Erhebungen zeigen, dass Österreichs KMU in Sachen Digitalisierung immer stärker in Rückstand geraten. Oft hapert es schlicht an Ressourcen und Durchblick.
Corona und alle damit verbundenen Einschränkungen, insbesondere die in Österreich besonders ausgeprägt verhängten Lockdowns, haben einerseits viele Unternehmen hart getroffen. Nicht nur im Handel, Sport-und Freizeitbereich, die gleich monatelang dichtmachen mussten, sondern auch die für die heimische Wirtschaftsstruktur prägenden kleinen und mittleren Handwerks-und Gewerbebetriebe. Andererseits, sagen Studien und viele Experten, habe die Pandemie auch zu einem echten Digitalisierungsschub und einer neuen Arbeitskultur mit effizienteren Abläufen und transparenteren Strukturen geführt.
Dieser Schub ist aber, wie eine aktuelle Erhebung des internationalen Wirtschaftsprüfers und Beraters Mazars zeigt, keineswegs überall und gleichmäßig angekommen. "Je größer Unternehmen sind, desto mehr Digitalisierungsmaßnahmen haben sie getroffen. Schon vor Corona und seitdem noch mehr", sagt Michael Dessulemoustier, Partner bei Mazars Austria (siehe untenstehendes Interview).
KMU IN DER KLEMME.
Anders als bei größeren, auch auf den internationalen Märkten vernetzten Vorzeigeunternehmen mit entsprechenden Organisationsstrukturen und bei jungen Start-ups, die Digitalisierung und digitale Geschäftsmodelle in ihrer DNA eingeschrieben haben, sieht es hingegen bei den klassischen, meist eigentümergeführten Betrieben kleiner und mittlerer Größe in traditionelleren Branchen aus. Eine Erhebung der KMU Forschung Austria listet etwa Strategien und Maßnahmen ausgewählter Handwerks- und Gewerbebranchen in der Covid-Krise auf. Von Überstundenabbau und Kurzarbeit, Nutzung von Steuerstundungen, Notfall-und Härtefonds bis Überbrückungsgarantien für Betriebsmittelkredite kommt dort vieles vor, eines jedoch nicht: Digitalisierung.
"KMU hatten in dieser Zeit mit der Aufrechterhaltung des Betriebs zu kämpfen und weder Kopf noch Ressourcen für die Umstellung von Prozessen", konstatiert Dessulemoustier. Seine Studie belegt, dass kleinere Betriebe tatsächlich in der Verwaltung, wo es im Gegensatz zur Produktion durchaus machbar wäre, viel seltener Homeoffice ermöglicht und ineffiziente Abläufe wie das Ausdrucken bereits elektronisch einlangender Belege samt händischer Neuerfassung beibehalten haben.
Das trifft sich mit sich einem Befund, den WKO-Präsident Harald Mahrer bei der Präsentation der Microsoft-Initiative "Mach heute Morgen möglich" zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts durch Digitalisierung zitierte: "Österreich zählt zu den reichsten EU-Staaten, liegt aber im Digital Economy and Society Index nur auf dem zehnten Platz. Hier haben wir als Innovationsstandort Luft nach oben und brauchen einen stärkeren Zugang zur Digitalisierung und mehr Bewusstseinsbildung für bessere Rahmenbedingungen."
DIGITALE DIVIDENDE.
Welche wirtschaftlichen Effekte durch verstärkte Digitalisierung zu lukrieren sind, geht aus einer weiteren Studie von Ökonom Christian Helmenstein und dem Beratungsunternehmen Accenture aus dem Vorjahr hervor: Jede zusätzlich Digitalisierungsstufe, die ein Unternehmen erfolgreich nimmt, erhöht demnach Umsatz und Produktivität. Der Effekt fällt umso stärker aus, je höher das digitale Ausgangsniveau bereits ist. Investitionen in die Digitalisierung lohnen sich zwar für Unternehmen jeder Größe und in jeder Ausgangslage. Große und bereits gut digitalisierte Firmen profitieren allerdings auch durch Skaleneffekte stärker davon als kleine.
