Im Jahr 2022 ist die Zahl der Firmenpleiten und der Privatkonkurse massiv gestiegen. Die Unternehmenspleiten haben sich gegenüber dem Vorjahr nahezu verdoppelt, bei Privatkonkursen gab es ein Plus von 24 %. Tendenz kräftig steigend.
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Die Pleitewelle rollt an: Die Zahl der Insolvenzen bei Unternehmen und Privatpersonen in Österreich steigt weiterhin kräftig an. Während die Wirtschaftskrise mit Inflation und Kostenexplosion die Unternehmen bereits voll erfasst hat, werden Privatpersonen zum Jahresende und im kommenden Jahr die finanzielle Krisensituation massiv spüren.
Die Zahl der Firmenpleiten ist laut Hochrechnung des Kreditschutzverband von 1870 (KSV1870) weiterhin deutlich über jener des Vorjahres: 3.482 insolvente Unternehmen entsprechen einem Plus von 92 Prozent gegenüber den ersten neun Monaten 2022. Gleichzeitig liegt dieser Wert knapp unter jenem des Jahres 2019 (3.808 Insolvenzen, - 9 %), als von der Corona-Krise noch keine Rede war.
Kostenexplosion, Lieferengpässe & Personalmangel als Pleitentreiber
„Anhaltende Kostenexplosionen, gravierende Lieferengpässe und die schwierige Suche nach Personal sind nur einige wenige Faktoren, warum sich die wirtschaftliche Gesamtsituation zuletzt verschlechtert hat“, erklärt Karl-Heinz Götze, Leiter KSV1870 Insolvenz.
Der Ausblick ist insgesamt jedoch düster. Wenig Grund zum Optimismus scheint es bei Unternehmen zu geben. Die jüngsten Entwicklungen hätten die Erwartungshaltung für die kommenden Monate eher gedämpft. „Wie wir von vielen Unternehmen in Gesprächen erfahren, blickt rund die Hälfte der Betriebe eher negativ in Richtung Jahresende“, so Götze.
Bis Ende 2022 rechnet der KSV mit einem weiteren Zuwachs auf ungefähr 4.700 Insolvenzen, womit fast Vorkrisenniveau (- 6 % gegenüber 2019) erreicht wäre. „Diese Prognose geht zwar eher in Richtung Normalisierung, aber das beschleunigte Insolvenzgeschehen setzt der Wirtschaft in Kombination mit den Teuerungen, der Energiekrise und den Lieferkettenproblemen ordentlich zu. Aktuell herrscht eine massive Dynamisierung nach einer langen Phase der Stagnation“, so Götze.
Alle Bundesländer mit „rotem Plus“
Die kräftigen Zuwächse bei den Firmenpleiten zieht sich wie ein roter Faden durch alle Bundesländer. Oberösterreich (+ 165 %) und in Vorarlberg (+ 161 %) verzeichnen die kräftigsten Zuwächse. Steiermark (+ 58 %) und Burgenland (+ 60 %) verzeichnen mit hohen zweistelligen Zuwachsraten die niedrigsten Zuwächse.
Die Bundeshauptstadt Wien verzeichnet ein Plus von 64 Prozent – in absoluten Zahlen stehen hier mit 1.235 Fällen auch die meisten Insolvenzen österreichweit zu Buche.
Deutlicher Anstieg bei den Schulden
Mit dem Anstieg der Unternehmensinsolvenzen werden auch höhere Schuldenstände gemeldet. Die vorläufigen Passiva massiv angestiegen – und zwar um 88 Prozent auf rund 1,4 Mrd. Euro (Stand 15.9.2022) . Vor allem die Konkurse der CPI-Gruppe (Passiva: 220 Mio. Euro) und von Polytechnik Luft- und Feuerungstechnik GmbH (66,3 Mio. Euro) haben das gesamte Schuldenvolumen kräftig erhöht.
In allen Bundesländern – Ausnahme Salzburg (- 10 %) - werden teils explosionsartige Zuwächse verzeichnet. Am deutlichsten ist der Anstieg in Vorarlberg (+ 260 %), gefolgt vom Burgenland und Oberösterreich (jeweils plus 200 Prozent).
Handel, Bauwirtschaft und Tourismus/Gastronomie leiden
Die Branchen Handel & Instandhaltung/Reparatur von Kfz (644 Fälle, davon ca. 40 % mangels Masse abgewiesen), Bauwirtschaft (567) und Tourismus/Gastronomie (422), die sonst auch immer in der Spitzengruppe rangieren, melden auch heuer wieder die meisten Insolvenzen. Sie alleine kommen auf 1.633 Fälle, was knapp die Hälfte aller österreichweiten Firmenpleiten ausmacht.
Tendenz steigend – so lautet das Urteil für den Handel, wo die Zahl der Insolvenzen gegenüber dem Vorjahr um 115 Prozent höher ausfallen: „Getrieben vom Einzelhandel verzeichnet die Handelsbranche bereits jetzt mehr Pleiten als in den Jahren 2020 und 2021 insgesamt. Bis Jahresende könnten es im Handel rund 900 Pleiten werden, womit das Niveau von 2019 angesteuert wird“, so Götze. Hier von einer Explosion zu sprechen, ist noch zu früh, doch insbesondere der Einzelhandel als „Verlierer“ der aktuellen Situation wird weiterhin schwer zu kämpfen haben.
Mehr betroffene Dienstnehmer, weniger Gläubiger
Im Vergleich zu den ersten drei Quartalen 2021 hat sich im Jahr 2022 die Zahl der betroffenen Dienstnehmer um 72 Prozent von 5.700 auf 9.800 Personen erhöht.
