Führungskräfte sehen sich laufend mit divergenten und wechselnden Anforderungen auf vielen Ebenen konfrontiert. Eine Studie lotet aus, wie solche Spannungsfelder durch MUTIGE FÜHRUNG, also werteorientiertes und entschlossenes Handeln in Unternehmen in Balance zu halten sind.
Entschlossen handeln, kalkulierte Risiken eingehen, dabei zugleich verantwortungsbewusst und werteorientiert vorgehen und trotz Unsicherheit aktiv werden, um positive Veränderung zu bewirken.
Das ist, in aller Kürze, die Definition von Brave Leadership, also mutiger Führung, und Quintessenz einer Studie, für die der Personal- und Managementberater Kienbaum Austria mitten in den ökonomischen Turbulenzen des vorigen Jahres tief gegraben hat: Basierend auf einer deutschen Vorgängerstudie holten sich die Experten in zehn ausführlichen, auszugsweise in der Erhebung zitierten qualitativen Interviews mit heimischen Firmenlenkern Inspiration und Feinschliff für einen Fragebogen, anhand dessen mehr als 1.100 konkrete Stimmen von Führungskräften und Mitarbeitenden in ganz Österreich eingeholt wurden.
Ergebnis: 78 Prozent der Führungskräfte sehen sich selbst als "Brave Leaders", demgegenüber empfinden 59 Prozent der Mitarbeitenden ihre jeweilige Führungskraft als solche. Für Alfred Berger, Managing Director bei Kienbaum, macht primär der Umgang mit Handlungsspielräumen den mutigen Leader: "Manager sind ständig mit Regelwerken konfrontiert, mit Anforderungen von Eigentümern, Mitarbeitern oder ESG, denen sie gerecht werden oder die sie umschiffen müssen. Brave Leadership bedeutet, diesen Spielraum eines Entscheiders zu nutzen und dabei zu denken wie ein Unternehmer."
Mit Lukas Schinko, Chef des Hörakustikspezialisten Neuroth, teilt diese Sicht nicht zufällig ein Familienunternehmer in vierter Generation. Er betont als Gegengewicht zum Entscheidungsspielraum das Handeln im Sinne des Unternehmenszwecks.
"Mut zur Reibung", so auch Berger, kennzeichne zwar die mutigen Führungskräfte, "aber abgestimmt und im Rahmen von Purpose und Wertewelt."
So sichert Brave Leadership offenbar nicht nur langfristig den Firmenbestand, sondern sorgt auch für gute Zahlen: 72 Prozent der laut Studie als "Brave Leaders" Identifizierten steigerten die Performanceindikatoren ihres Unternehmens im Vorjahr um mindestens fünf Prozent, doppelt so viele wie in der Gesamtstichprobe.
Noch stärker taten sie sich bei Digitalisierungsfortschritt, Innovationsleistung sowie insbesondere Employer Branding hervor.
Kienbaum hat zudem drei Spannungsfelder näher beleuchtet, in denen es mutiger Führung bedarf, um Unternehmen zwischen den gefährlichen Untiefen des defensiven Sicherheitsdenkens und der tollkühner Risikobereitschaft durchzusteuern, nämlich bei der
Fokussierung der eigenen Führungsarbeit,
dem Umgang und der Kommunikation mit Mitarbeitenden sowie
auf der organisatorischen Ebene bei der Verteilung von Ressourcen sowie Fokussierung auf Kerngeschäft und Innovation (siehe unten).
Balanceakt Leadership
Bei alldem dreht es sich nicht nur darum, divergierende Anforderungen beziehungsweise kurz -und langfristige Perspektiven in Einklang oder in ein Gleichgewicht zu bringen, sondern dabei auch Mitarbeiter und Organisation mitzunehmen sowie die Unternehmenskultur auch in diesem Sinne entsprechend zu prägen.
Neben analytischer Expertise der Berater gibt es in der Studie dazu auch Tipps aus dem Erfahrungsschatz von Führungskräften. "Klare und aufrichtige Kommunikation schafft Vertrauen, auch wenn diese mitunter herausfordernd sein kann. Die Wahrheit mitzuteilen ist weitaus besser, als Unsicherheit oder Ungewissheit zu verbreiten", sagt etwa Beatrix Praeceptor, CEO von Greiner Packaging.
Neben transparenter Kommunikation werden auch Fehlertoleranz, Förderung der Eigenständigkeit von Mitarbeitern, Kritikoffenheit und Feedbackprozesse als Elemente in der Umsetzung von Brave Organizations genannt. Sich dem zu stellen, kann Managern durchaus einiges an Mut abverlangen. Doch es lohnt, denn, wie Gottfried Brunbauer, CEO des Glasbearbeitungsmaschinenspezialisten LiSEC, weiß, "gewünschtes Verhalten vorzuleben ist eines der wirksamsten Führungsinstrumente".