Diese im Rahmen der Studie erstmals empirisch nachgewiesene Erkenntnis zur "digitalen Dividende" benennt für KMU zugleich auch ihr digitales Dilemma: Ein Rückstand gegenüber stärker digitalisierten Konkurrenten neigt so nämlich tendenziell dazu, immer größer zu werden. KMU müssten demnach ihre Prozesse sogar schneller und entschlossener digitalisieren als alle anderen. Helmenstein ortet bei ihnen den "größten Aufholbedarf".
DURCHBLICK UND TOOLS.
Mazars-Partner Dessulemoustier verortet die kritische Schwelle, unter der das Digitalisieriungsniveau signifikant schwächer ist, bei rund 100 Mitarbeitern: "Das ist wohl eine kritische Größe, ab der es einer anderen Organisation bedarf, in der die Umstellung auf Digitalisierung offenbar leichter fällt." Obwohl es eine ganze Reihe von Förderungen und Förderstellen für Digitalisierungsprojekte gibt, fehlt diesen KMU oft der Durchblick im Förderdschungel. "Es bräuchte eine Ansprechstelle, die alle Fördermöglichkeiten koordiniert", so der Experte. Inhaltlich sieht er den lohnendsten ersten Schritt ins Digitalzeitalter im Rechnungswesen: "Dafür gibt es ausreichend Tools am Markt. Und gerade bei Rechnungswesen, Lohnverrechnung und allen Personalthemen kann sich auch ein Inhaber oder Geschäftsführer mit nur zehn oder 15 Mitarbeitern von vielen, teils lästigen Tätigkeiten freischaufeln."
Ein Spezialist für solche Tools ist BMD, ein in Steyr ansässiger heimischer Anbieter von Businesssoftware für Betriebe und Steuerberater, die durch einfache Anpassbarkeit besonders für die Anwendung in kleinen und mittelgroßen Unternehmen prädestiniert ist. BMD- Geschäftsführer Markus Knasmüller kennt die KMU-Problematik:"Wo es wenig Technikbewusstsein gibt, ist der Einstieg oft schwierig. Bei der elektronischen Rechnung ist lange nicht viel weiter gegangen. Viele Unternehmen haben erst umgestellt, als es vom Bund verpflichtend verlangt wurde."
Hat sich ein Unternehmer aber einmal zur Digitalisierung entschlossen und steht persönlich dahinter, funktioniert die Umstellung seiner Erfahrung nach oft sogar reibungsloser als in größeren Organisationen mit ihrem komplexeren Strukturen. KMU in Kooperation mit ihrem Steuerberater können von Automatisierung und KI im Rechnungswesen genau so gut profitieren wie Großbetriebe: automatisches Handling sowie vereinfachtes Kontieren und Verbuchen von Belegen, Fehlervermeidung, Finanzüberblick in Echtzeit, gesicherte Einhaltung von Zahlungsfristen sowie mit alldem verbunden vor allem die Befreiung von zahlreichen Routineaufgaben.
Mit der neuen App BMD Go bietet das Systemhaus ein Werkzeug zur einfachen digitalen Erfassung von Belegen, aber auch zur mobilen Zeiterfassung etwa vor Ort bei Bauprojekten. Die so erfassten Daten werden direkt ins Rechnungswesen übernommen, fehleranfällige Schnittstellen vermieden. Ein anderes Beispiel ist eine Schnittstelle zu Bankdaten, die Unternehmen und ihren Steuerberatern das gemeinsame Bearbeiten des Zahlungsverkehrs wesentlich erleichtert. Diese "finAPI" hat BMD in seine Software integriert. "Die Zahlungsfreigabe führt das Unternehmen mit seinen Zugangsdaten aus und behält so die Hoheit über seine Bankanbindungen. Die Steuerkanzlei bekommt die Bankbewegungen, quasi als Nebenprodukt, vollautomatisch mitgeliefert", erklärt BMD-Verkaufsleiter Wolfgang Floißner. Verloren ist das digitale Rennen für die KMU also trotz Rückstand noch keineswegs.
INTERVIEW
"Ausreichend Tools am Markt, aber KMU fehlen Ressourcen"
Mazars-Partner MICHAEL DESSULEMOUSTIER über die Schwachstellen von KMU bei der Digitalisierung.
trend: Ist der vielzitierte Digitalisierungsschub durch die Pandemie wirklich überall angekommen?
