Unter Handlungsdruck wird der Umgangston in Unternehmen oft rauer. Wenn aber der Respekt im Umgang miteinander sinkt, dann drückt das die Motivation und die Leistung der Mitarbeiter und in der Folge auch die Produktivität der Unternehmen.
Wertschätzung und Respekt
Führungskräfte sollen einen wertschätzenden und von wechselseitigem Respekt geprägten Umgang mit ihren Mitarbeitern pflegen. Das wird in praktisch allen Führungsseminaren betont. Im Arbeitsalltag spüren die Mitarbeiter jedoch oft wenig davon.
Dabei ist mangelnde oder gar fehlende Wertschätzung einer der häufigsten Gründe, warum Arbeitnehmer ein Unternehmen verlassen. Wertschätzung von Mitarbeitern und Respekt ihnen gegenüber ist somit auch im aktuellen Szenario des grassierenden Arbeitskräftemangels ein kritischer Erfolgsfaktor im Kampf um die besten Talente.
Wenn es jedoch im Gebälk des Unternehmens brennt – also zum Beispiel die Umsätze und Gewinne einbrechen – und die Führungskräfte selbst unter einem hohen Druck stehen, dann herrscht stattdessen ein oft ein eher rauer Umgangston. Nicht selten werden dann sogar die einfachsten Benimm-Regeln, die im menschlichen Miteinander eigentlich gelten, vergessen
Wenn das der Fall ist, dann ist es bis zum Auftreten echter Konflikte nicht mehr weit. Konflikte, die wiederum zu einer echten Belastung werden können und striktes Konfliktmanagement erfordern.
Respektlosigkeit hat viele Gesichter
Respekt zu zeigen ist eine Frage der Einstellung. Und bedingt, dass man sich für den Anderen Zeit nimmt. Auf die Person eingeht. Ist das nicht der Fall, dann wird fehlende Wertschätzung schnell als Respektlosigkeit gewertet. Für den Betroffenen kommt das einer Missachtung gleich - auch wenn diese gar nicht beabsichtigt ist.
In Unternehmen, wo oft viele Menschen über mehrere Hierarchiestufen zusammenarbeiten, gibt es es viele Möglichkeiten, Respekt zu zeigen. Aber auch viele Möglichkeiten, das zu versäumen. Da geht zum Beispiel ein altgedienter Mitarbeiter in den Ruhestand, ohne dass zuvor ein Vorgesetzter mal vorbeischaut, ihm die Hand reicht und ein Wort des Dankes sagt.
Oder: Da wird eine hochqualifizierte und - engagierte Fachkraft, die in einem Meeting sachliche Bedenken äußert, vom Vorgesetzten vor versammelter Mannschaft angeraunzt: „Wollen oder können Sie nicht? In beiden Fällen sind Sie hier fehl am Platz.“
Oder: Eine Controllerin erhält von ihrem Chef, der ein Zimmer weiter seinen Schreibtisch hat, zehn Minuten vor Feierabend per Mail die Anweisung, sie müsse bis zum nächsten Morgen eine Präsentation vorbereiten, obwohl dieser weiß: Sie muss ihr Kind pünktlich abholen.
Die Reihe der Beispiele ließe sich beliebig fortsetzen. Die Anekdoten aus dem Betriebsalltag, die man als Trainer in Seminaren hört, ergeben hierfür einen großen Fundus. Und regelmäßig hört man, spätestens seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie von den Teilnehmern: „Das Klima in unserem Betrieb hat sich verschlechtert. Der Umgangston wird immer rauer.“
Und zwar nahezu unabhängig davon, auf welcher hierarchischen Stufe die Mitarbeiter im Unternehmen angesiedelt sind.
Familie und Einzelkämpfer: Die Letzten beißen die Hunde
Besonders mittlere Führungskräfte sind um ihre „Sandwich-Position“ als Mittler zwischen den „Chefs ganz oben“ und den „Werkern“ auf der operativen Ebene dabei nicht zu beneiden. Sie bekommen die Nervosität und Hektik, die in den Chefetagen herrscht, meist unmittelbar zu spüren. Und weil sie selbst unter einem enormen Druck stehen, geben sie diesen nicht selten ungefiltert an ihre Untergebenen weiter.
Der Umgangston wird dabei umso rauer, je weiter man in der Unternehmenshierarchie nach unten kommt und je einfacher die Mitarbeiter aufgrund ihrer (geringen) Qualifikation) von den Unternehmen durch andere Personen zu ersetzen wären.
Denn noch gilt in vielen Unternehmen: Den Letzten beißen stets die Hunde. Oder wie es ein Personalvorstand mal smarter formulierte: „Unsere Top-Führungskräfte und -Spezialisten hofieren wir, den Rest unserer Kernmannschaft pflegen wir. Und das Fußvolk? Das sourcen wir entweder aus oder minimieren die Kosten.“
Schon lange existiert denn auch in den meisten (größeren, als Holding strukturierten) Unternehmen nicht mehr ein Zusammengehörigkeitsgefühl, wie es sich früher einmal in solchen Begriffen wie die Siemens- oder Bosch-Familie artikulierte.
Nur in ganz wenigen Unternehmen ist dies noch der Fall. In deutlich mehr Unternehmen regiert heute – obwohl sie eine bereichs- und funktionsübergreifende Team- und Projektarbeit propagieren – das Einzelkämpfertum; zumindest wenn es hart auf hart kommt. Und in Stresssituationen hat man nicht selten das Gefühl: Jeder ist primär mit dem eigenen Überleben beschäftigt.
