Über gescheiterte Versuche, einem unproduktiven Handelskonzern wieder auf die Beine zu helfen.
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"SEHT IHR DIESES GROSSE HAUS da drüben?" - frage ich letztes Wochenende meine Frau und mein ältestes Enkelkind auf einer Fahrt in den Westen Wiens: "Das war einst die Zentrale eines stolzen Konzerns, der später in wirtschaftliche Schwierigkeiten kam und letztendlich völlig zerschlagen wurde!" Meine Gedanken gehen zurück, und ich beginne, zu erzählen:
Während der Jahrtausendwende mache ich viele Projekte im Einzelhandel. Das bekannteste davon ist die gelungene Restrukturierung von Libro und Pagro im Auftrag von Josef Taus. Damals habe ich bewiesen, dass Produktivität im Einzelhandel mit einem cleveren System entscheidend erhöht werden kann. In der Folge kontaktiere ich viele Unternehmen dieser Branche, um diese Möglichkeiten auch dort anzubieten.
Da ich den CEO eines großen Unternehmens dieser Branche persönlich kenne, vereinbare ich mit ihm einen Gesprächstermin. Ich stelle unsere Vorgehensweise und die daraus gewonnenen Verbesserungen an Hand des Beispiels Libro vor. Ich versuche, zu vermitteln, dass die Filialleiter ohne kundenfrequenzbasiertes System zur Planung und Steuerung des Personaleinsatzes einfach zu überfordert sind, für eine hohe Produktivität zu sorgen. Meine Argumente finden aber keine Resonanz. "Wir machen alles, können alles etc." ist der Tenor der Antworten des CEO. Enttäuscht beende ich die Besprechung.
Zwei Jahre später stolpere ich über die Ertragszahlen dieses Unternehmens und stelle fest, dass die Ergebnisse gegen null gehen. Ich überlege, ob ich den Faden wieder aufnehmen soll. Mir ist klar, dass ein Gespräch mit ähnlichem Inhalt zum gleichen Ergebnis führen wird, und verwerfe daher die Idee. Ich entscheide, dass wir auf eigene Kosten verschiedene Filialen besuchen werden, um konkrete Verbesserungsmöglichkeiten zu erkennen. Wir wählen drei Filialen im Umkreis von Wien aus.
Die Ergebnisse unserer Kurzanalyse sprechen für sich: die Warenverfügbarkeit ist durchschnittlich, wobei Artikel, die gerade beworben werden, besonders schlecht abschneiden. Sauberkeit und Ordnung sind durchschnittlich mit Luft nach oben. Bei der Personalproduktivität finden wir viele Leerläufe. Wir errechnen auf Basis dieser zugegebenermaßen nicht repräsentativen Stichprobe ein Verbesserungspotenzial von 15 bis 20 Millionen Euro per anno für das gesamte Unternehmen. Ein Betrag, der dem Unternehmen wieder genügend Luft zum Atmen geben wird. Ich vereinbare also wieder einen Termin mit dem CEO.
Guten Mutes fahre ich zur Zentrale. Diesmal ist er genervt und fragt mich, was ich diesmal zu bieten hätte. Ich: "Heute habe ich circa 20 Millionen jährliches Verbesserungspotenzial dabei." Er: "Na, das ist schon interessant, schießen Sie los!"
Ich beginne mit der Präsentation der Ergebnisse der Beobachtungen. Wir haben unsere Beobachtungen und Resultate auf beeindruckenden Papierbahnen ausgedruckt. Ich bemerke nach anfangendem Interesse, dass die Aufmerksamkeitskurve des CEO von Minute zu Minute geringer wird. Nach circa 30 Minuten beende ich Teil eins der Präsentation. Den zweiten Teil - Umsetzung der Verbesserungen - hebe ich mir für später auf. Jetzt will ich wissen, ob ich Augen und Ohren meines Gegenübers öffnen konnte.
Ich werde in meiner Erwartungshaltung enttäuscht. Der CEO erläutert mir wortreich, dass ich die falschen Filialen gewählt habe, dass die gefundenen Beispiele für schlechte Warenverfügbarkeit nicht den Durchschnittswerten entsprechen - also nicht repräsentativ sind, etc., etc. Mit einem Wort, er weiß alles, kann alles und braucht mit Sicherheit keine Unterstützung.
Als letztes Argument nehme ich die Ergebnisrechnung des letzten Jahres zur Hand und analysiere die wesentlichen Faktoren: Der Umsatz stagniert, der Anteil an eingekauften Waren, gemessen am Umsatz, steigt, die Personalkosten steigen. Alles Hinweise, dass die in den Filialen gesammelten Erfahrungen auch für das gesamte Unternehmen wahrscheinlich richtig sind.
Jetzt wird der CEO sichtlich böse. Er meint, dass ich mir der Komplexität des Unternehmens nicht bewusst bin und dass meine einfachen Aussagen diese Komplexität nicht berücksichtigen. Ich nehme die Meinung zur Kenntnis, sage nochmals, dass ich seine Meinung nicht teile, und verlasse das Haus.
Drei Jahre später meldet das Unternehmen Konkurs an, die Marke verschwindet vom Markt. Mich ärgert es, dass ich mit meinen Vorschlägen nicht durchgedrungen bin. Bei einem Gespräches mit meinem alten Steuerberater berichte ich davon. Er tröstet mich: "Alois, du darfst als Berater nie vergessen, dass es nicht nur an dir liegt, denn: Wem nicht zu raten ist, dem ist auch nicht zu helfen!"
Der Gastkommentar ist in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 7.12.2023 erschienen.
Über die Autoren
Alois Czipin
Alois Czipin, geb. 1956, ist Gründer und Geschäftsführer der Czipin Produktivitätssteigerung-GmbH mit Sitz in Wien und gilt weit über Österreich hinaus als „der“ Produktivitätsexperte. Nach Studium der Handelswissenschaften an der WU Wien und Karrierestart bei einem globalen Beratungsunternehmen gründete er 1985 sein erstes eigenes Unternehmen Czipin & Partner.
Seither fokussiert sich Czipin in seiner Beratungstätigkeit auf den Bereich der Produktivitätssteigerung auch im Nicht-produzierenden Bereich. Erfolge werden dabei durch Reorganisation, Turnaround Management, verbessertes Führungsverhalten, Optimierung durch schlanke Prozesse und bedarfsgerechte Personaleinsatzplanung erzielt. Eines seiner bekanntesten Projekte war die Sanierung von Libro im Jahr 2003. Das Markenzeichen des Hauses, ein roter Elefant, steht für unorthodoxe Beratungsmethoden.
Seit Mai 2017 ist Czipin auch regelmäßiger trend. Kolumnist. Seine reiche Erfahrung teilt er in der Kolumne „BusinessCLASS“.