Die japanische Arbeitsphilosophie des Kanban steht für Klarheit und Effizienz. Von den Toyota-Werken des 20. Jahrhunderts ausgehend entwickelte sich Kanban zum Fixstarter des agilen Arbeitens und zu einer wichtigen Strategie moderner Prozesssteuerung. Der Unternehmensberater und Projektmanagement-Experte Manfred Pfeifer von „next level consulting“ gibt Einblicke in diese wundersame Welt fernöstlicher Organisationskultur.
Was ist Kanban?
Der Begriff Kanban (wörtlich: Schild, Tafel) bezeichnet ein System im Lean-Workflow-Management, um Produktionsprozesse zu steuern und die Effizienz zu steigern.
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So wie die gesamte Lean-Philosophie wurde es in den 1940er Jahren vom Automobilhersteller Toyota eingeführt und ist mittlerweile zu einer der wichtigsten Techniken moderner Arbeits- und Unternehmensorganisation geworden.
„Heute ist Kanban ein agiler Ansatz, um in unterschiedlichsten Abläufen der Wissensarbeit Durchlaufzeiten zu verkürzen und eine bessere Qualität sicherstellen zu können“, erklärt Manfred Pfeifer, Projektmanagement-Trainer, -Coach und -Berater bei next level consulting. Durch die Veranschaulichung des Arbeits- oder Produktionsprozesses sollen Ineffizienzen abgebaut und Verbesserungsmöglichkeiten gefunden werden.
Wie funktioniert Kanban?
Der zentrale Aspekt des Kanban-Systems ist die Visualisierung von Arbeitsschritten.
"Die Wertschöpfungskette wird zunächst für alle sichtbar gemacht, um Engpässe besser erkennen zu können.“ Erst wenn diese Sichtbarkeit gegeben ist, folgt die Optimierung.
„Die Wertschöpfungskette wird schrittweise und evolutionär kleinen Änderungen unterzogen, deren Auswirkungen anschließend betrachtet und bewertet werden.“
Diese Evaluation führt zu einem zirkulären Prozess der kontinuierlichen Verbesserung. So gut wie alle Prozesse innerhalb eines Unternehmens können mit Kanban optimiert werden.
Die Bandbreite der Änderungen reicht von der Begrenzung der gleichzeitig in Arbeit befindlichen Aufgaben über die Anpassung der Teamgrößen bis hin zu umfangreichen Prozessoptimierungen“, führt der Kanban-Experte aus.
Was ist ein Kanban-Board und wie funktioniert es?
Das Herzstück des Kanban-Systems ist die namensgebende Tafel, das Kanban-Board.
Damit werden alle Schritte des Arbeitsprozesses und der Durchlauf der verschiedenen Phasen dargestellt.
„Die Spalten entsprechen Prozess-Schritten. Aufgabenkarten „fließen“ von links nach rechts und machen den jeweiligen Bearbeitungsstand und die zuständigen Personen transparent“, erklärt Pfeifer.
Es funktioniert wie eine ausgeklügelte To-Do-Liste mit deren Hilfe der gesamte Prozess gesteuert und überwacht werden kann.
Das Kanban-Board bietet einen ausführlichen Überblick über den gesamten Arbeitsprozess und hält zugleich auf dynamische Weise fest, wie der Durchlauf der einzelnen Schritte von statten geht. „Es ist ein triviales aber sehr, sehr mächtiges Tool, um Arbeit zu visualisieren, Engpässe zu identifizieren und Verbesserungen in kleinen Schritten anzustoßen.“
Für wen eignet sich die Kanban-Methode?
Kanban entspringt zwar dem revolutionären Fertigungsprozess des Toyota-Konzerns und war daher ursprünglich für die Automobilbranche konzipiert, es findet heute aber in allerlei Unternehmensprozessen Anwendung.
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„In der Softwareentwicklung, aber auch in Bereichen wie Wartung, Marketing und Vertrieb, HR, Beschaffung, Finance etc.“, so Pfeifer. Sobald ein Unternehmen eine Fülle an verschiedenen Aufgaben gleichzeitig steuern muss, bietet sich die Kanban-Methode an.
Zur erfolgreichen Umsetzung des Systems braucht es allerdings auch das richtige Mindset.
„Wie bei anderen agilen Ansätzen, wie Scrum und Design Thinking, kann sich ebenso bei Kanban das volle Potenzial nur entfalten, wenn die agilen Werte und Prinzipien von den relevanten Personen beherzigt und gelebt werden.“
Es geht um Selbstverantwortung, Eigeninitiative und dem Streben nach Perfektion.
Zu den wichtigsten Attributen, die Mitarbeiter:innen mitbringen müssen, um Kanban erfolgreich zu nutzen gehören „Fokussierung, Selbstorganisation, Experimentierfreude, Lernen und Verbesserung,“ weiß Pfeifer.
