Christoph Kopp
©beigestelltLange Zeit galten Südkorea, Taiwan und Singapur neben China als attraktivste Standorte (verlängerte Werkbänke) für die europäische Industrieproduktion, vor allem Automatisierungstechnik, Elektronik und High-Tech. Doch die zunehmenden geopolitischen Spannungen zwingen Unternehmen, sich nach Alternativen umzusehen. Dabei zeichnet sich ab, dass Vietnam und Indonesien die besten Karten für zukunftsfähige Wertschöpfung haben.
Die weltpolitischen Spannungen, aber nicht zuletzt die Covid-Pandemie, haben die ganze Verwundbarkeit globaler Lieferketten, und insbesondere die Abhängigkeit von China offenbart, das eine besonders strikte „Null-COVID“-Politik praktizierte. Diese Politik hatte Lieferengpässe und Produktionsstörungen im weltweiten Güterangebot zur Folge und verdeutlichte die starke Abhängigkeit vieler Unternehmen von chinesischen Lieferungen.
Die zunehmend aggressive Position Chinas in geopolitischen Konflikten und die weiterhin ungelöste Taiwan-Frage taten ein Übriges, um die globalen Spannungen zu den großen Handelspartnern EU und USA in den letzten Monaten zu verschärfen. Da ist eine Neubewertung der Standortrisiken wohl unvermeidbar, denn eine Eskalation zwischen China und seinen Anrainerstaaten hätte schwerwiegende weitere Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit bestehender, meist China-zentrierter, Wertschöpfungsketten Südostasiens.
Steigende Arbeitskosten in China
Aber nicht nur das. Auch der Anstieg der Arbeitskosten trägt dazu bei, dass China als Produktionsstandort an Attraktivität verliert. Die durchschnittlichen jährlichen Löhne in China sind von etwa 5.400 US-Dollar im Jahr 2010 auf 16.144 US-Dollar im Jahr 2020 gestiegen, was die Herstellungskosten deutlich erhöht und die Gewinnmargen für Unternehmen verringert hat. Zusätzlich verzeichnete China 2016 erstmals einen Rückgang der Produktionsleistung, der weiter zunehmen wird.
All diese Faktoren zwingen multinationale Unternehmen dazu, ihre Investitionen in China zurückzufahren bzw. sich regional breiter aufzustellen. Auch die CxO-Studie von Horváth zeigt, dass China nicht mehr der führende Einkaufs- und Produktionsstandort in Asien ist. Um Risiken zu reduzieren, werden vermehrt Investitionen in andere asiatische Regionen verlagert, was sich in der aktuellen wirtschaftlichen Entwicklung bestätigt. Bereits jetzt haben Unternehmen begonnen, China zu verlassen.
Vietnam als aufstrebender Standort
Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit steht dabei Vietnam, das sich in den vergangenen Jahren – mit überdurchschnittlich hohen Exportquoten und ausländischen Neu-Investitionen – beeindruckend entwickelt hat, mit jährlichen Wachstumsraten von 6,66 Prozent des GDP, und das trotz der Pandemie. Gut ausgebaute Infrastruktur und der aufstrebende Technologiesektor haben dazu beigetragen, dass die Innovationskraft des Landes erheblich gestiegen ist.
Vietnam hat außerdem zahlreiche Freihandelsabkommen im pazifischen wie europäischen Raum abgeschlossen, um Handelsbarrieren abzubauen. Einziges Manko für das positive Investitionsklima bleibt die Korruption. Auch Umweltaspekte sind nicht zu vernachlässigen: Der CO2-Ausstoß des Landes ist durch die verstärkten Industrieaktivitäten massiv gestiegen. Obwohl bereits Maßnahmen dagegen gesetzt wurden, ist es noch ein langer Weg zur Erreichung umfassender Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsziele.