Eine rückläufige Entwicklung gab es zuletzt hingegen bei den betroffenen Gläubigern: Während im Jahr 2019 rund 46.000 und im Vorjahr 21.100 Gläubiger zu Buche standen, sind es derzeit 20.300 Betroffene. Gleichzeitig bestätigt sich auch hier, dass die Pleiten zuletzt eher kleinteiliger wurden. „Für uns als KSV1870 sind zwei Faktoren relevant: Einerseits, die bestmögliche Quote für Gläubiger zu erzielen, damit deren Liquidität nicht noch mehr belastet wird. Und andererseits gilt es den Fortbestand des schuldhaften Unternehmens zu sichern, um möglichst viele Arbeitsplätze zu retten. Das allerdings nur, wenn ein Fortbestand wirtschaftlich vertretbar ist“, so Götze.
Das ist aber derzeit offenbar schwieriger umzusetzen. 2022 wurden bis Mitte September nämlich 40 Prozent aller Firmenpleiten mangels Kostendeckung abgewiesen – im Vorjahr waren es 32 Prozent.
Einer der Gründe, warum dieser Wert zuletzt in die Höhe geschnellt ist, liegt laut KSV darin, dass viele Betriebe schon längst Insolvenz anmelden hätten sollen und durch den Fortbetrieb auch die letzten finanziellen Mittel aufgebraucht wurden. Wenn keine Vermögenswerte mehr vorhanden sind, dann ist auch eine Sanierung nicht mehr möglich. „Die Folgen sind massiv. Menschen verlieren unnötigerweise ihre Arbeitsplätze und Gläubiger erhalten kein Geld, das ihnen aufgrund erbrachter Leistungen zusteht“, so Götze.
Vorkrisenniveau noch nicht erreicht
Hauptgründe für die Privatpleiten sind Inflation, gestiegene Energiekosten, Preissteigerungen im Supermarkt. Der kräftige Anstieg im Frühjahr ist allerdings auch auf die Insolvenzrechtsnovelle des Vorjahres zurückzuführen, weil Schuldner leichter in Konkurs gehen konnten. Allerdings rechnet der KSV aufgrund der aktuellen Krise mit einem weiteren Anstieg bei den Privatkonkursen.
Aufgrund der jüngsten Entwicklungen kommt der Anstieg bei den eröffneten Schuldenregulierungsverfahren auf 6.209 Fälle (+ 24 % gegenüber 2021) wenig überraschend. In den ersten drei Quartalen 2022 ist laut KSV-Statistik der Anstieg bei den Privatkonkursen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum am höchsten. 2100 Menschen mussten Privatkonkurs anmelden, im zweiten Quartal wurden 2.200 Privatpleiten gezählt. Im dritten Quartal (1.900 Fälle) gab es demnach die bislang wenigsten Privatkonkurse.
Bis Ende des Jahres 2022 rechnet der KSV mit einem deutlichen Anstieg der Firmenpleiten auf rund 4800 Unternehmen sowie rund 8.000 eröffneten Schuldenregulierungsverfahren im Privatbereich. Im Vergleich zum Vorjahr wären das rund 800 private Pleiten mehr. "Das wäre eine weitere Annäherung in Richtung Vorkrisenniveau", sagt Ricardo-José Vybiral, Chief Executive Officer KSV1870 Holding.
Die Passiva der Privatpleitiers haben sich bis dato um 16 Prozent auf 665 Mio. Euro erhöht. Im Jahr 2022 gehen Privatpersonen mit durchschnittlich 107.000 Euro in Privatkonkurs.
Die Zahl der eröffneten Privatkonkurse ist seit Inkrafttreten der Insolvenznovelle (Richtlinie über Restrukturierung und Insolvenz) im Juli 2021 kontinuierlich gestiegen, das Vorkrisenniveau (7.174 Fälle, - 13,5 %) ist aber noch nicht zur Gänze erreicht.
„Wenn man etwas in die Zukunft blickt, werden aber auch die explodierenden Kosten in nahezu allen Lebenslagen Auswirkungen haben“, erläutert KSV1870-Insolvenz-Experte Götze. Der aktuelle Anstieg bei den Privatkonkursen sei vor allem auf die Insolvenznovelle des Vorjahres zurückzuführen, die deutliche Erleichterungen, wie eine verkürzte Entschuldungsdauer für Schuldner, gebracht habe.
Inflation und Kostenexplosion treiben Privatpleiten an
Einen weiteren Schub bei den Privatpleiten erwartet der KSV in den kommenden Monaten. Mitentscheidend wird dabei sein, in welchem Ausmaß die Teuerungswelle siehe auch "[Inflation: warum Preise steigen und alles teurer wird"] bei den Privatpersonen weiterhin aufschlagen wird.
„Erfahrungsgemäß verzichten die Menschen in unsicheren Zeiten auf kostenintensive Investments, um das verfügbare Geld für Rechnungen des täglichen Lebens zu verwenden. Dadurch gibt es im ersten Moment weniger offene Forderungen und damit auch weniger Insolvenzanträge“, so Götze „Bei anhaltender Teuerungswelle wird das Pendel aber recht bald in die andere Richtung ausschlagen. Spätestens dann, wenn sich die Menschen weder Strom noch Heizung leisten können.“
Privatkonkurs anmelden: So gelingt der Weg aus der Schuldenfalle
Der Schuldenberg steigt und steigt. Die Einnahmen reichen nicht aus, um die Schulden zurückzuzahlen. Dann gilt es spätestens zu handeln. Oft gibt es keinen anderen Weg mehr, als den Privatkonkurs anzumelden und ein sogenanntes Schuldenregulierungsverfahren zu starten. Was dabei passiert und wie der Schuldenberg abgebaut werden kann lesen Sie hier.