Spannungsfeld 1: Strategische vs. ethische Führung
Einer der wesentlichen Knackpunkte von Leadership besteht laut Kienbaum darin, ein Gleichgewicht zwischen den Bedürfnissen der Organisation (strategische Ausrichtung) und den Vorstellungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern (ethische Ausrichtung) zu finden sowie dieses in einer sich laufend und dynamisch verändernden Umgebung auch zu erhalten. "Brave Leadership ist nicht nur eine Eigenschaft, sondern ein kontinuierlicher Prozess", heißt es in der Studie.
Das zentrale Spannungsfeld von Führung bestehe demnach in diesem Balanceakt zwischen strategischer (Erreichung der Unternehmensziele) und ethischer (Einklang mit Werten und Normen) sowie zwischen kurz- und langfristiger Ausrichtung.
Als herausforderndste Faktoren dabei sehen die Führungskräfte vor allem eine effektive Kommunikation, Aufgabendelegation, mangelnde Zeitressourcen für Mitarbeiterentwicklung, Konfliktmanagement sowie divergente Anforderungen unterschiedlicher Generationen.
Ihnen ist also durchaus bewusst, wo die Bedürfnisse der Beschäftigten liegen: 59 Prozent wünschen sich mehr Wertschätzung, 52 Prozent mehr Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Limitierender Faktor dieses grundlegenden Konsensus dürften gerade in der aktuellen Lage aber oft die Unternehmenszahlen sein.
Spannungsfeld 2: Leistungssteigerung vs. Potenzialentfaltung
Dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die essenziellste Ressource eines Unternehmens sind, ist kein leeres Lippenbekenntnis aus Leitbildern und Visionen, sondern Unternehmensrealität. Dazu gehört aber auch, dass Löhne und Gehälter wesentliche Kostenfaktoren, in Zeiten inflationsadäquater Gehaltsanpassungen sogar Kostentreiber sind.
Es ist also logisch, Mitarbeitende bestmöglich zu qualifizieren und ihre Motivation hoch zu halten, um damit die Effektivität ihrer Arbeit und letztlich deren Wert für das Unternehmen zu optimieren. Daraus resultiert aber ein weiteres ständiges Leadership-Spannungsfeld, nämlich zwischen dem notwendigen Erreichen aktueller KPIs, Ziele und Budgets und der bestmöglichen Entwicklung des gesamten Potenzials jedes Einzelnen auch im Hinblick auf die Befähigung für komplexere Aufgaben und die Nachfolgeplanung für Schlüsselpositionen.
Führungskräften kommt die Hauptrolle zu, wenn es darum geht, qualifizierte Fachkräfte, ebenjene, die wirksam und effektiv arbeiten können, für Unternehmen zu gewinnen und zu halten. Auf kaum einem anderen Feld zeigt sich der Mehrwert von Brave Leadership deutlicher: 47 Prozent der Mitarbeitenden würden eine Führungskraft weiterempfehlen, wenn diese Führung überwiegend im Sinne des Erreichens von KPIs betreibt, aber 70 Prozent, wenn sie mutig führt und die Balance zwischen aktuellen Zielen und den langfristigen Entwicklungsperspektiven findet.
Spannungsfeld 3: Stabilität im Kerngeschäft vs. Innovationsfähigkeit durch Agilität
Auf der Ebene von Organisation und Ressourcenverteilung bewegt sich das auch als "ambidextre Führung" bekannte Spannungsfeld zwischen Kerngeschäft und Innovationsfokus: Unternehmen, die kurzfristig alle Ressourcen auf ein - sei es auch aktuell noch so ertragsstarkes - Kerngeschäft hin bündeln, werden spätestens mit disruptiven Innovationen von Konkurrenten ihre dominante Position verlieren, wenn sie daneben nicht auch innovative Ansätze verfolgen.
Andererseits ist auch die ungeteilte Hingabe aller Mittel Richtung Innovationen nicht zielführend, weil es damit an Stoßkraft fehlt, die wirklich geeigneten Neuerungen zu Teilen eines erneuerten Kerngeschäfts zu machen.
Vom Produktlebenszyklus über die BCG-Matrix für das strategische Management von Produktportfolios bis zu Clayton Christensens disruptiver Innovation wurde diesem Thema viel Forschung und Literatur gewidmet. Wenig beachtet blieb dabei meist die Rolle von Führungspersönlichkeiten. Gerade Entscheidungen gegen aktuelle Ertragsmaximierung zugunsten künftiger Marktpotenziale erfordern aber persönlichen Mut und Stärke, kalkulierte Risiken und die Verantwortung dafür zu tragen und angreifbare Entscheidungen zu treffen - sowie gegebenenfalls zu revidieren.
Unterstützende Kulturelemente mutiger Führung sind laut Kienbaum in diesem Kontext Fehlertoleranz, Kritikoffenheit, Feedbackprozesse, transparente Kommunikation und Förderung von Eigenständigkeit.
Der Artikel ist der trend. PREMIUM vom 23.2.2024 entnommen.
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