Pandemie hat den Wandel beschleunigt. Marktforscher prognostizieren, dass der Markt für KI in der Vermögensverwaltung um durchschnittlich 34% per annum bis 2027 wachsen wird

Dass Vermögensverwalter KI nutzen, macht Sinn, denn sie liefert präzisere Einsichten und Prognosen. Nicht nur kann die Rendite besser werden, auch können Vermögensverwalter ihre Kosten senken. 

Zu den mit am häufigsten genutzten Modellen zählt das Natural Language Processing, kurz NLP. Diese Sprachlernwerkzeuge werten Finanzberichte, Nachrichten, Premium-Nachrichtendienste und transkribierte Managergespräche aus. Machine-Learning-Modelle, zu denen BERT und GPT von Google bzw. OpenAI gehören, lernen von großen Datenbeständen (Big Data), um daraus Prognosen abzuleiten. Mit der Zeit nimmt die Erfahrung zu, ohne dass das System von Menschen lernen muss.

KI kann Vermögensverwalter unterstützen oder gar das Management von Depots übernehmen. Das Beratungshaus EY hat beobachtet, dass KI Vermögensverwaltern hilft, Prozesse zu automatisieren. Die Kundenzufriedenheit nimmt dadurch zu, ebenso die Compliance. Neue Regulierungen können besser verstanden werden. Gerade kleine Vermögensverwalter können dank KI Grafiken erstellen, Zusammenfassungen schreiben und Werbeemails im Handumdrehen versenden und sind damit gegenüber den großen Konkurrenten nicht mehr im Nachteil aufgrund ihrer kleinen Budgets.
Start-ups in der Vermögensverwaltung haben neue Chancen, zumal gerade jüngere Menschen gewohnt sind, Berater:innen nicht persönlich zu treffen, sondern zum Beispiel per Video.

In der Vermögensverwaltung waren Robo-Adviser Teil der digitalen Transformation, sie investieren automatisiert auf Basis der finanziellen Ziele des Kunden. Robo Advisor können durch KI besser werden in der Asset Allokation und beim Rebalancing.

KI in der Aktienauswahl

Mathematisch trainierte Algorithmen gehen enorme Datenmengen durch, um Verhaltensmuster und Trends für Tradingstrategien zu erkennen. Tausende fundamentale und technische sowie stimmungsbasierte Datenpunkte rechnet die AI durch. 

KI prüft die Relevanz von Nachrichten, indem sie Ähnlichkeiten zwischen Geschäftsberichten und Social-Media-Posts sucht. Sie findet so Aktien beziehungsweise Themen, die Anleger begeistern und somit zu Outperformance-Kandidaten werden können. Die Sprachmodelle durchstöbern dabei insbesondere Ergebnisberichte, Anrufprotokolle und wichtige Dokumente, um Handelssignale oder potenzielle Anlagerisiken zu erkennen. 

Ältere Versionen dieser Prozesse beruhen auf dem Erkennen bestimmter Wörter. Die neueste Technologie ist eher in der Lage, Kontexte zu analysieren und sie genauer herzustellen.

Der Algorithmische Handel macht menschliches Eingreifen überflüssig. So lassen sich Marktchancen, die ohne den Einsatz von Algos nicht identifiziert worden wären, realisieren. Algorithmen können marktrelevante Daten umfassender und schneller auswerten als der Mensch. Weitere Vorteile des Algorithmischen Handels sind Kostenersparnisse sowie das Ausschalten von Emotionen und daraus resultierende irrationale Entscheidungen.

Das neue Aufgabenfeld der Vermögensverwalter

Wie arbeiten indes traditionelle Vermögensverwalter? Sie sprechen mit Vorständen, besuchen Konferenzen, verfolgen Nachrichten und Kennziffern sowie lesen Geschäftsberichte. Vermögensverwalter nutzen Researchberichte und Datenbankanbieter wie Bloomberg, Reuters oder S&P Global.

Vorteile und Herausforderungen der KI in der Vermögensverwaltung

  • KI spart Kosten ein.

  • Gute Algorithmen sind treffsicherer als Menschen.

  • KI eignet sich auch für das Risikomanagement, da sie potenzielle Risiken und Anomalien in Echtzeit erkennt.

  • Algorithmen entdecken unregelmäßige Handelsmuster, Marktstörungen und andere Faktoren, die Risiken enthalten - lange, bevor ein Mensch es bemerken würde.

  • KI hilft, Betrug zu erkennen, indem ungewöhnliche Aktivitäten identifiziert werden, die auf verdächtiges Verhalten hinweisen. 

Herausforderungen und Nachteile

Es entsteht ein ethisches Problem, wenn besonders gute KI-Systeme Lücken ausnutzen, die andere Marktteilnehmer nicht sehen und mit der Zeit immer besser darin werden. Ferner besteht das Risiko, pro-zyklisch und systematisch in eine Richtung zu handeln. 

  • KI-Modellprozesse sind nicht erklärbar; es lässt sich nicht nachzuvollziehen, wie das Modell Ergebnisse generiert.

  • Die Ergebnisse können gegen Vorgaben der Finanzaufsicht und interne Governance verstoßen.

  • Daneben kann KI zu neuen Risiken an den Finanzmärkten führen, die bisher nicht erkennbar sind. Davor hat die US-Börsenaufsicht SEC im Juli 2023 gewarnt.

Expert:innen empfehlen offen mit der neuen Technologie umzugehen und auf den Einsatz von KI hinzuweisen, vor allem wo sie eingesetzt wird und auf die Sicherheit der Daten zu achten.

