Vor 45 Jahren suchte ich mit Taschenrechnern nach Produktivitätspotenzialen. Heute gibt es Computer - doch die Aufgabe ist die gleiche.
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Vor genau 45 Jahren, am 5.11.1978 um 18.55 Uhr, hebt ein Airbus der Lufthansa von Wien-Schwechat ab. Das Ziel: Frankfurt am Main. Kurz nach dem Start meldet sich der Kapitän und berichtet, dass die Volksabstimmung über die Inbetriebnahme des Kernkraftwerkes in Zwentendorf mit einem knappen Nein ausgegangen ist. Ein denkwürdiger Abend, der das Ende der Ära Kreisky einläutet.
Ich selbst befinde mich an diesem Abend an Bord dieser Maschine. Ich bin sehr aufgeregt, denn es ist nicht nur meine erste Flugreise, sondern auch der Beginn meiner beruflichen Tätigkeit als Berater mit dem Fokus Produktivität.
Heute denke ich über die Dinge, die sich in den letzten 45 Jahren verändert haben, nach: 1978 werden die Flugtickets noch per Hand geschrieben, ebenso Bordkarten und Gepäckabschnitte -cund kosten ein kleines Vermögen. Heute ist alles digital am Handy verfügbar und wesentlich günstiger. 1978 wurde auch noch im Flugzeug geraucht. Eines ist jedoch auch 1978 schon Realität: eine Sicherheitskontrolle wegen der Flugzeugentführungen von Terroristen aus Nahost und von der RAF.
1978 liegt das Computerzeitalter noch in den Geburtswehen. Ich erinnere mich an einzelne Großunternehmen, wo es Computer gab. Aber das höchste der Gefühle für uns Berater an technischer Unterstützung war ein Taschenrechner. Wir verbrachten ganze Tage und Wochen, um Verbesserungsrechnungen anzustellen - alles von Hand. Noch heute ziert meinen rechten Mittelfinger eine Verdickung, die von den langen "Rechennächten" stammt.
1978 wird auch zum Teil "Unmenschliches" von mir verlangt. Ich erinnere mich mit Schaudern an meine erste Unternehmensanalyse. Der Tag begann um fünf Uhr, um pünktlich zu Beginn der Frühschicht mit einer Beobachtung zu beginnen. Diese Beobachtung dauerte mindestens acht Stunden, in denen ich mir genaue Notizen zur Produktivität machte. Im Anschluss wurden diese Fakten strukturiert zu Papier gebracht. Auf aneinandergeklebten A4-Kartons wurde alles fein säuberlich koloriert und aufgeschrieben. Diese Ausarbeitung dauerte bis spät in die Nacht. Und wenn dann der Analyseleiter um 23 Uhr die Anweisung gab, die ganze Sache nochmals zu überarbeiten, so blieben oft nur zwei Stunden Schlaf, bis am nächsten Tag der gleiche Ablauf begann. Nach zwei Wochen Analyse kam ich oft so erledigt nach Hause, dass ich das ganze Wochenende geschlafen habe. Ich will mir gar nicht vorstellen, was passieren würde, wollte man heute einen solchen Einsatz von jungen Beratern verlangen. Von "Work- Life-Balance" war 1978 jedenfalls keine Rede.
Der Umgangston von Vorgesetzten zu Mitarbeitern war 1978 ein Kapitel für sich. Ich wurde jedenfalls aus bürgerlichen österreichischen Verhältnissen in eine brutale amerikanische Arbeitskultur gestoßen. Ich war schockiert, denn "F-Wörter" waren an der Tagesordnung. Ich erinnere mich an Vorgesetzte, die mich verbal mit derben Schimpfwörtern bedachten, die ich hier gar nicht wiedergeben kann. Respekt und Wertschätzung hatten in dieser Unternehmenskultur jedenfalls keinen Platz. Und dies war auch der Hauptgrund, dieses Unternehmen 1985 zu verlassen und mich selbstständig zu machen.
Kommunikation war 1978 definitiv anders
Einzige technische Hilfsmittel waren Briefe und Telefon. Für besonders eilige Nachrichten gab es noch das Telegramm. Es erscheint im Rückblick fast unmöglich, dass mit diesen Hilfsmitteln ein "Beraterheer" von mehreren Tausend Personen dirigiert werden konnte. Es hat aber funktioniert. Ich erinnere mich, dass während meines sechsmonatigen Einsatzes in den USA und Mexiko meine Frau und ich nur mit langen Briefen kommuniziert haben. Telefonieren war einfach viel zu teuer.
Am 5.11.1978 begann ich, meiner Mission nachzugehen, Produktivitätspotenziale zu finden und diese gemeinsam mit der Belegschaft auch umzusetzen. Damals habe ich als Wichtigstes gelernt, Systeme zu entwickeln, die jedem Mitarbeitenden ein klares Ziel für jeden Tag mitgeben und während des Tages zeigen, ob die Ziele auch erreicht werden. Bei jedem Projekt, bei dem ich dieses Prinzip angewandt habe, ist die Produktivität gestiegen. Warum? Weil Menschen gerne Ziele erreichen und so mit einem guten Gefühl leben, etwas erreicht zu haben. Dieses Prinzip des "Short-Interval-Scheduling" hat auch 45 Jahre später die gleiche Wirksamkeit.
Ich finde es interessant, dass auch heute viele Unternehmen sich dieses Prinzip nicht oder nur sehr wenig zunutze machen. Und damit steht auch 2023 fest, dass die Grenzen der Produktivität noch lange nicht erreicht sind. Die Übergabe meiner Mission in jüngere Hände hat somit höchste Priorität.
Der Kommentar ist in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 10.11.2023 erschienen.
Über die Autoren
Alois Czipin
Alois Czipin, geb. 1956, ist Gründer und Geschäftsführer der Czipin Produktivitätssteigerung-GmbH mit Sitz in Wien und gilt weit über Österreich hinaus als „der“ Produktivitätsexperte. Nach Studium der Handelswissenschaften an der WU Wien und Karrierestart bei einem globalen Beratungsunternehmen gründete er 1985 sein erstes eigenes Unternehmen Czipin & Partner.
Seither fokussiert sich Czipin in seiner Beratungstätigkeit auf den Bereich der Produktivitätssteigerung auch im Nicht-produzierenden Bereich. Erfolge werden dabei durch Reorganisation, Turnaround Management, verbessertes Führungsverhalten, Optimierung durch schlanke Prozesse und bedarfsgerechte Personaleinsatzplanung erzielt. Eines seiner bekanntesten Projekte war die Sanierung von Libro im Jahr 2003. Das Markenzeichen des Hauses, ein roter Elefant, steht für unorthodoxe Beratungsmethoden.
Seit Mai 2017 ist Czipin auch regelmäßiger trend. Kolumnist. Seine reiche Erfahrung teilt er in der Kolumne „BusinessCLASS“.