Janina Kugel - Aufsichtsrätin und ehemalige Vorständin von Siemens in Deutschland.
©beigestelltDie Aufsichtsrätin und ehemalige Vorständin von Siemens in Deutschland JANINA KUGEL über ihren Kampf für die Vorstandsquote in Deutschland und warum kulturelle Diversität immer wichtiger wird.
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Vor einigen Jahren haben Sie auf einem Festival zum Boykott von Zalando aufgerufen, mit der Begründung: „Da muss man wirklich nicht einkaufen, wenn man mehr Frauen in Führungspositionen haben will.“ Was hat Sie zu diesem ungewöhnlichen Schritt bewogen?
Ich habe weder zum Boykott aufgerufen noch eine Firma genannt. Ich sagte lediglich, dass wem Frauen in Führung wichtig sind, nicht dort einkaufen sollte, wo es keine Frauen in Führung gibt. Der Rest wurde von einigen Medien gemacht. Im Übrigen hat sich das nicht nur, aber auch bei Zalando verändert.
Welchen Stellenwert hat das Thema Diversität heute noch für Sie?
Das Thema Diversität ist mir schon immer ein Anliegen gewesen, lange bevor es Trend wurde, und es ist noch lange nicht gelöst. Im Übrigen nicht nur in Bezug auf die Frauen, sondern in all seinen Dimensionen. Doch nur bei Veranstaltungen darüber zu sprechen, doch die eigenen Strukturen nicht zu verändern, bringt uns nicht weiter. Das ist dann wohl die Diversitäts-Fatigue, von der so viel in den Medien die Rede ist. Wer etwas ändern möchte, muss ins Handeln kommen. Denn nur wenn wir unser Verhalten ändern, können wir auch die Strukturen ändern.
Sie haben als Aufsichtsrätin die Möglichkeit dazu. Wie intensiv fordern Sie Geschlechterparität ein?
Ich bin in einem deutschen Aufsichtsrat (Reisekonzern TUI AG) und in den USA als Kontrolleurin tätig. Lange Zeit auch in Finnland. Je nach Land hat das Thema einen unterschiedlichen Fokus. Die USA sind schon lange weg von Diversität als reinem Gender-Thema so wie in Deutschland oder Österreich. Dort wird Diversität viel breiter gesehen. Aber es gibt dort derzeit viele Klagen gegen die positive Diskriminierung. Auch das muss man als Aufsichtsrätin beachten.
Und wie läuft es in deutschen Kontrollgremien?
Was mir hier auffällt: Es sind vielfach die weiblichen Aufsichtsräte, die die Fragen zur Diversität stellen. In den USA hingegen ist Diversität kein Thema mehr, das vor allem von Frauen aufgegriffen wird. Dort sind es genauso die männlichen, heterosexuellen Aufsichtsräte, die diese Dinge einfordern. Das lässt schon erkennen, wie weit eine Gesellschaft grundsätzlich ist.
Und was raten Sie, damit wir in Sachen Diversität vorankommen?
Ich würde mir wünschen, dass alle Entscheider und Entscheiderinnen einmal selbst erleben, wie bereichernd es ist, in diversen Teams zu arbeiten. Denn es verändert die eigene Perspektive. Natürlich ist es ein Stück weit schwieriger, weil man die unterschiedlichen Perspektiven miteinbeziehen muss. Dafür sind die Ergebnisse deutlich besser. Aber bekanntlich gibt es die gute Fee, die Wünsche erfüllt, nicht. Daher plädiere ich für Quoten und auch eine Kopplung an den Bonus.
Ich würde mir wünschen, dass alle Entscheider und Entscheiderinnen einmal selbst erleben, wie bereichernd es ist, in diversen Teams zu arbeiten. Denn es verändert die eigene Perspektive. Natürlich ist es ein Stück weit schwieriger, weil man die unterschiedlichen Perspektiven miteinbeziehen muss. Dafür sind die Ergebnisse deutlich besser. Aber bekanntlich gibt es die gute Fee, die Wünsche erfüllt, nicht. Daher plädiere ich für Quoten und auch eine Kopplung an den Bonus.
In Deutschland gibt es mittlerweile auch die Quote für Vorstände. Hält diese Vorgabe, was Sie sich davon versprochen haben?
Wir waren damals eine Gruppe von Menschen aus allen Gesellschaftsbereichen, die dafür gekämpft hat, dass der Gesetzesvorschlag, den die Regierung zum Führungspositionen-Gesetz II 2020 auf dem Tisch hatte, nicht am Widerstand einiger konservativer Politiker scheitert und noch in der Legislaturperiode verabschiedet wird – und das ist auch gelungen. Interessant zu sehen war dann, welche Dynamik allein die Verabschiedung des Gesetzes ausgelöst hat. Im vorauseilenden Gehorsam wurden noch in dem Jahr mehr Frauen in Vorstände berufen als in den Jahren zuvor. Doch sobald die Zielgrößen erreicht werden, stagniert der Anteil der Frauen wieder. Das zeigt mir, dass die Strukturen immer noch ein enorm hohes Verharrungsvermögen haben. Doch einzelne Unternehmen gehen mit positivem Beispiel voran, das macht Mut.
