Die rasch zunehmende Bedeutung der ESG-Kriterien erfordert ein Umdenken bei Unternehmen und von Top-Managern.
©Getty Images/iStockphotoIm traditionellen Finanzmanagement steht Profitstreben im Vordergrund. In letzter Zeit wurde jedoch auch das Akronym ESG ein wichtiges Ziel für Unternehmen. Jakob Müllner analysiert, was das für Unternehmen, Führungskräfte und Entscheidungsträger bedeutet.
ESG steht für Environmental, Social & Governance, also Umwelt, Soziales & verantwortungsvolle Unternehmensführung. Das Akronym umfasst eine nicht strikt definierte Palette an Ethik- und Nachhaltigkeitsstandards, anhand derer Investitionen bewertet und externen Stakeholdern erläutert werden. Während die Coronakrise zahlreiche Langzeitentwicklungen auf den Kopf gestellt hat, hat der ESG-Trend die turbulente Pandemiezeit nicht nur unbeschadet überdauert, sondern geht sogar verstärkt aus dieser hervor.
Im letzten Quartal des Jahres vor dem Ausbruch der Pandemie wurden grüne Anleihen mit einem Gesamtwert von 78.394 Millionen USD ausgegeben. Nur 12 Monate später, inmitten der ersten strengen Lockdowns, stiegen die Emission im zweiten Quartal 2020 auf über 210.371 Millionen USD (+ 268 %). Ähnliche Wachstumstrends zeigten sich auch bei weiteren Finanzprodukten mit ESG-Bezug, etwa Firmenkrediten, Projektfinanzierung, Fusionen und Übernahmen und sogar SPAC-Transaktionen.
Heute werden bei Investitionsentscheidungen, die 30,7 Billionen USD und damit insgesamt 39 % des weltweit verwalteten Vermögens betreffen, ESG-Faktoren berücksichtigt.
ESG: Sein oder Nichtsein
Diese Zahlen machen deutlich, dass Investoren beträchtliche Summen für den Ankauf nachhaltiger Anleihen bereithalten. Tatsächlich deckt das Angebot an ESG-konformen Finanzprodukten die massive Nachfrage nicht, sodass Emittenten bei der Ausgabe neuer Titel mittlerweile auf die Bremse treten, da sie befürchten, das veranlagte Geld nicht ausgeben zu können. Seit Kurzem haben Banken und Börsen sogar spezielle an ESG-Kriterien geknüpfte Derivate im Angebot.
Es wäre ein Fehler, diese Entwicklungen als kurzfristigen Trend in der Finanzbranche abzutun, denn sie werden weitreichende Auswirkungen haben. Unternehmen, denen es gelingt, diese massiven ESG-Gelder zu erschließen, können einen echten Finanzierungsvorsprung erzielen. Wer es hingegen verabsäumt, auf den ESG-Zug aufzuspringen, wird letztendlich große Schwierigkeiten haben, den ESG-Anforderungen von Kreditgebern, Investoren, Kunden, Lieferanten und Gesetzgebern gerecht zu werden.
Sind ESG und CSR nur für große Konzerne relevant?
Ratingagenturen verwenden mittlerweile besondere Metriken bei ihren Bewertungen. Von den fast 8.000 im Jahr 2019 durch Moody’s vorgenommenen Rankings im Privatsektor (Ab- oder Aufwertungen) verwiesen 33 % auf die eine oder andere Art auf Gründe in Zusammenhang mit ESG (Moody’s ESG Focus, 2022). Für Unternehmen wirken sich derartige Ratings direkt auf ihre Möglichkeiten der Fremdfinanzierung, Kapitalkosten und Wachstumschancen aus.
Führende Universitäten und Forschungsinstitute wie Columbia oder die Wharton Business School zeigten in Studien, dass sowohl AktionärInnen als auch KonsumentInnen ESG- und CSR-Bemühungen honorieren, wodurch sich diese für Unternehmen auch in finanzieller Hinsicht auszahlen können. Doch sind ehrgeizigere ESG-Ziele nur etwas für große, von Kreditagenturen bewertete Unternehmen? Das Gegenteil ist der Fall.
Am 6. Juli 2021 präsentierte die Europäische Kommission ihre „Strategie zur Finanzierung des Übergangs zu einer nachhaltigen Wirtschaft“, die den europäischen Grünen Deal unterstützen wird. Ein wichtiger Leitgedanke dieser Strategie ist die Erleichterung des Zugangs zu nachhaltigen Finanzierungsmöglichkeiten für Privatpersonen und KMUs.
