Ein Influencer oder ein Unterhalter als Führungskraft? Friedhelm Pickhard: "Influencer und Unterhalter besitzen nicht die Persönlichkeitsmerkmale, um andere zu führen."
©Getty Images/iStockphotoEin Influencer ist noch keine Führungskraft, und ein Unterhalter ist noch viel weiter davon entfernt. Friedhelm Pickhard findet es erstaunlich, dass Personalberater und Managementliteratur den Typ Influencer geradezu als Ideal moderner Führung propagieren.
Seit einigen Jahren beobachte ich die Entwicklung einer neuen Generation von Führungskräften, nahen Verwandten jener, die in der digitalen Welt als "Influencer" bezeichnet werden. Diese neuartige Spezies von Selfie-Experten verfolgt durch ihre Selbstinszenierung vor allem das Ziel, im Rampenlicht zu stehen. Ein erfolgreicher Influencer ist nicht automatisch eine gute Führungskraft. Ebenso wenig ist ein guter Unterhalter, selbst wenn er durch Aktivitäten, wie Mitarbeiterevents zu organisieren, Freude bereiten kann, nicht zwangsläufig eine kompetente Führungsperson. Wo liegen die Unterschiede zwischen Influencer, Unterhalter und echter Führung, und welche Fähigkeiten und Qualitäten zeichnen wahre Führungskräfte aus?
Influencer mögen Tausende Follower haben, ihr Ziel liegt auf dem Bewerben von Produkten oder Dienstleistungen und weniger darauf, die Gesellschaft zu einer bedeutenden Veränderung oder Transformation zu führen. Ihre Fähigkeit, andere zu führen, zu motivieren und auf ein gemeinsames Ziel hin zu lenken, ist wissenschaftlich nicht belegt. Der Fokus auf Marketing-Inhalte und die Optimierung ihres persönlichen Images hindert sie daran, umfassende Führungsfähigkeiten zu entwickeln, die für eine bedeutende Veränderung erforderlich sind.
Unterhalter sind Profis darin, ihr Publikum zu fesseln und angenehme Erfahrungen zu bieten. Ihre Expertise liegt im Entertainment, sei es durch Kunst, Sport oder Freizeitaktivitäten wie Grillen. Obwohl ihre Fähigkeit, andere zu begeistern und zu unterhalten, bewundernswert ist, bedeutet dies nicht zwangsläufig, dass sie über Führungskompetenzen verfügen. Showmanship und Charisma überlappen nicht unbedingt mit den Fähigkeiten, die für effektive Führung durch strategisches Denken und Entscheidungsfindung erforderlich sind.
Während Influencer und Unterhalter brillant darin sind, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und innerhalb ihrer jeweiligen Bereiche eine Wirkung erzielen können, besitzen sie im Allgemeinen nicht die umfassenden Persönlichkeitsmerkmale, die erforderlich sind, um andere zu führen und zu inspirieren, um bedeutende Veränderungen herbeizuführen.
Erstaunlich ist, dass gerade Personalberater und eine großer Teil der Management-Literatur den Typ Influencer – und in manchen Fällen leider auch den Unterhalter –geradezu als Ideal der modernen Führungsperson propagieren. Naive Vorstellungen über die notwendigen Fähigkeiten und Eigenschaften einer Führungskraft haben zur Folge, dass die tatsächlichen Führungskompetenzen vernachlässigt werden und der Fokus ausschließlich auf Äußerlichkeiten gerichtet wird.
Führung geht über die Bereiche der Unterhaltung und der Influencer-Kultur hinaus. Anführer sind Personen, die andere inspirieren, Großartiges zu erreichen, eine positive Wirkung zu erzielen und Veränderungen herbeizuführen. Sie führen durch Beispiel, mobilisieren Teams und treiben den Fortschritt hin zu einer gemeinsamen Vision voran.
Eine erfolgreiche Führungskraft überzeugt durch Qualitäten wie Integrität, Empathie und die Fähigkeit, andere zu inspirieren und Visionen zu verfolgen. Sie zeigt Engagement für einen größeren Zweck und konzentriert sich nicht ausschließlich auf persönliche Gewinne. Führung erfordert strategisches Denken, Entscheidungsfindung, effektive Kommunikation und die Fähigkeit, sich an Veränderungen anzupassen. Führung bedeutet auch, die Weiterentwicklung der Mitarbeiter zu fördern, was Domänenkenntnisse voraussetzt. Diese Kompetenzen werden durch Erfahrung, Mentoring und kontinuierliches Lernen geschärft, was Influencern oft fehlt.
Erfolgreiche Führung ist in verschiedenen Sektoren wie Wirtschaft, Politik, im akademischen Bereich oder der Sozialarbeit erkennbar. Sie beinhaltet die Übernahme von Verantwortung für das Wohl anderer, das Treffen schwieriger Entscheidungen und die Priorisierung gemeinsamer Ziele über persönliche Interessen hinaus.