DESSULEMOUSTIER: Je größer Unternehmen sind, desto mehr Digitalisierungsmaßnahmen haben sie getroffen. Große haben schon vor Corona viel getan und tun seitdem noch mehr. Bei den kleineren gab es vorher leider wenig Digitalisierung, und in der Pandemie hat sich kaum etwas getan.
Warum?
Aus meiner Erfahrung hatten KMU in dieser Zeit mit der Organisation und Aufrechterhaltung des Betriebs unter ständig wechselnden Rahmenbedingungen zu kämpfen. Sie hatten weder den Kopf noch Ressourcen für die Umstellung von Prozessen. Diese Vermutung hat sich dann in einer wissenschaftlichen Untersuchung auch tatsächlich manifestiert.
Was haben Sie da genau erhoben und welche Erkenntnisse gewonnen?
Es ging um Digitalisierungsprozesse, insbesondere im Rechnungswesen, bei Unternehmen mit 20 bis 500 Mitarbeitern, wobei in der Auswertung weiter nach Größenklassen differenziert wurde. Es zeigte sich, dass 100 Mitarbeiter wohl eine kritische Größe sind, ab der es einer anderen Organisation bedarf, in der die Umstellung auf Digitalisierung offenbar leichter fällt. Darunter gibt es einen Bruch in der Umsetzung: Kleinere haben in der Verwaltung viel seltener Homeoffice ermöglicht. Sie arbeiten im Rechnungswesen in viel geringerem Ausmaß papierlos als größere Unternehmen. Selbst Belege, die zum großen Teil heute digital ankommen, werden oft noch ausgedruckt und händisch erfasst statt digital weiterverarbeitet.
Zu wenig Ressourcen, um Digitalisierung voranzubringen, daher ineffiziente Prozesse, die Ressourcen binden. Wie kommen Unternehmer aus dem Dilemma raus? Wo anfangen?
Rechnungswesen, wo einfache Prozesse oft wiederholt und Zahlen verarbeitet werden, bietet sich zum Anfangen mit der Digitalisierung an. Für derartige Prozesse gibt es ausreichend Tools am Markt, das muss man nicht neu erfinden, durch vielfältige Förderungen ist es auch kein Kosten-, sondern ein Organisationsthema. Privat scheint der Einstieg in die Digitalisierung bei Einkauf oder Mediennutzung deutlich niederschwelliger zu sein als im Betrieb. Dabei könnte sich ein Inhaber oder Geschäftsführer auch mit nur zehn oder 15 Mitarbeitern gerade bei Rechnungswesen, Lohnverrechnung und allen Personalthemen von vielen, teils lästigen Tätigkeiten freischaufeln.
Könnte man von den Rahmenbedingungen her mehr für KMU tun?
Es gibt eine große Zahl einzelner Fördermaßnahmen und Förderstellen für Themen, die mit Digitalisierung zu tun haben -von AMS, AWS, FFG, Ministerien, Bund, Länder bis zu Kammern. Alle haben Förderungen für spezifische Bereiche, manche temporär. Unternehmen sind damit überfordert, einen Überblick über alle diese Förderungen zu bekommen. Es bräuchte eine zentrale Stelle, die alles koordiniert als ersten Ansprechpartner für alles. Es ist zu hoffen, dass das neu geschaffene Staatssekretariat für Digitalisierung zu einem solchen Digitalisierungs-Hub und Koordinator wird.
Was passiert, wenn nichts passiert?
KMU sind das Rückgrat der Wirtschaft in Österreich. Dort werden gute Jobs gemacht, aber bei der Umstellung von Prozessen kommen sie nicht weiter. Unsere Studie ist ein Weckruf. Die Generation der Digital Natives tritt jetzt in den Arbeitsmarkt ein. Dort treffen sie auf KMU, die nur in geringem Maße digital arbeiten. Niemand will Belege sortieren. Wer nicht digitalisiert, vertut daher nicht nur Chancen am Arbeitsmarkt, sondern auch darauf, einen Nachfolger zu finden und den Betrieb weiterzugeben.
Der Artikel ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 25. Mai 2022 entnommen.