Die Wirtschaft kommt unter Druck, die Zahl der Insolvenzen steigt. Vor allem Klein- und Mittelbetriebe, die den Großteil der heimischen Wirtschaft stellen, sind betroffen.
©Elke MayrIm Mittelstand ist eine Pleitewelle im Anrollen. Doch die Gründe für das Scheitern sind oft nicht extern, sondern operativ und strategisch zu suchen. Denn es gibt viele Stellschrauben, an denen Firmenchefs drehen können, um nicht in Turbulenzen zu geraten.
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Was mit Träumen beginnt, endet nicht selten bei einer Insolvenzversteigerung: Jeden Tag gibt es in Österreich rund 20 Unternehmenspleiten. In erster Linie betreffen sie den Mittelstand. Denn Großkonzerne können leichter mit herausfordernden Zeiten umgehen. Sie finden bei Kreditgebern leichter ein offenes Ohr, und wenn alle Stricke reißen, gibt es noch das Motto „too big to fail“.
„Energiekrise, Teuerung, steigende Zinsen: Speziell KMU stehen derzeit vor großen Herausforderungen“, warnt Leopold Brunner, Steuerberater und Partner bei TPA: „Vor allem Unternehmen, die bereits vor der Pandemie in einer wirtschaftlichen Schieflage waren, werden es angesichts der genannten Krisen sehr schwer haben, das Jahr unbeschadet zu überstehen.“
Tatsächlich mussten sich bereits im Vorjahr viele Kleinunternehmer nach dem Auslaufen der Schutzschirme in einer von Inflation, Lieferkettenschwierigkeiten sowie explodierenden Lohn- und Transportkosten geprägten Welt beweisen – was nicht allen von ihnen gelang. Zahlen von Eurostat zeigen, dass die Unternehmenspleiten in der EU seit dem Sommer 2022 enorm angestiegen sind, während Neugründungen stagnieren (siehe Grafik).
Diese Verschlechterung betrifft vor allem die Kleinen. Österreich, wo die rund 358.000 KMU 99,6 Prozent aller heimischen Unternehmen stellen, liegt dabei im internationalen Trend: Bereits im ersten Halbjahr 2022 sind die Firmeninsolvenzen so stark wie nie zuvor angestiegen und haben sich mit plus 121 Prozent mehr als verdoppelt, wie der Gläubigerschutzverband Creditreform vorrechnet. „Zuerst die Lockdowns, dann der Ukraine-Krieg und zuletzt die Inflation waren einfach für viele Unternehmen zu viel an Polykrisen“, fasst Creditreform-Geschäftsführer Gerhard M. Weinhofer die aktuelle Lage zusammen: „Die Zeichen stehen auf stark steigende Insolvenzzahlen.“
Im Gesamtjahr 2022 gab es rund 5.000 Firmenpleiten, heuer rechnen Creditreform und Alpenländischer Kreditorenverband mit mehr als 6.000 – das wäre ein Zehnjahreshoch. Auch der KSV1870 erwartet dieses Niveau, „ohne dabei noch Einflussfaktoren wie Krieg und Inflation zu berücksichtigen“, weist Karl-Heinz Götze, Leiter Insolvenz der KSV1870 Holding AG, hin. Und wenn erst der geplante Entwurf auf EU-Ebene zur Reform des Insolvenzrechts umgesetzt werde, würden die Zahlen noch schneller steigen, so der KSV-Experte.
Denn die EU will den Weg zur Insolvenz auf Kosten der Kreditgeber für alle Unternehmen bis zehn Mitarbeitern und zwei Millionen Euro Jahresumsatz erleichtern. Im KMU-Land Österreich würden 90 Prozent aller Unternehmen in diese Gruppe fallen. Die neuen Regeln könnten somit eine historische Pleitewelle verursachen.
KMU in der Gefahrenzone
Doch die Insolvenzstatistiken dürften sich auch unabhängig von der Neuregelung mittelfristig weiter verschlechtern. Die Zeiten werden nicht einfacher: So zeugen aktuelle KMU-Umfragen von einem massiven Abschwung bei den Konjunkturerwartungen. Denn dass der Pleitegeier vor allem über dem Mittelstand kreist, hat dabei nicht nur den Grund, dass sie die Mehrzahl der Unternehmen des Landes stellen. Vielmehr ist der Mittelstand in Österreich chronisch unterfinanziert.
Bei mehr als jedem zweiten KMU reichen die verfügbaren liquiden Mittel zur Zahlung von Kosten für Miete, Personal, Kredite, Lieferverbindlichkeiten und Energie nur für wenige Wochen bis höchstens einen Monat, zeigen Auswertungen der Bilanzdatenbank der KMU Forschung Austria auf der Basis von mehr als 80.000 Jahresabschlüssen aus den unterschiedlichsten Branchen.
