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KSV1870-Chef: „Die nächste Regierung muss neue Impulse setzen“

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Aktualisiert
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7 min

Laut KSV1870-CEO Ricardo-José Vybiral braucht es dringend eine neue Regierung, die Unternehmen und Private gleichermaßen entlasten will.

©OTS/Guenther Peroutka
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Laut aktueller KSV1870-Hochrechnung wird 2024 zu den Pleitenrekordjahren zählen. Heimische Unternehmen brauchen dringend regulatorische Entlastungen, wie der KSV-Geschäftsführer Ricardo-José Vybiral im trend-Interview ausführt.

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Was sich bereits nach dem ersten Halbjahr abgezeichnet hat, setzt sich am Jahresende fort: Das Jahr 2024 zählt zu den stärksten Pleitejahren der letzten zwei Jahrzehnte. Mit erwarteten 6.550 Unternehmensinsolvenzen und Passiva von 18,3 Milliarden Euro bis Jahresende schreibt das Jahr 2024 Rekorde. Seit dem Jahr 2000 gab es lediglich 2005 und 2009 mehr Insolvenzen. Die Passiva waren mit 18,3 Milliarden Euro sogar noch nie so hoch wie heuer.

Auch für das kommende Jahr 2025 sieht der KSV1870-Geschäftsführer Ricardo-José Vybiral wenig Entspannung. Treiber für die Insolvenzen sind der Handel, der Bau und die Beherbergung/Gastronomie. Neben konjunkturellen Schwierigkeiten sieht der KSV-Geschäftsführer vor allem auch Managementfehler als Grund für Großinsolvenzen.

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Das heurige Jahr ist von besonders vielen Großinsolvenzen geprägt. Inwieweit werden diese einen Rattenschwanz mit sich ziehen?

Ricardo-José Vybiral

Die Sanierer und die Finanzierer versuchen derzeit bei den Großinsolvenzen, ein sogenanntes Ringfencing zu machen. Das bedeutet, wir versuchen zu isolieren, wo die Herde sind, damit keine Ansteckung passiert. Wir versuchen bei Insolvenzen, eine Kettenreaktion möglichst zu verhindern und Unternehmen „schnell“ in eine Sanierung zu bringen. Unter „schnell“ verstehen wir, sobald es klar ist, dass eine wirtschaftliche Erholung ohne Insolvenz nicht mehr machbar ist. Aber natürlich gibt es auch einen Dominoeffekt. Wenn wir uns den Bau anschauen, dann hat der Hochbau zum Beispiel auf das Baunebengewerbe einen massiven Effekt.

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Bei der KTM-Insolvenz sehen Expert:innen massive Fehleinschätzungen im Management. Welche Ursachen sehen Sie bei solchen Großinsolvenzen?

Ricardo-José Vybiral

Bei Großunternehmen sehen wir den Fehler, dass sie, wenn sie in eine Schieflage geraten, erratisch reagieren. Außerdem sehen wir den Fehler, dass man in gewissen Jahren, wo plötzlich die Nachfrage extrem steigt, das Unternehmen ihre Produktionskapazität und Investitionen auf diese hohe Auftragslage ausrichtet. Grundsätzlich ist das ja gut, trotzdem braucht man aber immer eine Langfristplanung. Und wenn die Auftragslage zurückgeht, sehen wir oft, dass an der Qualität gespart wird. Bei sinkender Qualität entsteht ein negativer Nachfrageeffekt und es wird noch weniger abgenommen. Heuer ist die schwierige konjunkturelle Lage dazugekommen – und dass sich das Konsumverhalten massiv verändert hat. Jeder zweite Konsument kauft heute weniger ein.

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Der Handel, die Bauwirtschaft und die Gastronomie sind besonders von der aktuellen Insolvenzwelle betroffen. Wird sich dieser Negativtrend auf weitere Branchen ausweiten?

