Aufgriffsrechte geben den Gesellschaftern eines Unternehmens das Recht, in bestimmten Anlassfällen Geschäftsanteile eines anderen Gesellschafters zu übernehmen. Die Rechtsanwälte Michael Hule und Martin Frenzel erläutern die Details zum Aufgriff des Geschäftsanteiles eines insolventen Gesellschafters.
Aufgriffsrechte sind in GmbH-Gesellschaftsverträgen weit verbreitet. Sie räumen den übrigen Gesellschaftern das Recht ein, den Geschäftsanteil eines Mitgesellschafters beim Eintritt handfest umschriebener Umstände einseitig gegen Bezahlung eines Aufgriffspreises an sich zu ziehen. Diese sogenannten Aufgriffsfälle umfassen, je nach Ausgestaltung, verschiedene Umstände aus dem Dunstkreis des verpflichteten Gesellschafters. Der Aufgriffsfall der Insolvenzeröffnung über das Vermögen eines Gesellschafters ist ein „Fixstarter“ in jedem auch noch so kurzen Katalog von Aufgriffsfällen.
Dies hat zwei Gründe: Zum einen befürchten Gesellschafter für die Zeit zwischen dem Insolvenzfall des Gesellschafters und der freihändigen Veräußerung dessen Geschäftsanteiles durch den Insolvenzverwalter eine Lähmung der Gesellschaft. Zum anderen wollen Gesellschafter das Eindringen eines gesellschaftsfremden Dritten in den Gesellschafterkreis, nämlich den wildfremden Erwerber des Geschäftsanteiles, unter allen Umständen verhindern.
Insolvenz und Aufgriffspreis
Gerade im Fall der Insolvenzeröffnung haben Gesellschafter in der Vergangenheit gerne Aufgriffsrechte zu einem Aufgriffspreis vereinbart, der unter dem eigentlich angemessenen Verkehrswert lag. Das ist natürlich nicht unproblematisch, wirken derartige Bestimmungen doch zu Lasten Dritter, nämlich der Gläubiger des Gesellschafters. Eine oberstgerichtliche Leitentscheidung aus 2007 hat solche Ausgestaltungen dann für (noch) zulässig erachtet, wenn der unter dem Verkehrswert liegende Aufgriffspreis auch für weitere, wenn auch nicht zwingend für alle Aufgriffsfälle vereinbart wurde. Dies wurde dann auch zu einer oft anzutreffenden Ausgestaltungspraxis für GmbH-Gesellschaftsverträge.
Mit einer oberstgerichtlichen Entscheidung aus 2016 kam alles anders: Die Rechtsprechung hat einen unter dem Verkehrswert liegenden Aufgriffspreis für den Aufgriffstatbestand „Insolvenz“ als unzulässig angesehen. Und zwar unabhängig davon, welchen Aufgriffspreis der Gesellschaftsvertrag bei anderen Aufgriffsfällen vorsieht. Das OLG Linz ist dann im Sommer 2019 in einer aufsehenerregenden Entscheidung unter umstrittener Berufung auf insolvenzrechtliche Sonderbestimmungen zum Ergebnis gekommen: Eine Immunisierung des Geschäftsanteiles gegenüber dem Zugriff eines Gläubigers gebe es in der Insolvenz eines Gesellschafters (überhaupt) nicht. Überraschung und Verunsicherung waren groß.
OGH-Entscheidung zur Preisfrage
In einer brandaktuellen Entscheidung (6 Ob 64/20k) hat der OGH nun erneut zur grundsätzlichen Zulässigkeit des Aufgriffsrechtes für den Insolvenzfall sowie zum (noch) statthaften Aufgriffspreis Stellung genommen. Danach sind gesellschaftsvertragliche Aufgriffsrechte dem Grunde nach zulässig und wirksam, sie binden auch den Insolvenzverwalter. Wird für diesen Fall ein Aufgriffspreis zum Verkehrswert vorgesehen, sind Gesellschafter jedenfalls auf der sicheren Seite und können das Thema getrost ad acta legen, um sich den eigentlichen Belangen der Wirtschaft und ihrer Gesellschaft zu widmen. Des Weiteren weicht der OGH von seiner Judikatur aus 2016 ab und erachtet einen unter dem Verkehrswert liegenden Aufgriffspreis (mit einer Ausnahme) auch im Aufgriffsfall der Insolvenz dann für zulässig, wenn dieser Aufgriffspreis in jeder Konstellation, also sowohl des freiwilligen als auch des unfreiwilligen Ausscheidens, greift.
Ein unter dem Verkehrswert liegender Aufgriffspreis ist unseres Erachtens freilich in bestimmten Konstellationen auch aus der Perspektive des Gläubigerschutzes angemessen. Zu denken ist an Freiberufler-GmbHs, die „naked in, naked out“ - Konzepte verwirklichen. Junge Berufsberechtigte erwerben dabei den Geschäftsanteil an der Sozietät zur Nominale (was mehr Vermögen für die Gläubiger hinterlässt – naked in) und haben diesen Geschäftsanteil am Ende ihres Berufslebens auch wieder zur Nominale an nachfolgende Berufsberechtigte abzutreten (naked out). Den Gläubigern in derartigen Konstellationen stur den Verkehrswert zukommen lassen zu wollen, hieße diesen ungerechtfertigte Vorteile (windfalls) zu verschaffen. Das kann nicht richtig sein.
Es bleibt zu hoffen, dass mit dieser Entscheidung klargestellt bleibt, dass (i) Aufgriffsrechte für den Insolvenzfall dem Grunde nach gültig vereinbart werden und (ii) Gesellschafter dann, wenn sie diesfalls einen Aufgriff zum Verkehrswert vorsehen, jedenfalls auf die Gültigkeit und Wirksamkeit dieser Bestimmung vertrauen können. Insofern Gesellschafter künftig für den Insolvenzfall ebenso wie für alle anderen Aufgriffsfälle Aufgriffspreise unter dem Verkehrswert vorsehen, werden sie die Rechtsprechung weiterhin kritisch zu verfolgen haben. Auch das Verhältnis des Erwerbes in einem Exekutionsverfahren zur nunmehrigen Möglichkeit eines Aufgriffs unter dem Verkehrswert wird noch zu klären sein. Es bleibt also spannend.
Dr. Michael Hule und Dr. Martin Frenzel, LL.M. (Chicago) sind Rechtsanwälte in Wien und Partner der Hule Bachmayr-Heyda Nordberg Rechtsanwälte GmbH