Der international führende Berater und Managementdenker Hermann Simon im trend. Interview über Strategien zur Inflationsbewältigung.
trend: Sie zählen zur Generation, die ähnliche Inflationsraten schon erlebt hat. Was kommt als Folge der Inflation auf Betriebe und Manager zu?
Hermann Simon: Auch wenn das nicht zuletzt von den Zentralbanken lange schöngeredet wurde, ist die Inflation keineswegs unerwartet gekommen. In den 70er-Jahren war der Auslöser der Ölpreisschock, diesmal sind es mehrere Ursachen von Corona über Lieferketten bis Ukraine und vor allem Aufblähung der Geldmenge. Die Inflation hat schon 2021 angezogen und sich, wie in den 70ern, dann extrem beschleunigt. Heutige Manager haben keine eigenen Erfahrungen damit.
Was ändert sich etwa bei Preisverhandlungen?
Im Vertrieb liegen zwei, drei Jahrzehnte mit jährlichen Preiserhöhungen von zwei Prozent und weniger hinter uns. Darüber gab es ein Jahresgespräch und da wurde schon hart verhandelt. Jetzt muss der Vertrieb viermal oder achtmal im Jahr Preiserhöhungen kommunizieren. Darauf muss man nicht nur argumentativ, durch Betonung des Kundennutzens, sondern auch psychologisch, durch Übungen wie Rollenspiele, vorbereitet sein. Es werden mehr Vertriebsleute kündigen, denn nicht jeder verkraftet es, immer wieder andackeln zu müssen, beschimpft und rausgeworfen zu werden.
Welche Bereiche sind noch betroffen?
Von der Inflation betroffen sind alle betrieblichen Funktionen. Der Einkauf muss jetzt schauen, dass er notwendige Materialien überhaupt bekommt, damit nicht alles stillsteht, und rückt damit in eine Gesamtverantwortung für die Funktionalität des Unternehmens. Da hat man natürlich selbst als sehr guter Verhandler nur eine sehr geringe Pricing Power.
Was hat im Topmanagement Priorität?
Der Kulturwandel nach Jahrzehnten Preisstabilität ist Chefsache. Der Chef muss für Gewinntransparenz sorgen. Mitarbeiter schätzen den Nettogewinn auf 22 Prozent. Leute glauben an gigantische Gewinnmargen und agieren auch in diesem Bewusstsein. Real sind es nur drei bis vier Prozent. Steigende Kosten, die ich nicht auf die Preise überwälzen kann, schlagen auf diesen sehr kleinen Gewinnpuffer durch.
Was ist im Finanzbereich noch zu beachten?
Schnell steigende Preise erfordern tagesaktuelle Kalkulation mit zeitnahen Wiederbeschaffungskosten, nicht mit historischen Anschaffungskosten. Man muss die Prozesse im Rechnungswesen und Informationssystem verkürzen. Geld wird zur verderblichen Ware, muss schnell eingetrieben und in werthaltiger Form angelegt werden. Steigende Zinsen machen Refinanzierungen schwierig und beeinflussen die Vorteilhaftigkeit von Investitionsrechnungen. Amazon hat 20 Jahre keine Gewinne gemacht. Geht so ein Modell auf, wenn man mit zehn Prozent abdiskontiert?
Preispolitik ist Ihre besondere Domäne. Was raten Sie da?
Es wäre naiv, anzunehmen, die Kosten komplett überwälzen zu können, weil man die Preisbereitschaft der Kunden nicht kennt. Die Betonung der Nutzenseite ist das Wichtigste im Pricing. Das heißt, Argumentation zu Nutzenkommunikation verlagern, Vorteilhaftigkeit betonen. Wird der Nutzen höher wahrgenommen, steigen der Spielraum für den Preis und die eigene Pricing Power.
Ein Ausblick oder Resümee?
Es wird für viele Unternehmen jetzt sehr hart und man muss schnell agieren.
Das Interview ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 14.10.2022 entnommen.