
Reform-Runde zum Thema Pensionen. Von links: Johannes Gasser (Neos), Erich Fenninger (Volkshilfe), Moderator Arne Johannsen, Marietta Babos (Finanzberaterin), Georg von Pföstl (fair-finance).
©Matt ObserveAusbau der betrieblichen Altersvorsorge und mehr Kapitalmarkt – oder doch lieber mehr Staat? Eine Expert:innen-Diskussion über Altersarmut und Reformdruck.
TREND: Wir zahlen im europäischen Vergleich hohe Pensionsbeiträge, trotzdem wird Altersarmut immer mehr zum Thema. Zeigt sich daran das Dilemma unseres Sozialstaates: hohe Ausgaben, aber wenig Effekt?
Erich Fenninger: Grundsätzlich erfüllt der soziale Wohlfahrtsstaat seinen Zweck, nämlich durch Transferleistungen zu verhindern, dass mehr Menschen armutsgefährdet sind. Was aber nicht mehr gilt, ist das Versprechen einer Aufstiegsgesellschaft, wo alle mit dem Lift rauffahren können. Wir sind eher eine Rolltreppengesellschaft, wo die einen rauf- und die anderen runterfahren.
Altersarmut ist vor allem ein Frauenthema. Woran liegt das?
Marietta Babos: Ich habe in meiner Familie selbst erlebt, dass meine Mutter nach dem Tod meines Vaters von Altersarmut bedroht war, obwohl sie zwei Kinder großgezogen hat und stets berufstätig war. Analysiert man die Erwerbsbiografien von Frauen, zeigt sich ganz deutlich, dass Familiengründung und Kinder für viele Frauen wirtschaftlich den freien Fall bedeuten. Und zwar nicht nur für Jahre, sondern für Jahrzehnte. Und diese Situation hat gleich drei fatale Folgen. Erstens fehlt natürlich in dieser Phase der Verdienst. Zweitens ist es immer noch verdammt schwer, nach einer Kinderpause die Karriereleiter wieder hinaufzukommen. Und weil das Bruttoeinkommen dadurch geringer ist, führt das auch schnurgerade zu einer deutlich geringeren Pension.
Kinder bedeuten für viele Frauen wirtschaftlich den freien Fall.

Was ließe sich dagegen tun?
Johannes Gasser: Es gibt eigentlich nur drei Stellhebel, an denen man ansetzen kann: höhere Beiträge, was in einem Hochsteuerland wie Österreich nicht unbedingt der beste Weg ist. Das Senken des Leistungsniveaus, was dazu führt, dass die, die jetzt einzahlen, später noch geringere Pensionen beziehen. Oder man ist ehrlich und sagt, wenn das Leistungsniveau gleich bleiben soll und die Pensionsbeiträge nicht steigen sollen, dann muss das Pensionsantrittsalter steigen. Denn zwei Drittel derjenigen, die in Frühpension gehen, tun das nicht wegen Krankheit oder Arbeitslosigkeit, sondern weil es die gesetzlichen Möglichkeiten gibt und es auch finanziell attraktiv ist.
Georg von Pföstl: Unser Pensionssystem ist nicht nachhaltig, deshalb braucht es radikale Änderungen, die über kosmetische Korrekturen hinausgehen. Wir brauchen ein Mehrsäulenmodell, wo die Säule zwei, also die betriebliche Altersvorsorge, eine deutlich prominentere Rolle spielt. Wir haben seit über 30 Jahren betriebliche Pensionskassen, trotzdem sind bis heute nur rund ein Viertel der Erwerbstätigen hiervon erfasst und nur rund 155.000 Personen beziehen derzeit eine Zusatzpension aus der Säule zwei. Angesichts dieser Zahlen muss man ehrlich sein und sagen, dass dieses Modell in Österreich bis dato nicht zum Fliegen gekommen ist.
Brauchen den Mut, bei Pensionsberechtigung und Antrittsalter die steigende Lebenserwartung zu berücksichtigen.

