trend: Anfangs fehlte Schutzausrüstung, dann Masken, Tests oder Impfstoffe. Die Coronapandemie in Österreich war bisher auch von ein paar suboptimalen öffentlichen Beschaffungsvorgängen gekennzeichnet. Ist das Vergaberecht zu unflexibel? Oder kann man in einer Pandemie einfach nichts richtig machen?
Martin Schiefer: Weder noch, würde ich sagen. In der Krisenbeschaffung hat sich vor allem eines gezeigt: dass Österreich eine schweineteure Verwaltung hat, die aber äußerst ineffizient agiert. Ein Riesen-Apparat, der in der Krise wenig geschafft hat. Da kann das Vergaberecht nichts dafür. Wenn private Unternehmen so agieren, wären sie längst pleite.
Harte Kritik, aber war das nicht eine Sondersituation?
Natürlich gibt es in den Pandemie Phasen, wo man als Politiker einfach kaufen muss. Der Markt ist überhitzt, da muss man einfach zuschlagen, da kann man nicht lange überlegen. Dafür gibt es die Notbeschaffungen, die sind durch das Vergaberecht auch gut abgedeckt. Aber dann muss klar sein: Solche Notbeschaffungen sind nur die Ausnahme, nicht die Regel, und da haben österreichische Entscheidungsträger viel zu langsam gelernt, die haben vergaberechtliche Profis viel zu spät zu Rate gezogen. Vor allem das Gesundheitsministerium hat geglaubt, man kann alleine entscheiden. Dann kommen Verordnungen zustande, wo Unternehmen am Freitagabend vorgeschrieben wird, welche Masken Montag früh zu tragen sind. Wie soll das gehen? Das ist unseriös und letztlich wirtschaftsfeindlich.
Offenbar ein Systemfehler?
Der Einkauf - und nichts anderes sind staatliche Beschaffungsstellen, die mit Vergaberecht zu tun haben - ist eine strategische Position, die unbedingt an höchster Entscheidungsebene platziert sein muss. Also mitten in einem Krisenstab. Aber bei uns kam der Einkauf immer am Ende der Informationskette. Und konnte dann nichts mehr machen.
Was genau könnte man an der Stelle ausrichten?
Im Einkauf entscheidet sich oft, ob und wie Einsparungspotentiale auch genutzt werden können. Dafür möchte ich um Verständnis werben. In einigen Krisenstäben werden die geplanten Maskenkäufe schon wieder verschoben. Das ist kurzsichtig, denn worauf will man warten? Dass im Herbst die nächste Welle kommt und die Preise wieder steigen werden?
Bei aller Kritik an der Politik: Es sind undankbare Entscheidungen. Das Risiko, dafür in den Medien oder von der Opposition geprügelt zu werden, ist hoch.
Ja, ich merke in vielen Vergabeprozessen, wie sehr verantwortliche Politiker Angst vor Medien oder Öffentlichkeit haben. Etwa bei Investitionen, wo Innovationen gefördert werden sollen, etwa durch Förderungen von Startups. Was, wenn da ein paar Pleite gehen, dann stehen wir am Pranger, fürchten viele. Dabei ließe das Vergaberecht jede Menge Spielraum zu.
In der Realität aber verstecken sich viele Politiker hinter dem Vergaberecht, wenn mutlose Entscheidungen getroffen werden.
Deswegen fordere ich auch größtmögliche Transparenz. Jeder, der öffentliche Beschaffungen tätigt, muss Vorgaben und Entscheidungsgrundlagen klar auf den Tisch legen, dann kennen sich alle aus. Und Story für die Medien ist es dann auch keine mehr, selbst wenn hinterher nicht alle zufrieden sind. Transparenz ist ein Gebot der Stunde, denn nur so können wir die notwendigen Fortschritte bei Nachhaltigkeit, Digitalisierung oder in der nächsten Pandemiewelle schaffen.
Ein anderer Ausweg aus dem Beschaffungsdilemma der Politik sind neuerdings Rahmenvereinbarungen. Auch die gab es in der Coronapandemie verstärkt. Was halten Sie davon?
Da gibt es jetzt einen richtiggehenden Wildwuchs, das ist richtig. Und doch halte ich die jetzige Mode, nur mehr Rahmenvereinbarungen auszuschreiben, für eine Konterkarierung des Vergaberechts. Es entspricht zwar formal den gesetzlichen Bestimmungen, öffnet aber hinterher Tür und Tor für unkontrollierte Projekte. Da gelten dann keine Richtlinien mehr, da wird nicht mehr kontrolliert, da gibt es keinen Wettbewerb. Dazu braucht man eigentlich gar kein Vergaberecht.
Aber es heißt immer, öffentliche Ausschreibungen lassen sonst keinen Gestaltungsspielraum zu, da zählt nur Billigstbieter oder Bestbieter, und aus.