 

Fallstudien und praktische Anwendungen

Finanzprofessor Alejandro Lopez-Lira von der University of Florida war von dem Resultat seiner Fallstudie mit GPT überrascht. ChatGPT konnte demnach den Einfluss von Nachrichten auf den Aktienkurs am nächsten Tag treffend prognostizieren. 

Eine akademische Auswertung von Rui Chen und Jinjuan Ren, die AI-fokussierte Investmentfonds 2022 untersucht haben, ergab, dass sie ihre menschlichen Konkurrenten signifikant outperformen, aber hinter den passiven Strategien zurückbleiben. KI schneidet demzufolge im Schnitt um 5,8% im Jahr besser ab gegenüber den von Menschen geführten Fonds. Sie führen dies auf geringere Transaktionskosten, die überlegene Aktienauswahl und reduzierte menschliche Voreingenommenheit zurück. 

Fondsgesellschaften, die KI nutzen

FondsConsult untersuchte, wer in Deutschland KI im Fondsmanagement einsetzt. Bislang sind es vor allem kleinere Fondsgesellschaften, die KI nutzen.

Noch wird KI überwiegend in der Auswertung von Daten und zur Ermittlung von Handelssignalen genutzt. Die Frankfurter Fondsboutique ACATIS nutzt die Vorschläge der KI für die Aktienauswahl bereits zu 100 %. 11 der 14 untersuchten KI-gestützten Fonds haben einen hohen Integrationsgrad von KI im Investmentprozess, resümieren die Analysten. 

KI in ETFs und Fonds

KI-Strategien sind in Aktien- und Mischfonds sowie verschiedenen ETFs im Einsatz. Reine Rentenfonds sind dagegen selten mit KI zu finden.

Das durchschnittliche Volumen der ausgewerteten Fonds liegt deutlich unter 50 Millionen Euro. Der Hype um Fonds, die auf KI-Aktien setzen, welcher zu hohen Mittelzuflüssen geführt hat, zeigt sich bei den KI gesteuerten Fonds bisher nicht, so FondsConsult. Lediglich ACATIS AI Global Equities und Minveo ONE powered by AI konnten ihr Fondsvolumen in den letzten zwölf Monaten mehr als verdoppeln. In der Studie ausgewertete Fonds mit einem hohen Integrationsgrad zeigen in den letzten Jahren tendenziell höhere Renditen. Es lässt sich jedoch kein stichhaltiges Fazit ziehen, weil sowohl die Zahl der untersuchten Fonds als auch der Zeitrahmen (Track Record) zu gering sind.

Kritik und Risiken

Der Wissenschaftler Alejandro Lopez-Lira von der University of Florida warnt vor dem Einfluss auf den Arbeitsmarkt. Es bestehe die Gefahr, dass mit dem Siegeszug von KI Analystenjobs gefährdet seien, hochbezahlte Stellen stünden in der Finanzbranche vor dem Aus. Die Investmentbank Goldman Sachs geht davon aus, dass 35% der Stellen in der Branche durch KI automatisiert werden könnten.

KI kann zu einem Herdenverhalten führen, es kann die Stabilität des Finanzmarkts gefährden. KI-Modelle können womöglich Krisen verschärfen. 

Es gibt Grenzen bei der Auswertung von Daten etwa aus dem Bereich ESG: Aether, eine AI-Plattform für Vermögensverwalter, die 2019 in London begann, beobachtet 25.000 Aktien, Grundlage sind Daten von Bloomberg und FactSet: Aktienkurse, Volatilität, Währungskurse, Rohstoffpreise etc. Aber Chief Technology Officer Nikolas Kaplis gibt zu, dass Daten zum CO2-Ausstoß, Nachhaltigkeit oder der Diversität von Unternehmen an Grenzen stoßen, weil sie unterschiedlich messbar sind.

Tägliche Schwankungen werden von vielen Faktoren bestimmt. Es ist schwierig, in dem Rauschen zuverlässige Signale zu erkennen. Darüber hinaus unterliegen Märkte ständigen Regimewechseln – von Reformen über Wahlen bis hin zu sich ändernden Investitionsströmen. So kann es passieren, dass Aktienmärkte unterschiedlich auf dieselben Signale reagieren. Was also die KI an einem Tag beobachtet, gilt womöglich am nächsten Tag nicht mehr. 

Nicht alle KI-Modelle zahlen sich aus. Der quantitative Hedgefonds von der Voleon Group, der ab 2007 auf maschinelles Lernen gesetzt hat, erlitt Rückschläge. Die Rendite blieb zwischenzeitlich hinter dem S&P 500 zurück. Ein Problem waren die chaotischen Börsen - am besten lernt AI, wenn sich Muster wiederholen. Gefundene Muster können leicht überflüssig werden, wenn Anleger sie bemerken und sie ausnutzen. Von den Algorithmen entdeckte Muster können Zufälle sein und keine tatsächlichen Korrelationen vorhanden sein. Der AI Powered Equity ETF, der vom IBM-Supercomputer Watson gesteuert wird, schneidet seit Auflage schlechter als der Index ab. Es gibt also keine Garantie für eine Outperformance. Im Oktober 2017 startete dieser AIEQ-ETF. Dabei übernimmt der Computer die Arbeit von 1000 Researchanalysten, Trader und Quant-Strategen, die rund um die Uhr arbeiten. 

Fazit

Der Vorteil von KI ist, dass Kosten eingespart werden und diese Einsparungen an die Kund:innen weitergegeben werden können. Damit wird die Vermögensverwaltung effizienter. Es bleiben freilich Risiken und Gefahren. Es werden neue größere Fonds entstehen. KI wird besser und komplexer, aber auch die Börsenmärkte.

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