Was braucht es, um die Pensionskassen zum „Fliegen“ zu bringen?
Von Pföstl: Es gibt international Blaupausen für die Stärkung der betrieblichen Altersvorsorge, die bräuchte man nur kopieren. Man kann das über steuerliche Anreize machen, auch über Prämien, eventuell gekoppelt an Einkommensgrenzen, da gibt es viele Hebel. Fakt ist aber: Wir müssen es schaffen, die betriebliche Altersvorsorge flächendeckend auszurollen, ohne jetzt die Arbeitgeber zu sehr zu belasten. Denn den Faktor Arbeit zusätzlich zu belasten, schadet der Wettbewerbsfähigkeit Österreichs. Dann ruiniere ich mir selber dieses Konzept. Was aber auch wichtig ist: Wenn wir die staatliche Pension sichern wollen, muss der Kapitalmarkt eine deutlich stärkere Rolle spielen, sonst ist die notwendige Performance nicht zu erzielen.
Babos: Wir brauchen ein Pensionssystem, das – wie unter anderem in der Schweiz – auf drei Säulen ruht. Und das müssen wirklich tragende Rollen sein und nicht wie jetzt, wo es weitgehend auf der staatlichen Pension beruht. Und natürlich muss auch das Bewusstsein für die private Altersvorsorge deutlich gestärkt werden und die eigene Verantwortung in den Vordergrund rücken.
Fenninger: Aber das zielt schon auf Menschen ab, die über ein gewisses Einkommen verfügen und die in der Lage sind, gut am Leben teilzunehmen und dann noch privat vorzusorgen. Und da gibt es schon eine große Spreizung in unserer Gesellschaft, dass viele, die erwerbstätig sind, nicht in der Lage sind, privat vorzusorgen. Ein weiterer Aspekt ist, dass ich mich nicht wohlfühlen würde, wenn ich jetzt mit meinen Pensionsansparungen abhängig bin von einem oftmals entfesselten Finanzmarkt, wo viele Unsicherheiten auch eingelagert sind. Denken wir nur an die Finanzkrise 2008, „too big to fail“ usw.
Von Pföstl: Ja, es gibt Schwankungen an den Kapitalmärkten. Und wir wissen auch, dass ein großer Teil der Bevölkerung mit Unsicherheiten und Schwankungen nicht gut umgehen kann, was ein Thema in der Finanzbildung sein sollte. Aber wir reden ja bei den Pensionen von einer langfristigen Veranlagung, was das Risiko deutlich reduziert. Wenn wir bessere Veranlagungsergebnisse erzielen wollen, brauchen wir eine stärkere Einbindung des
Wir sind keine Aufstiegsgesellschaft mehr, sondern eine Rolltreppengesellschaft, wo die einen rauf- und die anderen runterfahren.

Ihre Wünsche für eine Reform des Pensionssystems?
Fenninger: Wir brauchen treffsichere Maßnahmen, um dieses Nach-unten-Fahren zu verhindern. Und wir müssen dafür sorgen, gerade was armutsgefährdete Menschen betrifft, dass die Würde des Menschen unantastbar bleibt, was wir in der Realität vielfach anders erleben. Aber leider tendiert die Politik in Österreich dazu, für alle Gruppen das Gleiche zu wollen, obwohl man deutlich mehr Effekt erzielt, wenn man gewisse Gruppen gezielt mehr unterstützt.
Gasser: Wir müssen den Mut und die Ehrlichkeit haben, die Lebenserwartung auch bei der Pensionsberechtigung und dem Antrittsalter zu berücksichtigen. Bei der betrieblichen Vorsorge müssen wir eine flächendeckende Abdeckung hinbekommen. Und wir müssen auch den Mut haben, den Menschen zuzugestehen, selber für sich Geld auf die Seite zu legen, und ihnen das – durch Entlastung während des Erwerbslebens – auch ermöglichen.
Babos: Ich wünsche mir, dass junge Menschen am Anfang ihrer Karriere nicht nur einen Schreibtisch zugewiesen bekommen und eine Packung Visitenkarten, sondern auch umfassende Informationen, was sie machen können, dass es ihnen lebenslang finanziell gut geht.
Von Pföstl: Entscheidend ist, dass wir das Thema Pensionen sachlich, ideologiebefreit und auf Basis von Fakten diskutieren. Und dass wir den Mut haben, entsprechende Entscheidungen zu treffen. Unsere Kinder sollen später einmal sagen können: „Ihr habt damals die richtigen Schritte eingeleitet, um das Pensionssystem nachhaltig aufzustellen.“
Wir müssen es schaffen, die betriebliche Vorsorge flächendeckend auszurollen.

© VGN STUDIO / Osama Rasheed