New York Stock Exchange.
©iStockphotoDie Pandemie hat in der Wirtschaft weniger Spuren hinterlassen als befürchtet. Die Stimmung steigt wieder - und die Aktien.
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ALLES ANDERS. Erinnern Sie sich noch an die Sehnsucht nach dem Leben, wie es vor Corona gewesen ist? Viele meinten, das würde nie zurückkommen – Lieferketten, Reisen und vieles mehr würde für immer anders sein. Selbst das Händeschütteln war vermeintlich verschwunden. Und jetzt? Ganz verstohlen kehrt die ökonomische Normalität zurück. Dennoch sehen die Experten das als riskant! Achten Sie nicht darauf. Freuen Sie sich über die Rückkehr einer bekannten Normalität.
Die pandemiebedingten Lockdowns führten zu wirtschaftlichen Schäden und beschleunigten viele Veränderungen, ob virtuelle Meetings oder der deutliche Push in Richtung E-Commerce und Homeoffice. Letzteres wird vermutlich nicht mehr verschwinden und die Unsicherheit bei Gewerbeimmobilien erhöhen. Denn es wird langfristig im Umkehrschluss die Mietkosten für Unternehmen natürlich senken.
RÜCKKEHR. Stressfaktoren, von denen manche glaubten, sie wären "gekommen, um zu bleiben", sind verschwunden. Beispiel Lieferkettenchaos: Der Global Supply Chain Pressure Index der Federal Reserve Bank of New York las sich im Oktober so gut wie seit 1997 nicht mehr. Die Vorlaufzeiten bei Zulieferern in der Eurozone verbesserten sich im zehnten Monat in Serie. Die Lieferzeiten der US-Produzenten haben sich deutlich verkürzt.
Frachtkosten sind massiv gesunken: allein für die Route Rotterdam nach New York um minus 79 Prozent gegenüber dem Vorjahr, von Shanghai nach Genua um minus 57 Prozent. Dies hat – zusammen mit dem Abbruch der irrsinnigen geldpolitischen Reaktion der Zentralbanken auf Covid-19 – die Inflation gebremst. Der österreichische Verbraucherpreisindex hat sich seit Januar halbiert! Grüß Gott, alte Normalität!
Was noch? Reisen! Ja, etwa zwei Drittel der europäischen Länder haben das vorpandemische Niveau nur fast erreicht. Bis September liegen die internationalen Ankünfte 2023 nur 3,2 Prozent unter jenen von 2019 im selben Zeitraum. Im August gab es in Österreich nur 3,9 Prozent weniger Ankünfte. Das Fluggastaufkommen in den USA ist höher als 2019. Das ist mehr als bloß "an alte Wachstumstrends im Tourismus anzuknüpfen". Aber es widerlegt die Behauptung eines beängstigenden Paradigmenwechsels. Willkommen, alte Normalität!?
Pessimisten betrachten die Meilensteine der alten Normalität als negativ, reiner Pessimismus des Unglaubens. Man denke nur an die Angst vor dem Einbruch der privaten Sparquote, vor allem in den USA, aber auch in Europa. Die aktuelle Quote von 3,4 Prozent (vom Einkommen nach Steuern) in Amerika scheint gegenüber dem Höchstwert von 26,1 Prozent im März 2021 gering. Aber die Anreizzahlungen während der handelsschädigenden Lockdowns lösten verrückte Sparquoten aus. Die heutige Quote ist gut und entspricht den durchschnittlichen vier Prozent im Verlauf des amerikanischen Bullenmarktes von 2002 bis 2007. In der Eurozone ist die Sparquote seit 2020 gesunken, steht jedoch über dem vorpandemischen Niveau. Wunderbare alte Normalität!
STIMMUNG. Zudem befürchten die Pessimisten den Rückgang der Geldmenge in der Eurozone und in den USA. Normalerweise würde ich das auch tun! Aber der von den Zentralbanken 2020 mitten im Lockdown irrsinnig weit aufgedrehte Geldhahn erstickte beinahe die Wirtschaft. Inflation griff um sich.
Der Rückgang der Geldmenge um 1,2 Prozent in der Eurozone und 1,7 Prozent in Amerika gegenüber dem Vorjahr signalisiert somit eine Rückkehr zur Vernunft. Ausgezeichnet, alte Normalität!
Stimmungstief in China? Das BIP stieg im Q3 gegenüber dem Vorjahr um 4,9 Prozent. Für das Gesamtjahr erwarten Analysten ein Wachstum von 5,2 Prozent, nahe den 5,9 Prozent im Jahr 2019. Das Wachstum in China hat sich natürlich mit zunehmender Reife der wirtschaftlichen Entwicklung verlangsamt. Nirgendwo geht es ewig steil bergauf. Das Jahr 2023 führte nur den alten Trend fort. Welcome back, alte Normalität!
Einen doch großen Unterschied gibt es seit 2019: die Zinsen. Die sinkende Inflation legt jedoch nahe, dass der jüngste Rückgang kein Zufall ist. Möglicherweise werden wir nicht mehr auf das extrem niedrige Niveau von 2008 bis 2020 kommen. Das ist okay. Volkswirtschaften und Aktienkurse sind schon oft mit den Zinsen gestiegen.
Die alte Normalität von 2019 war auch nicht perfekt. Aber Märkte müssten nicht perfekt, sondern nur gut genug sein, um Ängste zu entkräften. Dann steigen die Aktien. Hurra!
Der Kommentar ist aus trend. edition+ vom Dezember 2023.
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Über die Autoren
Ken Fisher
Kenneth Lawrence Fisher, geb. 1950, ist Investment-Analyst und einer der erfolgreichsten Investmentberater der USA. Er ist zudem Autor zahlreicher Bücher zu den Themen Wirtschaft und Finanzen. Fisher ist Gründer und Vorsitzender von Fisher Investments, einer Firma für Finanzberatung und Vermögensverwaltung mit Sitz in Camas, Washington.