Die wirtschaftliche und politische Entwicklung Italiens weckt Erinnerungen an die Schuldenkrise. Investment-Experte Ken Fisher ist überzeugt: Die Krise wird nicht die Ausmaße wie jene im Jahr 2002 annehmen.
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ITALIENISCHE KRISE. Wird die aktuell wieder aufflammende italienische Schuldenkrise den Brenner überqueren?
Viele behaupten das, insbesondere nach dem Ausscheiden von Premierminister und Ex-EZB-Kopf Mario Draghi und den Fratelli d'Italia von Giorgia Meloni an der Spitze einer nun populistisch geprägten Dreierkoalition mit Salvini und Berlusconi. Wird sie sich gegen Brüssel stellen? Wird es EU-Hilfen brauchen? Droht gar ein Zusammenbruch des Euro? Nein!
Ein paar Fakten zu Italien
Gegen all die Trübsal hier ein paar Fakten: Ja, Italiens Verschuldung beträgt 153 Prozent des BIP. Damit ist sie beinahe doppelt so hoch wie in Österreich. Am Ende des Tages geht es aber um die Bezahlbarkeit von Schulden. Daten zufolge betrug die Zinslast Italiens am Ende von Q2 12,6 Prozent des Steueraufkommens. Das ist weniger als die im Schnitt 43 Prozent Mitte der 1990er-Jahre, als die Zinssätze für einjährige Anleihen zwischen acht und elf Prozent lagen. Zahlungsausfälle gab es damals nicht. Also wird es sie auch heute nicht geben.
Dafür müssten die Zinsen gewaltig in die Höhe schießen und auch genau dort bleiben. Die Renditen von Zehnjahresanleihen stiegen seit dem Rücktritt Draghis bis Anfang Oktober jedoch um nur 0,82 Prozentpunkte - kaum mehr als die österreichischen Staatsanleihen mit 0,76 Prozentpunkten oder die deutschen und amerikanischen, die beide um 0,65 Prozentpunkte zulegten.
Kein Griechenland II
Entscheidend sind nämlich die relativen Unterschiede von Renditen verschiedener Staatsanleihen. Die italienische Zehnjahresrendite markiert in etwa einen halben Prozentpunkt über US-Anleihen, dem "sicheren Hafen". Das ist nur wenig mehr als im Dezember, als die italienische Zehnjahresrendite 0,34 Prozentpunkte unter ihrem amerikanischen Pendant hielt. Wären die italienischen Schulden also eine Bedrohung, würden Anleger sehr viel mehr verlangen.
Man denke an Griechenland im Jahr 2011. In jenem August brachten die Zehnjahresanleihen ganze 9,26 Prozentpunkte mehr als die amerikanischen - vor dem Rettungspaket im Februar 2012 sogar 32 Prozentpunkte mehr!
Selbst wenn die Zinsen steigen, beträgt die gewichtete durchschnittliche Fälligkeit der italienischen Schulden 7,1 Jahre - gegenüber 5,6 Jahren im großen Krisenjahr 2002, was teilweise die niedrigen Finanzierungskosten einschließt.
Für einen Zahlungsausfall bräuchte es mehrere Jahre mit hohen Zinsen und zugleich großes finanzpolitisches Ungeschick. Heute refinanziert Italien die fälligen Schulden billiger. Im September 2012 betrug die Rendite zehnjähriger Anleihen durchschnittlich 5,2 Prozent. Diese fälligen Schuldtitel können nun günstiger durch neue mit Zinsen von etwa vier Prozent ersetzt werden.
Spanien wird gerne ein Schuldnerdasein angedichtet - mit Verweisen auf eine Schuldenquote von 118 Prozent und sommerlichen Geldspritzen der EZB für den spanischen Anleihenmarkt. Aber die Renditen der spanischen Zehnjahresanleihen liegen einen halben Prozentpunkt unter denen der USA - das sollte uns beruhigen. Viele halten auch die britische Ausgabenpolitik sowie die Steuerkürzungspläne für einen nicht nachhaltigen Weg, trotzdem liegt die Zehnjahresrendite britischer Staatsanleihen nur 0,28 Prozentpunkte über der amerikanischen. Das ist wenig!
Mehrheit notwendig
Manche fürchten einen Anstieg der Zinsen in Italien gerade jetzt, wo Mario Draghi vom politischen Parkett verschwunden ist. Die Experten beobachten zügellose Ausgabenpläne der Populisten und übersehen dabei, dass Regierungspläne in Italien häufig wegen fehlender Mehrheiten nie Wirklichkeit werden.
Auch Melonis Pläne werden mit ihrer geringen Mehrheit zum Teil scheitern; allein schon, weil die für Verfassungsgesetze nötigen Mehrheiten schwer zu schaffen sein werden. Und auch in ihrer rechtspopulistischen Dreiparteienkoalition fehlen viele gemeinsame Nenner.
Abgesehen davon haben sich die EU- und euroskeptischen Befürchtungen bis zuletzt meist als überzogen erwiesen. Selbst vor ihrem jüngsten Wahlsieg wurde die Europakritik der italienischen Rechten moderater - um nicht mit der EU in Konflikt zu geraten und ein Zurückhalten oder Verzögern von Energiehilfen oder sonstigen Geldern zu riskieren.
Anleger sorgen sich also grundlos wegen des italienischen Schuldenstandes. Diese Befürchtungen werden ihnen - aber besonders den Italienern - wohl nicht schaden.
Der Gastkommentar ist der trend.PREMIUM Ausgabe vom 28. Oktober 2022 entnommen.
Über die Autoren
Ken Fisher
Kenneth Lawrence Fisher, geb. 1950, ist Investment-Analyst und einer der erfolgreichsten Investmentberater der USA. Er ist zudem Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Wirtschaft und Finanzen. Fisher ist Gründer und Vorsitzender von Fisher Investments, einer Firma für Finanzberatung und Vermögensverwaltung mit Sitz in Camas, Washington.