
Bei Diversität hat Österreich große Fortschritte gemacht. Doch der positive Kurs gerät ins Schlingern. Warum der Kampf um Geschlechtergerechtigkeit härter wird.
Im Wiener Palais Festetics liegt Spannung in der Luft: Steht Geschlechtervielfalt vor ihrem „Chat-GPT-Moment“? Dem Wendepunkt, der das Thema unwiderruflich in den Mittelpunkt der Wirtschaft rückt? Über 50 geladene Gäste beim Diversity Dinner von BCG und trend sind am 6. März zusammengekommen, um genau darüber zu diskutieren. Die Hoffnungen sind groß, doch der siebte „BCG Gender Diversity Index Austria“ kann sie nicht gänzlich erfüllen. Nach Jahren des Fortschritts zeichnet er ein gemischtes Bild: „Es gibt Rückschritte, aber auch positive Entwicklungen - vor allem in jenen Unternehmen, die Diversität als wirtschaftlichen Erfolgsfaktor erkannt haben. Das zeigt, dass Diversität kein Selbstläufer ist“, sagen Heike Dorninger und Lukas Haider, Partner von BCG Österreich.
Diversität unter Druck. Erstmals seit Beginn der Erhebungen 2018 ist der Gender Diversity Index rückläufig. Das hat spürbare Konsequenzen: Geschlechterparität in den Vorständen der 50 größten börsennotierten Unternehmen des Landes wird nun erst 2049 erreicht - zehn Jahre später als bisher prognostiziert.
Von 179 Vorstandsposten gingen 2024 nur 23 an Frauen. Zudem hat der Abgang von Herta Stockbauer (BKS Bank), Silvia Schmitten-Walgenbach (CA Immo) und Silvia Azzali (Wolford) eine Lücke hinterlassen. Erstmals gibt es keine Vorstandsvorsitzende mehr bei den börsennotierten Unternehmen. Und die Zahl der Aufsichtsräte ohne Frauen verdoppelte sich im Jahresvergleich.
Kippt die Fortschrittswelle?
Lassen die Diversitätsbestrebungen in Österreichs Top-50-Unternehmen nach? „Wir haben substantielle Fortschritte gemacht, die zeigen, dass die Geschlechterparität in der Führungsebene langfristig zunimmt – auch wenn es Schwankungen gibt“, sagt Dorninger. So hat sich der Anteil der Unternehmen mit mindestens einer Frau im Vorstand seit 2018 auf 44 Prozent vervierfacht. Zudem hat sich der durchschnittliche Frauenanteil in Vorständen im selben Zeitraum auf über 12 Prozent verdoppelt. Und bei der Vorstandsvergütung zeigt sich eine kontinuierliche Verbesserung.
Vorreiter bei Vielfalt. Einige Unternehmen sind in Sachen Geschlechtergerechtigkeit bereits Vorreiter. Sie zählen zu den „Diversity Champions“ - also jenen, die Vielfalt nicht nur fördern, sondern als Erfolgsfaktor begreifen. Ihr Engagement zeigt sich in mehr Frauen in Führungspositionen (Vorständen und Aufsichtsräten) und fairer Vergütung. Für diese Fortschritte wurden sie an diesem Abend ausgezeichnet. Die Diversity Champions 2024 heißen Oberbank, Linz Textil und UBM.
Sie beweisen: Wandel ist möglich – wenn Unternehmen ihn aktiv vorantreiben. „Unternehmen müssen Strukturen schaffen, die sicherstellen, dass qualifizierte Frauen nicht nur in Vorstände aufsteigen, sondern dort auch nachhaltig vertreten bleiben. Andernfalls droht nicht nur eine Stagnation, sondern die Gefahr, dass sich dieser Rückgang in den kommenden Jahren fortsetzt“, sagt Dorninger, Managing Director von BCG.