Vielfach wird argumentiert, dass es die Frauen, die es von der Qualifikation her für Vorstands- oder Aufsichtsratsposten bräuchte, schlicht nicht gibt.
Natürlich gibt es diese Frauen, man muss sie nur finden wollen! Dafür reicht es aber nicht, ausschließlich im deutschsprachigen Raum und im eigenen Netzwerk zu suchen. Sinnvoller ist es, global zu suchen, und zwar auch mit Headhuntern. Dann bekommt man auf einmal Kandidatinnen für Aufsichtsräte und Vorstände vorgeschlagen, von denen man nicht mal wusste, dass sie existieren.
Als Senior Advisorin unterstützen Sie Unternehmen dabei, Diversität über den Gender-Aspekt hinaus zu denken. Worum geht es da genau?
Mein Ansatz ist, zu zeigen, dass Unternehmen ohne eine zunehmende Globalisierung der kompletten Belegschaft in Zukunft Probleme bekommen werden. In einer Studie von BCG und der UN-IOM haben wir uns dafür die Zahl der schon heute offenen Stellen und die demografische Entwicklung der größten Industrienationen angesehen. Die Industrienationen haben eine alternde Gesellschaft, in der die Babyboomer bald in Rente gehen und zu wenige Arbeitskräfte nachkommen. In zehn, 15 Jahren werden wir in Deutschland, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern mit einer gewaltigen Arbeitskräfte-Lücke konfrontiert sein. Und diese lässt sich nur durch Zuwanderung überwinden.
Wie offen erleben Sie die Unternehmen für Ihre Botschaft von mehr Migration?
Im Moment ist es, überspitzt formuliert, noch so: Viele Topmanager und -managerinnen erkennen die Notwendigkeit. Doch die zugewanderten Fachkräfte sollten bitte perfekt Deutsch können und kulturell so drauf sein wie wir. Das heißt, sie sind offen für globale Arbeitskräfte, erwarten aber gleichzeitig eine hundertprozentige Assimilierung. Doch so funktioniert es nicht, beide Seiten müssen aufeinander zugehen, damit es gelingen kann. Unternehmen, die auch in der Zukunft wettbewerbsfähig sein wollen, rate ich, deutlich globaler zu denken und als Ausgangssituation eine offene Unternehmenskultur zu schaffen, wo es um Fähigkeiten und Leistung geht, aber nicht um Herkunft, Aussehen und Glauben.
Inwiefern ist da auch die Politik gefordert?
Deutschland hat mittlerweile mit das liberalste Einwanderungsgesetz. Natürlich muss die Administration vereinfacht und digitalisiert werden. Doch auch Unternehmer müssen sich darauf einstellen, dass es schwieriger ist, ausländische Arbeitskräfte nach Europa zu bringen, als Inländer einzustellen.
Was könnte da helfen?
Ein pragmatischer Ansatz wäre, Zeitarbeitsfirmen, die bisher nur EU-Ausländer anwerben dürfen, zu erlauben, auch in Nicht-EU-Ländern tätig zu werden. Sie haben die Expertise und können auch skalieren. Darüber hinaus braucht es strategische Abkommen zwischen EU-Ländern und solchen, die viele junge Leute haben und gerne möchten, dass diese in den Arbeitsmarkt der Europäischen Union eintreten. In den 50er- und 60er-Jahren gab es Abkommen, heute müssen neue Brücken gebaut werden, in andere Länder und natürlich mit anderen Inhalten.
Steckbrief
Janina Kugel
Als „Popstar im Vorstand“ haben deutsche Medien Janina Kugel in ihrer Zeit als CHRO bei Siemens (2015-2020) bezeichnet. Unter Ex-Siemens CEO Joe Kaeser wurde Kugel Im Februar 2015 als Arbeitsdirektorin in den Vorstand von Siemens berufen und war damit für 372.000 Mitarbeiter verantwortlich. Sie war das jüngste Vorstandsmitglied. Mit Ablauf des Vertrags im Jänner 2020 schied sie aus dem Siemens-Vorstand aus.
Seit Mai 2020 ist Kugel Senior Advisor für die Boston Consulting Group und berät Unternehmen zu Themen wie Migration und kulturelle Diversität.
Die studierte Volkswirtin ist zudem Aufsichtsrätin (u. a. TUI AG) in mehreren Unternehmen.
Das Interview ist aus trend.PREMIUM vom 8. März 2024.
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