Martin Butollo, CEO Commerzbank Österreich
©STEFAN JOHAMAngesichts des herausfordernden wirtschaftlichen Umfelds rät Martin Butollo, Österreich-Chef der Commerzbank, Investitionen in Zukunftstechnologien und Nachhaltigkeit nicht zu vernachlässigen.
In den Medien war viel über eine erwartete Pleitewelle nach Auslaufen der Corona-Hilfen zu lesen, und auch die Kreditschutzverbände haben davor gewarnt. Tatsächlich sind bereits mehr Insolvenzen als während Corona zu verzeichnen. Rollt die Pleitewelle schon?
Eine Pleitewelle hat es bis jetzt nicht gegeben. Die Insolvenzen sind wieder auf "normalem" Niveau angelangt – das ist eben auch Teil einer Marktwirtschaft. Jetzt ist wieder Normalität eingekehrt.
Nicht nur die Konsumenten, auch die Unternehmen stöhnen unter der Inflation. Ist da in absehbarer Zeit eine Erleichterung in Sicht?
Die Inflation hatte mehrere Gründe. Dazu zählten die hohen Energiepreise, die gestiegenen Preise für Nahrungsmittel und die Lieferkettenprobleme im Nachgang zur Pandemie. Die Inflationsrate ist in den vergangenen Monaten dann deutlich gesunken. Im November lag die Inflationsrate im Euroraum bei 2,4 Prozent, auch wenn sie in Österreich derzeit noch deutlich darüber liegt. Angesichts des kräftigen Lohnauftriebs halten wir es jedoch für verfrüht, den Sieg über die Inflation zu verkünden. Thema Sparquote: Diese war während der Pandemie hoch, es ist viel Geld vorhanden. Die Binnennachfrage ist zwar immer noch sehr hoch, aber global nimmt die Nachfrage ab.
Warum ist das so?
Die massiven Leitzinserhöhungen der Notenbanken werden die Konjunktur belasten. Hohe Zinsen üben immer eine restriktive Wirkung auf die Konjunktur aus.
Sie haben die hohen Zinsen erwähnt. Für Unternehmen haben sich Finanzierungen deutlich verteuert. Merken Sie das in der Kreditnachfrage?
Man merkt schon, dass Unternehmen gewisse Investitionen gründlicher prüfen und aufgrund einer allgemeinen Unsicherheit teils auch verschieben. Natürlich spielt da auch die Steilheit der Zinsanhebungen eine Rolle, denn in absoluten Werten sind vier Prozent Zinsen bei historischer Betrachtung ja nicht besonders viel. Aber wenn es jahrelang praktisch Nullzinsen gibt, und dann steigen die Zinsen binnen weniger Monate steil an, haben das schon viele Unternehmen gespürt, insbesondere in sensitiven Branchen wie der Bauindustrie. Der Neubau ist ja deutlich zurückgegangen.
Gibt es bereits einen Investitionsstopp?
Nein, natürlich finden nach wie vor Finanzierungen und Investitionen statt. Es gibt einfach gewisse Investitionsnotwendigkeiten: Nachhaltigkeit, Energiewende, Verlagerung von Produktionsstätten und Reduzierung von Abhängigkeiten, Stabilisierung der Lieferketten, Suche nach neuen Absatzmärkten und die Frage, wo Möglichkeiten zur Diversifizierung sind – das alles erfordert Investitionen, bei denen die Commerzbank helfen kann.
Was die Verlagerung betrifft – ist es realistisch, dass Produktionen zurück nach Europa kommen?
Dass Produktionen jetzt im großen Stil nach Europa zurückgeholt werden, sehe ich nicht. Aber die geopolitischen Verwerfungen haben sicher einiges bewirkt. Es gibt in der Welt zahlreiche Krisengebiete, da sind die Unternehmen aufgerufen für Beschaffungssicherheit zu sorgen, aber auch die Absatzmärkte zu diversifizieren. Dadurch werden neue Handelskorridore entstehen.
Welche Regionen sind da interessant? Wer werden die Gewinner und wer die Verlierer sein?
Ein Thema ist sicher Nordafrika und der Mittlere Osten. Das hat mit Energieverfügbarkeit zu tun, auch mit erneuerbarer Energie – Stichwort: grüner Wasserstoff, aber auch Rohstoffe. Oder Südostasien mit rund 600 Millionen Einwohnern, das auch ohne China ein interessanter, wachstumsstarker Markt ist – sowohl bei den Absatzmöglichkeiten als auch bei der Beschaffung. Die USA werden natürlich auch wichtig bleiben. Diversifizierung ist das Gebot der Stunde.
Ist schon eine Verlagerung strategisch wichtiger Produktionen von Produktionsstätten etwa in Asien nach Europa sichtbar?
Tendenzen sind sichtbar, aber man erkennt auch, dass China als Beschaffungsmarkt sehr wichtig ist, dass man damit leben muss. Die Globalisierung hat sicher einen Dämpfer erfahren, aber nur lokal für lokal zu produzieren, funktioniert nicht.
Steckbrief
Martin Butollo
MARTIN BUTOLLO ist seit 2013 Country-CEO der Commerzbank in Österreich. Nach seinem Studium an der Wiener Wirtschaftsuniversität und der Pariser HEC trat Butollo bei PricewaterhouseCoopers ein und wechselte dann nach Frankfurt, wo er bei der Dresdner Bank und der Commerzbank Bankerfahrung sammelte.
Interview aus trend. EDITION vom Dezember 2023.