Ein Dialog, kürzlich im Zug mitbekommen: "Eigentlich mag ich überhaupt gar nicht mehr zurück ins Büro!" - "Jeden Tag wieder acht Stunden und mehr? Furchtbar." Hören Sie so etwas auch? Immer öfter sogar? Na ja - einige wenige, die lieber daheim im bequemen Jogging-Anzug auf dem Laptop arbeiten als im schönen, funktionalen 300-Quadratmeter-Großraumbüro? Weit daneben!
Es sind nicht nur einige wenige, sondern sehr viele. Laut einer Studie von EY sagen mehr als die Hälfte der Befragten, sie würden lieber kündigen als wieder täglich nine-to-five zurück ins Büro. Diese Umfrage stimmt mich sehr nachdenklich. Lieber kündigen als ins Büro? Irgendwas läuft da schief. Erst seit Corona und Homeoffice? Nein! Corona und Homeoffice bringen es nur ans Licht. Ziemlich grell sogar. Laut Gallup haben acht von zehn Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gar keine oder nur eine sehr geringe emotionale Bindung zum Arbeitsplatz. Und das konstant seit Jahren!
Ich sage: Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter nicht nur aus dem Homeoffice zurückgewinnen, sie müssen sie überhaupt wieder gewinnen. Emotional sind die meisten ihrer Mitarbeiter nämlich schon weg. Und wer innerlich gekündigt hat, macht es bald tatsächlich. Es ist nur noch eine Frage der Zeit und eines besseren Angebots.
Das Büro als Bindeglied
Wie kommen Unternehmen also aus diesem Dilemma? Sicher nicht mit einem Wutzler, einem Obstkorb und ein paar Grünpflanzen. Das hat schon bisher nicht funktioniert. Entscheidend sind Unternehmenskultur und Qualität der Führung. Was sind die gemeinsamen Werte, und wie werden sie gelebt? Schöne Imagebroschüren sind dafür zu wenig.
Die Werte müssen als DNA eines Unternehmens für die Mitarbeiter spürbar sein. Und Führungskräfte, die ihren Mitarbeitern tatsächlich vertrauen, tun das auch im Homeoffice. Beschäftigte, die sich respektiert und wertgeschätzt fühlen, werden da wie dort ihr Bestes geben. Desksharing, Remote und Coworking: Ja, unsere Arbeitsweisen sind immer stärker von festen Arbeitsplätzen losgelöst. Das ist gut so. Routinearbeit, die jemand allein erledigen kann, kann er oder sie durchaus im Homeoffice machen.
Das Büro muss mehr werden, als Schreibtisch-an-Schreibtisch-Legebatterien, wo Beschäftigte in die Tasten klopfen: ein Ort der Zusammenarbeit und des regen Austausches, an dem die Menschen gerne sind. Das Büro als gemeinsamer Ort wird noch mehr zum Bindeglied zwischen Unternehmen und Mitarbeitenden. Richtig genützt, werden hier Zugehörigkeitsgefühl, Kreativität sowie Zusammenarbeit im Team gefördert.
Führungskräfte als Coach
Ganz entscheidend für Erfolg oder Misserfolg sind die Führungskräfte. Ich behaupte, wir haben in Österreich nicht nur einen Fachkräftemangel, wir haben einen veritablen Führungskräftemangel. Und damit meine ich Führungskräfte, die keine Scheu haben, mit "ihren Leuten" in den Dialog zu gehen, Fragen zu stellen, die eine offene Feedbackkultur leben und ihre Mitarbeiter nicht als reinen Kostenfaktor sehen, sondern als Menschen. Führungskräfte, die nicht nur Quartals-Umsatzzahlen vorgeben, sondern auch Werte vermitteln.
Ich meine ausdrücklich keine Führungskräfte, die am Vormittag Vertrauen predigen und am Nachmittag Performance-Mess-Tools fürs Homeoffice einkaufen, die bei Businesmeetings die Nachhaltigkeit ihres Unternehmens hervorstreichen und dann mit dem 300-PS-SUV heimfahren. Wir brauchen Führungskräfte, die gelernt haben, zu führen, die das können und die das gerne und mit Freude machen.
Vertrauen und emotionale Bindung entstehen nur dann, wenn klar kommuniziert wird und sich niemand davor fürchten muss, eine offene Feedbackkultur zu leben. Gute Führungskräfte stehen ihren Mitarbeitern wie ein Coach zur Seite und wollen das Beste aus ihnen herausholen.
Ich weiß, das ist sehr viel verlangt, und das geht nicht von heute auf morgen. Das braucht Zeit, Geduld und Mühe. Aber Unternehmen, die meinen, sie könnten dabei eine Abkürzung nehmen, nehmen eine Abkürzung direkt ins Out. Gut ausgebildete Fachkräfte werden die wichtigste Ressource im internationalen Wettbewerb, Wissen wird wichtiger als Öl. Unternehmen, die heute in ihre Unternehmenskultur investieren, die ihre Beschäftigten einbinden und ihre Anliegen ernst nehmen, werden auch morgen engagierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben.
Zur Person
ANDREAS GNESDA ist Arbeitsweltexperte und Kulturentwickler und hat mit seinem Unternehmen teamgnesda bereits mehr als 500 Arbeitsweltprojekte im In- und Ausland umgesetzt.