Ich erwarte mir von einem reichen Land wie Österreich, dass die Beschaffungsvorgänge doch professionell funktionieren. Und das ist keine Frage eines komplizierten Vergaberechts. Das ist eine Frage, wie sehr man sich damit beschäftigt. Das ist wie bei Dominic Thiem - wenn der Fokus auf das Tennis verloren geht, wird er kein Match gegen Novak Djokovic gewinnen, der auch nach seinen großen Erfolgen immer noch acht Stunden am Tag am Platz steht. Um bei dem Bild zu bleiben: Man kann auch als Einkäufer in öffentlichen Stellen sozusagen den Ball einfach übers Netz schupfen oder auch aus extremen Winkeln gute Schläge schaffen und den besten Deal für Österreich rausholen. Aber das muss man wollen, und man muss dafür einiges an Energie und Gehirnschmalz investieren.
Das sind vielleicht zu hohe Anforderungen.
Da komme ich wieder zurück zu meiner Forderung nach mehr Tranparenz in Vergabeverfahren: Die zwingt den Auftraggeber dazu, sich mehr Gedanken zu machen. Und wenn man einmal definiert hat, was man will, kann man als Auftraggeber auch wirklich gestalten. Wenn ich etwa keine bestimmten Hersteller für eine Handybeschaffung auswählen darf, dann schreibe ich halt den Auftrag eben für einen Händler aus. Der darf dann das Produkt, das zu meinen Bedingungen passt, doch auswählen.
Die gesetzlichen Vorgaben für Beschaffungen der öffentlichen Hand schränken also die Gestaltungsfreiheit nicht ein?
Überhaupt nicht. Das ist ein Missverständnis. Der Auftraggeber darf sich immer etwas wünschen, was ihm passt. Schließlich ist er ja Auftraggeber, und das Vergaberecht hindert ihn nicht daran. Das Vergaberecht verlangt auch nicht, dass alle Parteien in einer öffentlichen Ausschreibung zufrieden sind, im Gegenteil, das geht gar nicht, denn es ist beinharter Wettbewerb. Solange er fair und transparent ist, gibt es alle Möglichkeiten, die öffentliche Beschaffung nach politischen Vorstellungen zu gestalten: mehr Nachhaltigkeit, mehr Regionalität, mehr Diversität.
Stichwort Nachhaltigkeit: Das Vergaberecht soll ja im Herbst extra dafür novelliert werden.
Aus meiner Sicht braucht es dazu keine Novellierung, denn dazu reichen die bisherigen Bestimmungen vollkommen aus. Es wird nicht gelingen, wenn man glaubt, alle angedachten Maßnahmen und Vorschläge bis ins Kleinste im Gesetz regeln zu können.
Aber helfen strengere Regeln nicht zum Beispiel bei der umweltgerechteren Umgestaltung der Verwaltung?
Sie stören eher. Siehe etwa das neue Straßenfahrzeugbeschaffungsgesetz, das demnächst beschlossen werden soll. Das ist dermaßen komplex, dass niemand die Umweltberechnungen für die erlaubten Fahrzeuge kapieren wird. Wer ist dafür zuständig? Was ist mit Subunternehmern? Ganz abgesehen davon, dass man viele Fahrzeuge noch gar nicht bekommt. Das wird, mit einem Wort, ein ziemliches Durcheinander. Da geht ein Gesetz in die Irre.
Schon spannend, dass ein Vergaberechtsexperte sich gegen neue Vergabebestimmungen ausspricht. Das würde Aufträge schaffen.
Mir liegt aber auch die reale Entwicklung am Herzen. Die Basics für mehr Nachhaltigkeit stehen schon im jetzigen Vergabegesetz, das reicht der Umwelt vollkommen. Was es braucht, sind weniger penible Regeln, sondern mehr Musterbeispiele und Best-Pratice-Modelle (siehe auch Artikel: "Vergaberecht: Best Practice statt Billigstbieter"), anhand derer der Gesetzgeber verdeutlicht, was er gemeint hat, heruntergebrochen auf ein konkretes Umsetzungsbeispiel.
Wie ist das zu verstehen?
Gut finde ich etwa, dass noch vor der Gesetzesnovelle von Klima- und Landwirtschaftsministerium ein eigener Aktionsplan für nachhaltige Beschaffung umgesetzt wird. Der wird durch konkrete Beispiele den Praktikern endlich etwas in die Hände geben, mit dem sie arbeiten können. Diese Beispiele einer nachhaltigen Beschaffung lassen sich so verbreitern, und das wird dann überall als Vorbild genommen. So geht es, ganz ohne neue Gesetze.
Zur Person
Martin Schiefer, 50, ist einer der profiliertesten Vergaberechtsexperten Österreichs, Speaker und Legal-Influencer. Seit 2018 ist er mit eigener Kanzlei, 31 Mitarbeitern und fünf Standorten in Landeshauptstädten selbstständig.
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