Diagnose und Therapie
„Niemand geht freiwillig in die Insolvenz“, betont Götze. Warum machen es dennoch Tausende Unternehmen jährlich? Der KSV erstellt jährlich die Liste der sechs häufigsten Insolvenzgründe, die auch 2022 von „operativen Ursachen“ angeführt wurde. „Dazu zählen unter anderen eine schlechte Kostenstruktur aufgrund von Mängeln in der Organisationsstruktur, Planungsschwächen beziehungsweise mangelndes Controlling, aber auch Absatzschwächen oder Probleme in Sachen Finanzierung und Forderungsbetreibung zur Wahrung der eigenen Liquidität“, so Ricardo-José Vybiral, CEO der KSV1870 Holding AG.
Auf Platz zwei: „strategische Ursachen“, insbesondere keine oder zu späte Reaktionen auf Marktveränderungen. So nannte im Vorjahr laut KSV fast jeder zweite Pleitier die Pandemie als Hauptgrund. Aber Achtung: Auswertungen der KSV-Experten zeigen, dass in der Realität doch oft strategische Ursachen für das Scheitern ausschlaggebend waren. „Unbeherrschbare Umstände“ wie die Pandemie finden sich daher erst auf Platz drei der Liste der Insolvenzgründe. Platz vier gehört klassischen „Gründungsfehlern“ wie fehlendes Know-how oder Unerfahrenheit – denn jedes zweite KMU, das insolvent wird, ist seit weniger als fünf Jahren am Markt.
Typische Gründerfehler können fehlende Kenntnisse in Bezug zur jeweiligen Branche sein, aber auch fehlender betriebswirtschaftlicher Background. Gleichzeitig gibt es einzelne Fälle, wo dem Gründer die Eignung als Unternehmer fehlt – das müssen nicht immer inhaltliche oder wirtschaftliche Mängel sein, sondern auch persönliche. „Das Management gibt die Richtung vor, doch nicht jede Person ist dazu berufen, ein Unternehmen zu gründen“, sagt Vybrial. Platz fünf und sechs auf der Liste der häufigsten Insolvenzgründe gehören schließlich den Punkten „Persönliches Verschulden-Fahrlässigkeit“ und „externe Vorkommnisse“ wie die Pleite eines wichtigen Auftraggebers.
Der oft zitierte Fachkräftemangel ist auf der Liste gar nicht vertreten. „Der Mitarbeitermangel kann eine Mitursache bei Insolvenzen sein, wird aber in der Praxis inflationär verwendet. Wer mit Mitarbeitern nicht fair umgeht, findet nur schwer neue und die alten laufen davon“, erklärt Vybiral. Auch die falsch gewählte Branche ist kein Grund fürs Scheitern. Der Bereich Bau führt zwar traditionell die Insolvenzstatistiken an. Das hat aber nicht mit einem speziellen Fluch zu tun, sondern damit, dass kleine und unterkapitalisierte Baufirmen auch in Zeiten der Hochkonjunktur stärker insolvenzgefährdet sind – u. a. aufgrund von hohen Personal- und Materialkosten sowie Auftraggebern, die selbst Zahlungsschwierigkeiten haben.
Die Experten sind sich einig: Die besten Unternehmer können auch die sprichwörtlichen Kühlschränke in der Antarktis an den Kunden bringen. „Natürlich gibt es Fälle, bei denen höhere Gewalt ein Unternehmen ins Ungleichgewicht bringt“, sagt TPA-Partner Brunner. „Das ist aber aus meiner Erfahrung betrachtet die Ausnahme. Der Großteil der Unternehmen kann seine Geschicke selbst lenken, und zum Glück werden Missstände oder Fehlentwicklungen meist rechtzeitig erkannt und entsprechend behoben und gegengesteuert. Unternehmen sind nicht ihren Schicksalen ausgeliefert, sie können und müssen sie aktiv gestalten.“
Wege zum Erfolg
Die besten schaffen es, selbst in Krisenzeiten zu wachsen, meint Erich Lehner, Managing Partner des Prüfungs- und Beratungsunternehmens EY – er sucht und findet im Rahmen des Wettbewerbs EY Entrepreneur Of The Year seit mehr als 15 Jahren die besten Unternehmerpersönlichkeiten Österreichs. „Wir leben im Zeitalter der Transformationen: Disruption ist kein Buzzword mehr, sondern voll in der Praxis angekommen. Die Zeit für Umstellungen wird immer kürzer, deswegen überdenken erfolgreiche Unternehmen ihre Geschäftsmodelle ständig.“
Was erfolgreiche Unternehmer besser machen und wie sie sich vor dem Pleitegeier schützen? Die Praxiserfahrungen der Experten lassen sich in einer Liste von Ratschlägen zusammenfassen. Am wichtigsten ist: Genauso wie die falsche Strategie das Genick brechen kann, ist die richtige der beste Weg zum Erfolg. „Rasche Entscheidungswege, Innovationskraft, vernetztes Denken“, zählt Lehner die Erfolgsfaktoren auf. „Wichtig ist es, sich nicht als Einzelkämpfer im Konkurrenzkampf mit anderen zu sehen, sondern Ökosysteme und Netzwerke zu bilden und miteinander auszutauschen.“
Aber auch das kleinste KMU besteht nicht nur aus dem Chef allein. Daher ist es wichtig, Mitarbeitende ins Boot zu holen, ihnen Verantwortung zu geben und bei der Zusammensetzung des Teams auf Diversität zu setzen – geschlechtliche, kulturelle und Altersdiversität.