Im Einklang mit der Beobachtung, dass Führungsverhalten und Fähigkeiten auf Influencer-Fähigkeiten reduziert werden, vermehrt sich der Irrglaube, dass eine Führungskraft keine Domänenkenntnisse mehr benötigt. Diesbezüglich lag schon der ehemalige deutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt falsch, der die Ansicht vertrat, ein Politiker solle ministrabel für jeden Kabinettsposten sein. Fehlbesetzungen in verschiedensten Kabinetten der BRD haben seinen Grundsatz hinreichend widerlegt. Ohne Domänenkenntnisse ist eine umfängliche Führung nicht wirkungsvoll, das gilt auch für Führungskräfte in der Industrie.
Eine Führungskraft mit Domänenkenntnissen zeigt tiefgreifendes Verständnis für die Herausforderungen und Besonderheiten seines Fachgebiets. Dieses Wissen ermöglicht es, potenzielle Hindernisse vorherzusehen, effektive Strategien zu entwickeln und Entscheidungen zu treffen, die mit den Zielen und Anforderungen der Organisation übereinstimmen. Durch das Verstehen der Nuancen seiner Domäne kann eine Führungskraft komplexe Sachverhalte einordnen, Risiken einschätzen und sein Team selbstbewusst führen. Führungskräfte sind dafür verantwortlich, komplexe Probleme zu lösen und wichtige Entscheidungen zu treffen.
Domänenkompetenz stattet sie mit dem notwendigen Wissen und den analytischen Fähigkeiten aus, um Herausforderungen effektiv anzugehen. Nur eine Führungskraft, die ihre Domäne versteht, kann innovative Lösungen identifizieren, Vor-und Nachteile abwägen und fundierte Entscheidungen treffen, die langfristige Auswirkungen berücksichtigen. Diese Expertise ermöglicht es, Teams erfolgreich zu führen, Risiken zu minimieren und Chancen innerhalb der Domäne zu ergreifen.
Domänenkenntnisse ermöglichen es einer Führungskraft, durch die Verwendung von Fachterminologie, teamrelevanten Konzepten und Beispielen effektiver zu kommunizieren sowie Anleitungen, Mentoring und spezifisches Feedback zu geben, das den jeweiligen Anforderungen und Herausforderungen entspricht. Beherrscht eine Führungskraft ihr Fachgebiet souverän, sind Teammitglieder eher bereit, dem Urteil der Führungskraft zu vertrauen und Anweisungen zu folgen. Domänenkenntnisse befähigen eine Führungskraft darüber hinaus, als Mentor zu agieren und eine wesentliche Führungsaufgabe zu erfüllen, nämlich Mitarbeiter weiterzuentwickeln.
In der heutigen schnelllebigen Welt müssen Führungskräfte in der Lage sein, sich an den Wandel ihrer Branche anzupassen. Domänenkenntnis ermöglicht es, mit den neuesten Trends, Fortschritten und Herausforderungen auf dem Laufenden zu bleiben. Dieses Wissen befähigt, proaktiv auf Veränderungen zu reagieren, Innovationen zu würdigen und ein Team durch technologische oder wirtschaftliche Übergangsphasen zu führen. Ohne Domänenkenntnisse ist es schwierig, Veränderungen effektiv zu bewältigen, wodurch Chancen verpasst oder Strategien ineffektiv werden können. Fehlt ein solides Verständnis des Fachgebiets, sind Menschen anfällig für Fehlinformationen und Manipulationen, was zu fehlgeleiteten Überzeugungen und Handlungen führen kann. Branchenkenntnisse wirken wie ein Schutzschild gegen Gerüchte und ermöglichen es, Informationen kritisch zu bewerten, bevor sie akzeptiert oder verbreitet werden.
Der zunehmende Hype um Influencer-Führungskräfte durch Personalberater ist oberflächlich und wirkt irreführend. Die Vorstellung, dass Influencer-Fähigkeiten ausreichen, um eine erfolgreiche Führungskraft zu sein, ist naiv. Der Fokus auf Show und Äußerlichkeiten führt zu einer Vernachlässigung der wahren Führungskompetenzen, die für den langfristigen Erfolg und die positive Entwicklung von Unternehmen und Teams entscheidend sind. Es ist an der Zeit, die Selbstinszenierung der Influencer-Führungskräfte zu hinterfragen und die Bedeutung von Substanz und verantwortungsvollem Handeln in der Führungsrolle wieder in den Vordergrund zu stellen. Denn wahre Führung erfordert mehr als nur das Talent, gute Selfies zu machen – sie erfordert echte Kompetenzen, Verantwortungsbewusstsein und das Streben nach nachhaltigem Erfolg.
Der Artikel ist der trend. PREMIUM Ausgabe vom 25.8.2023 entnommen