Ricardo-José Vybiral

Derzeit gehen wir davon aus, dass dieser Negativtrend weiterhin bei Handel, Bau und Gastronomie/Beherbergung liegen wird. Beim Handel sehen wir klar, dass sich die Branche strukturell massiv verändert. Der Handel wird sich nicht mehr so darstellen wie vor der Corona-Phase. Wir haben einen stärkeren Onlinehandel, und das Konsumentenverhalten hat sich verändert. Auf die Bauwirtschaft bezogen glaube ich, dass sie in den nächsten Monaten weiterhin unter massivem Druck sein wird. Aber die Bauwirtschaft wird sich wieder erholen. Bei der Gastronomie ist es ähnlich. Die Gastronomie ist derzeit hoch volatil, und es gibt relativ viele Insolvenzen, weil die Kapitalausstattung gering ist. Mit einer geringen Kapitalausstattung und gleichzeitig hohen Kosten gerät man relativ schnell in eine Schieflage. Aber die Gefahr, dass es langfristig weniger Gastrobetriebe geben wird, besteht flächendeckend nicht.

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Welche politischen Maßnahmen brauchen Unternehmen in der aktuellen Situation?

Ricardo-José Vybiral

Die Unternehmer:innen wünschen sich von der künftigen Bundesregierung mehrere Punkte. Die Klassiker sind Steuerreduktion und Lohnnebenkostensenkung. Was sich aber jetzt immer stärker darstellt, ist das Thema der Regulatorik. Wie können wir Bürokratie abbauen? Wie können wir uns wieder mehr auf das Wirtschaften konzentrieren? Und es gibt einen Wunsch nach einer umfassenden Bildungsreform, die sich an den Bedürfnissen der Wirtschaft und der Praxis orientiert. Stichwort Fachkräftemangel, und nach einer Arbeitsmarktreform. Zudem muss die Vollerwerbsarbeit wieder mehr wertgeschätzt werden. Die nächste Regierung muss neue Impulse setzen.

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 © KSV1870
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Sie fordern seit Jahren, dass die Eröffnungskosten eines Insolvenzverfahrens vom Staat vorfinanziert werden sollen, wenn die Kostendeckung nicht selbstständig geschafft wird. 2024 sind 2.403 Fälle mangels Vermögen nicht eröffnet worden. Warum passiert da nichts?

Ricardo-José Vybiral

Weil sich niemand so wirklich dafür verantwortlich fühlt. Es bedarf einer Vorfinanzierung, die keiner derzeit aufstellen möchte. Aber es würde Sinn machen. Es würde eine Bereinigung stattfinden, und man würde auf gewisse Herde schon früher eingehen können. Zudem wäre es dadurch möglich, finanzielle Mittel wieder in den Wirtschaftskreislauf zu bringen.

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Die Privatinsolvenzen bewegen sich auf ähnlichem Niveau wie im Vorjahr, die Pro-Kopf-Verschuldung ist jedoch gestiegen. Welche Entwicklung erwarten Sie im kommenden Jahr?

Ricardo-José Vybiral

Wir gehen nicht davon aus, dass bei den Privatinsolvenzen ein Tsunami entstehen wird, auch nicht im nächsten Jahr. Die Konsumenten sind sehr zurückhaltend in ihrer Konsumlaune und haben zuletzt gelernt, mit ihren Mitteln auszukommen. Trotzdem sehen auch wir, dass es an vielen Stellen immer knapper wird.  

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Erfahrungsgemäß steigen Privatkonkurse erst zwei, drei Jahre nach den Unternehmensinsolvenzen.

Ricardo-José Vybiral

Ja, grundsätzlich schon. Wobei wir eins nicht vergessen dürfen: Privatinsolvenzen sind nicht unbedingt nur in schlechten konjunkturellen Phasen hoch, sondern auch in Hochkonjunkturphasen können sie steigen, weil einfach die Konsumlaune steigt. Ja, es kann passieren und es wird Folgeeffekte geben, aber nicht im überbordenden Maße.

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Sind wir jetzt mit Ende des Jahres am Peak der Firmeninsolvenzen angekommen? Welche Entwicklung erwarten Sie für 2025?

Ricardo-José Vybiral

Was die hohen Insolvenzzahlen betrifft, dürften wir erst in der Mitte des Tunnels angekommen sein, nicht am Ende. Wir sind jetzt bei 6.550 Insolvenzen und wir gehen davon aus, dass es nächstes Jahr in Richtung 7.000 Insolvenzen gehen kann. Aber das ist nur eine Prognose.

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Die KSV1870 Austrian-Business-Check-Umfrage hat 1.300 heimische Unternehmen zu ihrer aktuellen Geschäftslage und ihren Schwierigkeiten befragt. Die Ergebnisse können Sie in diesem trend-Artikel nachlesen.

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