Im Oktober 2022 wird eine erste Reihe an Standards der Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung von Unternehmen in Kraft treten. Diese werden das Kapital von großen Unternehmen, Banken und Versicherungen in der gesamten Europäischen Union verstärkt in Richtung nachhaltiger Aktivitäten lenken. In weiterer Folge werden auch Unternehmen, die vom ESG-Aufschwung bisher unberührt blieben, von diesem Kapital profitieren können.
Derzeit fehlt es zahlreichen KMUs an organisatorischen Kapazitäten und der erforderlichen Expertise, um die Erfordernisse einer Nachhaltigkeitsberichterstattung zu erfüllen. So können sie nicht nachweisen, dass sie in ESG-relevanten Bereichen robust aufgestellt sind und keine entsprechenden Investitionen lukrieren. Für ESG-konforme Investitionen vorgesehenes Kapital und die entsprechende regulatorische Praxis werden jedoch in absehbarer Zukunft eine Situation schaffen, in der eine ausgefeilte ESG-Strategie und solide Kenntnisse der Thematik Firmen echte Wettbewerbsvorteile verschaffen werden.
Wird uns ESG auch in der Zukunft beschäftigen? Daran besteht kein Zweifel. Branchenexperten wie Moody’s gehen sogar davon aus, dass COVID und seine gesellschaftlichen Folgen die Relevanz von ESG und insbesondere den gesellschaftlichen Aspekten (für die das S in ESG steht) noch weiter erhöhen werden.
ESG-Expertise als Schlüsselkompetenz für Führungskräfte von morgen
Die Neueinschätzung der Profitausrichtung ist sowohl für CEOs, die ihr Unternehmen auf die Überholspur führen wollen, als auch für Regierungen, die die ihnen anvertrauten öffentlichen Gelder möglichst gewinnbringend verwalten möchten, gleichermaßen höchst relevant: Nachhaltige Finanzprodukte könnten der Schlüssel für den wirtschaftlichen Wiederaufschwung nach der Coronaviruspandemie sein – und mit dem richtigen ESG-Know-how kann dieses Potenzial auch ausgeschöpft werden.
Wem die genannten Forschungsergebnisse nicht ausreichen, dem oder der sei das Beispiel von BlackRock ans Herz gelegt. Der weltweit größte Vermögensverwalter hat nach seinem nachhaltigen Kurswechsel mehr ESG-Portfolios und ETFs mit Nachhaltigkeitsfokus als je zuvor gehandelt und mit 4,8 Milliarden USD Rekordergebnisse erzielt. Das sollte auch die hartgesottensten AnhängerInnen der alten Ordnung davon überzeugen, dass das Aufspringen auf den ESG-Zug für Unternehmen handfeste finanzielle, strategische und wirtschaftliche Vorteile bringt.
Wie Unternehmen vom ESG-Trend profitieren können
ESG wird uns noch lange begleiten und in gewisser Weise ist es ein zweischneidiges Schwert. Unternehmen gehen ein Risiko ein, wenn sie den Trend komplett ignorieren. Auch ein dilettantischer oder nicht aufrichtiger Umgang mit ESG-Themen kann zu beträchtlichen Imageschäden führen. Um einen Wettbewerbsvorteil aus dem ESG-Trend zu schlagen, müssen Unternehmen...
Eerstens ... ihre eigene Situation verstehen. Unternehmen sind also gut beraten, die wichtigsten, ihre Branche betreffenden ESG-Themen im Auge zu haben. Der Anbieter von ESG-Ratings MSCI hält beispielsweise online eine graphische Darstellung der wichtigsten ESG-Themen für verschiedene Branchen bereit, die einen ersten Überblick ermöglicht. Wie können Unternehmen den ESG-Trend zu ihrem Vorteil nutzen? Im Gegensatz zu Unternehmen, die den neuen ESG-Gegebenheiten nicht gewachsen sind (das jüngste Beispiel hierfür ist Exxon, das vom aktivistischen Investor Engine No. 1 überrumpelt wurde), nutzen gut gewappnete Organisationen ihre Kompetenzen und Erfahrungen im ESG-Bereich, um ihre Finanzierungsquellen, ihren Kundenstamm und, je nach Branche, ihren Innovationspool auszubauen.
Zweitens Basierend auf einem grundlegenden Verständnis der wichtigsten Themen, die ein Unternehmen je nach Branche betreffen können, können sich Unternehmen dann der Bewertung und dem Benchmarking widmen. Auf den meisten Finanzmärkten werden ESG-Ratings (etwa von Sustainalytics, MSCI etc.) zur Bewertung der ESG-Aktivitäten von Unternehmen herangezogen. Ein Verständnis der Funktionsweise dieser Ratings und der Bereiche, in welchen sich Firmen in diesen Rankings von Mitbewerbern abheben können, ist daher essenziell.