Es reicht also nicht, einfach ein Kanban-Board in den Gemeinschaftsraum zu hängen und darauf zu hoffen, dass dadurch alle Prozesse innerhalb des Unternehmens wie geschmiert laufen. Es erfordert auch aktive Mitgestaltung seitens der Belegschaft. „Erst wenn es im Kopf angekommen ist, kann Kanban in den unterschiedlichsten Bereichen sinnvoll eingesetzt werden.“
Die 4 Kanban-Prinzipien
Die asiatische Philosophie versteht es, Konzepte herunterzubrechen und auf einige wenige Kernaspekte zu kondensieren. So auch bei Kanban. Auch wenn diese vier Prinzipien nicht allumfassend sind, bringen sie die zugrundeliegende Idee des Kanban-Systems zum Ausdruck. Manfred Pfeifer erklärt diese Prinzipien folgendermaßen:
„Dort beginnen, wo sich ein System gerade befindet. Um Kanban einzuführen, müssen keine Bedingungen geschaffen werden. Vielmehr bewirkt Kanban den Wandel.“
„Bestehende Strukturen und Methoden berücksichtigen. Kanban stellt die bisherige Arbeitsweise nicht vollständig auf den Kopf. Es kann auf bestehende Rollen, Prozesse und Methoden aufgesetzt werden und diese ergänzen.“
„Inkrementelle, evolutionäre Veränderungen anstreben. Es wird vereinbart, permanent kleine Verbesserungen der Arbeitsweise nach und nach umzusetzen.“
„Alle Ebenen und Mitarbeiter:innen einbeziehen. Die Methode muss von allen Mitarbeitern verstanden, akzeptiert und mitgetragen werden. Jeder muss sich aktiv an dem Prozess beteiligen.“
Die vier Kanban-Prinzipien beschreiben auf poetische Weise die mentale Grundeinstellung der kontinuierlichen Verbesserung. Es geht nicht darum, erst die optimalen Bedingungen für einen Neustart zu schaffen, es kann mitten im Chaos damit begonnen werden. Im fortwährenden Evaluieren und Re-organisieren kann ein organischer Optimierungsprozess stattfinden.
Es braucht keine großen Ideen oder revolutionäre Umstürze. Stetige, kleine Verbesserungen genügen. Damit diese Philosophie aber auf der gesamten Unternehmensebene greifen kann, braucht es die Eigeninitiative und Motivation aller Beteiligten.
Tempo
Kanban „reduziert die Durchlaufzeiten der Aufgaben“, erklärt Pfeifer. Weil durch die lückenlose Visualisierung Engpässe identifiziert werden, können bremsende Faktoren im Arbeitsprozess beseitigt werden. Außerdem muss nicht immer die gesamte Wertschöpfungskette mitgedacht werden, weil sie in einem dynamischen System dargestellt ist. Dadurch kann die volle Konzentration in die momentane Aufgabe fließen und diese besser bearbeitet werden.
Qualität
Die Gründlichkeit mit der Arbeitsabläufe gesteuert werden, erhöht auch deren Qualität. Alle Mitarbeiter:innen können sich voll und ganz dem vorliegenden Arbeitsschritt widmen. Die Verbindungen zwischen den Arbeitsschritten wird dabei im Kanban-System externalisiert und sorgt für ein geringeres Risiko an individuellen Fehlern.
Flexibilität
Kanban ermöglicht es, schnell und gezielt auf neue Herausforderungen zu reagieren. Wieder ist es die Visualisierung und Strukturierung des Arbeitsprozesses die diese Wendigkeit ermöglicht. Kompetenzen sind klar definiert und Entscheidungswege kurz, neue Aufgaben können schnell in die Prozesse integriert werden. Durch das hohe Maß an Eigeninitiative können Probleme schnell und effizient gemeistert werden, ohne lange auf Anweisungen aus der Chefetage zu warten.
Zufriedenheit
Sowohl seitens der Belegschaft als auch seitens der Kund:innen kann das Kanban-System die Zufriedenheit steigern. Mitarbeiter:innen fühlen sich in einem gut strukturierten Arbeitsprozess sinnvoll eingebunden und nützlich. Es gibt kaum Leer- oder Wartezeiten, die sich negativ auf die Motivation auswirken aber auch weniger Überlastung, da jeder Prozessschritt optimal ausgelastet wird.
Komplexität
Eine Schwierigkeit, die sich bei der Implementierung des Kanban-Systems ergibt, ist die Informationsfülle. Alle Prozessschritte und Interaktionen innerhalb der Wertschöpfungskette auszuschildern kann, vor allem in größeren Unternehmen, zu einer Herausforderung werden.
Neue Denkweise
Der notwendige „Mindset Change ist in hierarchischen Strukturen oft sehr schwierig“, erklärt Pfeifer. Traditionelle Handlungsmuster und eingespielte Muster können zum Hindernis werden, vor allem in Stress- oder Ausnahmesituationen. Bis eine grundlegend neue Denkweise etabliert ist, kann es daher oft lange dauern.
Nicht ausreichend
Kanban ist nicht die Antwort auf alle Probleme. Oft müssen andere Systeme zusätzlich angewendet werden, um gewisse Aufgaben zu meistern. Vor allem „bei sehr großen Projekten ist sie als alleinige Organisationsform nicht anwendbar“, erklärt Pfeifer.
Wie kann man Kanban im eigenen Unternehmen anwenden?
Wie oben beschrieben gehört es zu den Grundprinzipien des Kanban-Systems, dass es keine optimalen Startbedingungen gibt. Vielmehr sollte schrittweise versucht werden, einzelne Elemente des Systems einzuführen.
Die Visualisierung der Wertschöpfungskette muss der Ausgangspunkt sein.
Aber auch hier kann man sich von einer rudimentären Darstellung der einzelnen Arbeitsschritte zu einer detaillierten Auflistung aller unterschiedlichen Elemente des Prozesses hocharbeiten.
Wichtig ist, Kanban von Beginn an auch in den Köpfen der Mitarbeiter:innen Wurzeln schlagen zu lassen und nicht nur „von oben“ anzuschaffen. Die Devise ist, anfangen und ausprobieren.
DER EXPERTE
Manfred Pfeifer ist Unternehmensberater und Projektmanagement-Experte bei "next level consulting"