Legitim, aber illegal: Robin Hood, Prototyp des Menschen, der sich zum Wohl der Allgemeinheit Gesetzen widersetzt.
©awiekupo/Getty Images/iStock Editorial„Dark Entrepreneurship“ - die dunkle Seite des Unternehmertums jenseits des gesetzlichen Rahmens oder bestehender Konventionen hat verschiedene Facetten. Nikolaus Franke über legitimes, aber juristisch illegales Unternehmertum, Radikalität, Nonkonformismus und den ethischen Kompass.
Beim Stichwort „Entrepreneur“ denkt man unweigerlich an unternehmerische Helden wie Elon Musk, Steve Jobs oder Jeff Bezos, die durch ihre Innovationskraft für Fortschritt, Wohlstand und Beschäftigung sorgen. Doch auch jenseits des gesetzlichen Rahmens oder bestehender Konventionen finden Innovatoren neue Geschäftsmöglichkeiten, die sie mit Kreativität und Energie erfolgreich nutzen.
Weltweit untersuchen daher immer mehr Forschungsprojekte, welche Formen von „Dark Entrepreneurship“ es gibt, was man von ihnen lernen kann und unter welchen Bedingungen die dunkle Seite des Unternehmertums sogar gesellschaftlichen Nutzen stiften und damit die helle Seite stärker strahlen lässt.
Legalität, Legitimität, Recht und Moralempfinden
Lange Zeit haben sich die Wirtschaftswissenschaften auf den Bereich der Wirtschaft konzentriert, der sich sowohl innerhalb geltender Gesetze (legal) als auch innerhalb gesellschaftlicher Wertvorstellungen (legitim) abspielt. Das gilt auch für Entrepreneurship und Innovation. Doch es existiert auch eine Welt jenseits dieses Rahmens. Schätzungen zufolge macht sie bis zu 17 % des Bruttoinlandsproduktes in Industrienationen und bis zu 40 % in Entwicklungsländern aus.
Welche Rolle spielen hier Entrepreneurship und Innovation? Hierzu ist es nötig, zwischen Legalität und Legitimität zu unterscheiden. In einer idealen Welt stimmen Recht und Moralempfinden natürlich überein. In der realen nicht immer.
Das kann beispielsweise der Fall sein, wenn das formale Gesetz nur den Interessen einiger weniger dient. Ein „Gesetzloser“ wie Robin Hood, der sich für die soziale Gerechtigkeit einsetzt, handelt nicht legal nach den herrschenden rechtlichen Rahmenbedingungen, wird aber aufgrund seines Tuns von weiten Teilen der Gesellschaft als legitim empfunden.
Illegal, aber legitim: Informal Entrepreneurship
Eine wissenschaftliche Fallstudie zeigt exemplarisch, welcher gesellschaftliche Nutzen von „Informal Entrepreneurship” ausgehen kann. In der verarmten Provinz Anhui in den 1970er Jahren kamen kreative chinesische Bauern auf die Idee, das zwangskollektivierte Land insgeheim untereinander aufzuteilen und eigenverantwortlich zu bewirtschaften. Dieses Geschäftsmodell einer Quasi-Privatisierung war eindeutig illegal. Die kommunistische Wirtschaftsordnung war ideologisch auf Planwirtschaft und gemeinschaftlichen Besitz ausgerichtet.
Die Wirkung der Innovation war aber überaus positiv. Schon im ersten Jahr erreichten die Ernteerträge der „informellen Entrepreneure“ die der letzten fünf Jahre zusammengenommen. Dieser beträchtliche Erfolg blieb der Regierung nicht verborgen. Er beeinflusste in der Folge die große Reform des Agrarsystems 1984 maßgeblich und führte dazu, dass die Gesetzgebung sehr viel stärker auf Privatbesitz setzte – mit segensreichen Wirkungen für Millionen von Menschen.
Informal Entrepreneurship und sinnvolle Reformen
Ideologie spielt in der Gesetzgebung westlicher Volkswirtschaften zweifellos eine geringere Rolle als im kommunistischen China. Auch macht unsere demokratische Gesellschaftsordnung Gesetze unwahrscheinlich, die nur einer kleinen Elite dienen. Dennoch ist auch bei uns nicht jede formale Regelung gesellschaftlich sinnvoll.
In New York hatte die Regulierung des Transportwesens beispielsweise dazu geführt, dass eine Taxilizenz mit über einer Million US Dollar gehandelt wurde. Die hohen Kosten führten zu hohen Eintrittsbarrieren, geringem Wettbewerb und damit zu geringer Kundenorientierung und schlechter Qualität. Dann kamen die Quereinsteiger Uber und Lyft und umgingen viele Regelungen, indem sie sich als Technologieunternehmen positionierten - mit Erfolg.
Im Zuge der Expansion von Uber und Lyft reagierten viele Städte und Länder auf den Druck, den diese neue Art der Dienstleistung ausübte, und reformierten die Bestimmungen.
Ähnliche Wirkungen gingen von vielen anderen Entrepreneuren der sogenannten Shared Economy aus, wie Airbnb oder der File Sharing Plattform Pirate Bay. Je größer die technologische Änderungsgeschwindigkeit ist, desto wahrscheinlicher ist es, dass Gesetze und Bestimmungen veraltet sind und sinnvollen Innovationen im Weg stehen. Informelle Entrepreneure können also Treiber des Wandels sein.
Drei Dinge, die wir von Informal Entrepreneurship lernen können
1. Radikalität und Nonkonformismus
Charakteristisch für die informellen Entrepreneure ist ihre Radikalität. Sie orientieren sich nicht an bestehenden Regelungen und ihren engen Spielräumen. Sie stellen die Welt, wie sie ist, in Frage und definieren sie neu. Sie sind Nonkonformisten. Diese geistige Unabhängigkeit und Offenheit ist für jeden Entrepreneur sinnvoll. Innovationen sind schöpferische Zerstörungen, und nur wer in der Lage ist, weitsichtig und visionär über den Tellerrand hinaus zu denken, hat das Zeug zum großen Unternehmer.
2. Pragmatismus
Ein zweites Merkmal ist ihr Pragmatismus. Sie suchen den Sinn, nicht die Regelkonformität. Der Sinn, das eigentliche Ziel, der übergeordnete Nutzen leitet ihr Handeln. Einen Schuss dieses „Informal Entrepreneurship” braucht auch heute jeder Manager, der etwas verändern will. Je größer das Unternehmen und je zentralistischer es organisiert ist, desto ausufernder ist die Menge an bürokratischen Regelungen. Ein sehr erfolgreicher Manager drückte es mir gegenüber so aus: „Wenn ich wirklich alle Vorschriften wortwörtlich einhalten würde, dann wäre ich 24 Stunden pro Tag damit beschäftigt, Formulare auszufüllen“.
3. Der ethische Kompass
Die dritte wichtige Folgerung ist, dass Entrepreneure einen guten ethischen Kompass benötigen. Was ist legitim? Für wen ist es legitim und nach welchen Maßstäben? In welcher Weise werden gesellschaftliche Kosten oder Risiken mit gesellschaftlichem Nutzen „verrechnet“? Es ist klar, dass diese Fragen nicht einfach zu beantworten sind, und die Einschätzung eines Entrepreneurs möglicherweise durch Eigennutzmotive beeinflusst sind. Dies zeigt die Wichtigkeit von Ethik auch in der Entrepreneurship-Ausbildung. Im schlechtesten Fall ist die „Legitimität“ sonst eine billige Ausrede, die die beiden Formen des Dark Entrepreneurship ermöglicht, die in den folgenden Beiträgen zu dieser Serie behandelt werden.
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