Die wichtigsten ESG-Erkenntnisse für CEOs
Welche Aufgaben haben Manager?
Um ESG-Kompetenzen aufzubauen, die auch von der Öffentlichkeit anerkannt werden, müssen Unternehmen mit den verschiedensten Interessensgruppen in Beziehung treten, ihre Ergebnisse nach dem Drei-Säulen-Modell der nachhaltigen Entwicklung aufschlüsseln und ihre ESG-Werte sowohl intern als auch extern bewerben. Ehrliche, offene und faktenbasierte Kommunikation ist die Grundlage, um vertrauensvolle Beziehungen mit Stakeholdergruppen aufzubauen. Oberflächliche oder sogar irreführende Aussagen bergen die Gefahr des Vorwurfs des Greenwashing, was Unternehmen finanziell und auch in Hinblick auf ihren Ruf teuer zu stehen kommen kann. Um den Anforderungen der Stakeholdergruppen gerecht zu werden, müssen ManagerInnen ESG umfassend verstehen.
Was bedeutet es, ESG zu verstehen?
Die ESG-Berichterstattung steckt noch in den Kinderschuhen und bis dato gibt es (noch) keine eindeutigen, universellen Berichterstellungsstandards. Nichtsdestotrotz ist es wichtig für ManagerInnen, sich mit bisher etablierten ESG-Reportingrahmen auseinanderzusetzen.
Vielen InvestorInnen sind wohl, neben anderen Beispielen, das Sustainability Accounting Standards Board (SASB), die Global Reporting Initiative (GRI) oder das Carbon Disclosure Project (CDP) ein Begriff. Des Weiteren können die eigenen ESG-Leistungen auch mit Verweis auf die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der Vereinten Nationen beschrieben werden und damit verschiedene Zielgruppen erreicht werden.
Es gibt zudem verschiedene vielversprechende private sowie länderübergreifende Initiativen zur Etablierung einheitlicher Konzepte. Dazu zählen etwa das Natural Capital Protocol und The Equator Principles für den Bankensektor. Wenn ManagerInnen umfassende ESG-Expertise und Kompetenzen entwickelt haben, können sie sich an den nächsten Schritt wagen: diese Fertigkeiten in Wettbewerbsvorteile umzuwandeln.
Wie generiert man mit ESG Wettbewerbsvorteile?
Wenn Unternehmen basierend auf Initiativen dieser Art nicht nur voraussehen wollen, wann eine Anpassung ihrer Geschäftspraxis notwendig werden könnte, sondern auch proaktiv Geschäftsmöglichkeiten ableiten möchten, müssen sie die diversen ESG-Rahmen eingehend verstehen und strategisch einsetzen können.
Wenn die Geschäftsführung mit der Thematik wenig vertraut ist, kann externe Unterstützung Abhilfe schaffen. Mittlerweile gibt es zahlreiche Firmen, die sich auf ESG-Bewertungen spezialisiert haben. Bewertungen dieser Art bringen nicht nur Expertise in das Unternehmen, sie dienen auch als unabhängige Bestätigung von Berichten und Mitteilungen, ähnlich der Bestätigung, die Unternehmen durch WirtschaftsprüferInnen erfahren. Um die Informationen von ESG-Bewertungen in Geschäftsmöglichkeiten zu verwandeln, müssen Unternehmen die diversen ESG-Rahmen eingehend verstehen und strategisch einsetzen können.
WU Executive Academy
Die WU Wien, eine der weltweit führenden Business-Hochschulen, bündelt in der WU Executive Academy ihr Programmportfolio im Bereich „Executive Education“. Zu diesen zählen MBA, Master of Laws und Professional Master Programme, das Universitätsstudium Diplom BetriebswirtIn, Universitätslehrgänge, kompakte Weiterbildungsprogramme und Custom Programs. KI ist an der WU Executive Academy bereits in vielen Lehrangeboten ein wichtiger Teil der Digitalökonomie, der auch konkret angewandt wird. Mit durchschnittlich 750 Graduate Students und ca. 900 Führungskräften, Fachleuten und High-Potentials aus über 75 Ländern, die jährlich an den Programmen teilnehmen, gehört die WU Executive Academy zu den führenden Weiterbildungsanbietern in Zentral- und Osteuropa.