Attraktive urbane Zentren wie beispielsweise Hanoi, Nam Định und Haiphong wachsen in der Gewerbe-, Elektronik- und Automobilindustrie jedenfalls signifikant. Die Infrastruktur wird massiv ausgebaut, Milliarden US-Dollar werden in neue Brücken, Güterhäfen und Tiefwasserterminals investiert. Viel Geld fließt auch in die F&E in den Universitäten des Landes. Das Lieferantennetzwerk wird durch staatliche Subventionen, z.B. in Form von Zinszuschussregelungen gefördert.
Besonders stark wächst die Elektronikindustrie und die Halbleiterfertigung. Samsung etwa investierte 2022 etwa 800 Millionen US-Dollar in die Halbleiterindustrie am Standort Thai Nguyen. Bereits 50 Prozent der Samsung-Smartphones kommen aus Vietnam. Apple-Zulieferer Foxconn will 300 Millionen US-Dollar in die Erweiterung seiner Produktionsanlagen in Nordvietnam zu investieren. Auch Festo, Rockwell Automation und Bosch Rexroth sind bereits seit Jahren in Vietnam ansässig und tragen zur Weiterentwicklung der vietnamesischen Fertigungslandschaft bei.
Indonesien mit ambitionierten Visionen
Ebenso wie Vietnam (knapp 100 Mio. Einwohner) hat der noch größere Inselstaat Indonesien (280 Millionen Einwohner) zuletzt eine rasante Entwicklung und eine gute Basis für die Fertigung von Massenprodukten gelegt – mit einem robusten jährlichen Wirtschaftswachstum von vier Prozent, attraktiven Kostenstrukturen und stabilen politischen Rahmenbedingungen. Die demographische Struktur zeichnet sich durch eine besonders junge Bevölkerung aus, Arbeitnehmer sind im Schnitt 30 Jahre alt (zum Vergleich in Deutschland: 44).
Während sich das Geschäftsumfeld durch verringerte staatliche Regulierungen und die Optimierung von bürokratischen Abläufen erheblich verbessert hat, liegt das Land laut internationalem „Corruption Perception Index“ noch 23 Plätze hinter Vietnam. Auch hinsichtlich Umwelt gibt es Probleme: Als einer der zehn größten CO2-Emittenten weltweit leidet Indonesien unter erheblicher Umweltverschmutzung und anhaltender Bedrohung durch Waldrodung.
Die Hauptstadt Jakarta ist ein attraktiver Standort, nicht nur Regierungssitz, sondern auch Verkehrsknotenpunkt und Wirtschaftszentrum des Landes – mit internationalem Flughafen, nationalen Schnellstraßen, Schienenanbindungen und dem größten Hafen Indonesiens – gute Voraussetzungen also für Investitionsaktivitäten der Automatisierungsindustrie. Die öffentliche Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen führt dabei zu einem breiten inländischen Zuliefererangebot durch unterstützende Industrien für das produzierende Gewerbe.
ABB ist bereits seit den 1980er-Jahren in der Region aktiv – mit mehreren Produktionsstätten sowie einem Forschungs- und Entwicklungszentrum in der indonesischen Hauptstadt. Im Jahr 2018 investierte ABB 30 Millionen US-Dollar in neue Produktionskapazitäten. Infineon investierte 2022 rund 2,6 Mio. Euro in die Erweiterung und Vergrößerung seiner Betriebsstätten. Omron stellte 2017 Fertigungsstätten im Wert von 15 Millionen US-Dollar fertig, um die Produktionskapazität auf dem indonesischen Markt zu erhöhen.
Fazit
Bedingt durch geopolitische Spannungen und steigende Arbeitskosten in China hält die europäische Automatisierungsindustrie Ausschau nach neuen attraktiven Standorten. Vietnam stellt sich im Vergleich als vielversprechender Favorit heraus. Mit stabiler Infrastruktur und herausragender Innovationskraft schafft das Land ideale Rahmenbedingungen für europäische Investitionen – Zeit also, die Weichen für neue Wertschöpfungsnetzwerke zu stellen.
Die Serie "Management Commentary" ist eine Kooperation von trend.at und der Managementberatung Horváth. Die bisher erschienen Beiträge finden Sie zusammengefasst im Thema "Management Commentary".