Die Besten lassen sich zudem nicht durch negative äußere Umstände entmutigen: Auch aktuell sind Teuerung oder steigende Zinsen gesamtgesellschaftliche Phänomene, die jeden betreffen. Wer gut wirtschaftet, kann mit solchen Einflussfaktoren gut umgehen.
Essenziell ist auch, nicht ständig bloß auf Zahlen zu blicken. Gerade hier können Mittelständer auf ihre Kernkompetenz vertrauen: Sie sind anders als Großkonzerne nicht von Quartalszahlen getrieben. Soziale Faktoren wie Work-Life-Balance oder Nachhaltigkeitskriterien sind in vielen Geschäftsbeziehungen heute wichtigere Erfolgsfaktoren als die Finanzkennzahlen. Auch weil diese gerade in einem volatilen Wirtschaftsumfeld trügerisch sein können.
„Einer der größten Fehler ist, sich auf dem geschäftlichen Erfolg der Vergangenheit auszuruhen und im Jetzt zu verharren“, warnt deswegen Brunner. „Unternehmern empfehle ich, nicht still zu stehen und stets offen zu bleiben. Es ist wichtig, mit der Zeit zu gehen und Trends am Markt und in der eigenen Branche rechtzeitig zu erkennen, um darauf reagieren zu können oder idealerweise selbst zu setzen.“
Die besten Ideen kommen meistens von außen. „Über den Tellerrand zu blicken, halte ich für sehr wichtig“, nennt EY-Partner Lehner eine weitere Gemeinsamkeit der erfolgreichsten Entrepreneure. „Mir ist noch nie ein perfektes Unternehmen begegnet. Von Selbstreflexion, Best Practice, Austausch und guten Insights kann jeder profitieren. In der Praxis findet man als Consulter überall Stellschrauben, der Unterschied ist nur, ob man sie wenig oder stärker bewegen muss.“
Externe Beratung kann hilfreich und inspirierend sein, bestätigen auch Kreditschützer und Steuerberater TPA. „Oftmals wird man im wahrsten Sinne des Wortes betriebsblind“, so Brunner. „Besonders in den Bereichen Strategie, Mitarbeiter und Produktentwicklung habe ich sehr gute Erfahrungen gemacht, da hat Beratung schon vielen Unternehmen geholfen.“
Aufstehmännchen gesucht
Pleiten wird es aber beim besten Willen immer geben: Insolvenzen sind Teil des Selbstheilungsprozesses einer gesunden Volkswirtschaft. Jeden Tag scheitern Unternehmer und dennoch wächst die Wirtschaft insgesamt weiter, ohne dass Pleitiers stigmatisiert werden. „Im Gegensatz zu Österreich herrscht in Übersee eine andere Einstellung. Denn in den USA sagt man, dass ein Unternehmer erst dann erfolgreich wird, wenn er zumindest drei Pleiten hinter sich hat“, meint Götze.
Ob Bill Gates und James Dyson oder Chocolatier Josef Zotter und IT-Unternehmer Damian Izdebski: Es lässt sich zwar nicht erheben, wie viele „Wiederholungstäter“ es unter den Pleitiers gibt, doch viele heute erfolgreiche Unternehmer mussten in ihrer Karriere schon vor den Insolvenzrichter, wie die Experten hinweisen. Nicht nur in Übersee, auch in Österreich gibt es sehr viele erfolgreiche Mittelständler, die schon mal gescheitert sind, daraus die Lehren gezogen haben und zu neuen Höchstleistungen aufgelaufen sind. „Scheitern hat definitiv nicht nur negative Aspekte und ist Teil des Geschäftslebens“, resümiert Brunner: Es ist ein Lernprozess, der auch dazu führt, neue Wege zu gehen, etwas zu verändern und etwas Neues zu schaffen – das letztlich sogar besser sein kann.
Der Artikel ist der trend KMU Edition 2023 entnommen