Mitarbeiter fühlen sich als „Human-Kapital“
Das ist schade, doch teilweise verständlich, ist doch er Veränderungs- und Handlungsdruck in vielen Unternehmen enorm gestiegen. Zudem arbeiten weite Teile ihrer Belegschaft – zumindest psychisch – nun oft schon seit Jahren an ihrer Belastungsgrenze. Und in unsicheren Zeiten ohne Aussicht auf Besserung.
Oder anders formuliert: In vielen Unternehmen ist der Druck im „Kessel“ aktuell so hoch, dass das Betriebsklima immer rauer wird. Zugleich wird aber vom Management weiterhin betont: „Wir brauchen intrinsisch motivierte Mitarbeiter, die sich mit dem Unternehmen identifizieren und sich eigeninitiativ und -verantwortlich für das Erreichen von dessen Zielen engagieren.“
Doch woher sollen diese intrinsische Motivation kommen, wenn sich insbesondere in Kapitalgesellschaften bei den Mitarbeitern zunehmend das Gefühl verdichtet: „Wir werden nur noch als Human-Kapital gesehen, das je nach Bedarf mal gehätschelt und mal getreten oder mal auf- und abgebaut wird.“
Wenn Mitarbeiter einen solchen Widerspruch zwischen den öffentlichen Verlautbarungen und dem Betriebsalltag spüren, dann gehen sie emotional auf Distanz zum Unternehmen, und ihre Handlungsmaxime lautet wie bei den Kapitalgebern: Wie ziehe ich aus der Beziehung den größten Profit? Und wenn aus ihrer Warte das wechselseitige Geben-und-Nehmen nicht mehr stimmt? Dann verabschieden sie sich zumindest mental vom Unternehmen. Das heißt, ihre Leistung sinkt. Das ist gerade in Marktumbruchzeiten wie den aktuellen fatal, denn dann ist nicht selten von allen Beteiligten eine Mehrleistung nötig, um das Schiff Unternehmen auf Kurs zu halten.
Mitarbeiter müssen Wertschätzung spüren
Nicht oft genug kann deshalb betont werden: Wenn in den offiziellen Verlautbarungen der Unternehmen immer wieder von einem partnerschaftlichen, von wechselseitigem Respekt geprägten Umgang miteinander gesprochen wird, dann müssen die Mitarbeiter diese Wertschätzung auch im Betriebsalltag spüren. Unternehmen müssen ihr Corporate Social Mind auch intern aufbauen, zeigen und leben.
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Dann ist es schlicht ein No-go, dass ein altgedienter Mitarbeiter ohne ein Wort des Dankes in den Ruhestand entlassen wird. Denn dann denken alle verbleibenden Mitarbeiter: „Dieses Schicksal droht mir auch einmal.“
Ebenso ist es ein No-go, dass eine Führungskraft, wenn eine Fachkraft in einem Meeting sachlich begründete Einwände artikuliert, diese nicht ernst nimmt und den Mitarbeiter vor der versammelten Mannschaft maßregelt. Denn dann denken alle Anwesenden: „Ich halte künftig besser meinen Mund."
Und es ist ein No-go, dass eine Führungskraft, wenn sie von einem Mitarbeiter kurzfristig Mehrarbeit erwartet, das einfach per Mail mitteilt. Dann sollte sie sich von ihrem Stuhl erheben und dies dem oder der Betroffenen persönlich sagen – oder zum Telefonhörer greifen, wenn sich der Mitarbeiter im Homeoffice befindet. Denn sonst denken alle Kollegen, die hiervon erfahren: „Meine bzw. unsere persönlichen Interessen, Ziele und Verpflichtungen interessieren hier offensichtlich niemand. Warum soll ich mich dann für das Unternehmen – mehr als es mir nützt – engagieren?“
Entsprechend reagieren die Mitarbeiter, wenn ihre Führungskraft, weil sie etwas möchte, plötzlich an das Wir appelliert. „Wir sollten ...“, „Wir wollen...“, „Wir müssen ...“ Dann sagen zwar alle mit den Lippen ja und täuschen das gewünschte Engagement vor, doch faktisch denken sie: „Und was habe ich davon? Die können mich mal.“
Positive Effekte der Wertschätzung
Wertschätzung hat viele positive Effekte auf das Betriebsklima und damit auch auf den unternehmerischen Erfolg. Dazu gehören:
Eine bessere, vertrauensvolle Kommunikation und in der Folge ein besseres Arbeitsklima.
Eine stärkere Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen.
Eine geringere Anzahl von Krankenständen und weniger Fehlzeiten der Mitarbeiter.
Eine gesteigerte Motivation und Leistungsbereitschaft in der Belegschaft.
Eine höhere Produktivität des Unternehmens.
Respekt zeigt sich in vielen scheinbaren Kleinigkeiten
Denken Sie deshalb als Führungskraft bei Ihrer Führungsarbeit daran: Wie viel Respekt und Wertschätzung Sie Ihren Mitarbeitern entgegenbringen, zeigt sich für diese in vielen (scheinbaren) Kleinigkeiten. Es zeigt sich unter anderem darin,
wie viel Zeit Sie sich für Ihre Mitarbeiter nehmen und wie aufmerksam Sie ihnen zuhören,
ob Sie sich auch für sie als Mensch bzw. Privatperson interessieren,
wie kompromissbereit Sie bei Interessengegensätzen und Zielkonflikten zwischen Ihnen und Ihren Mitarbeitern sind,
wie Sie auf Fehler und Versäumnisse von ihnen reagieren,
und, und, und....
Das sollten Sie sich gerade in solch stressigen Zeiten wie den aktuellen immer wieder vor Augen führen. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass Sie irgendwann nur noch von Ja-Sagern und Egoisten umgeben sind, die Engagement für die Bereichs- und Unternehmensziele zwar heucheln, doch nicht zeigen. Und das wirkt sich auch auf Ihren beruflichen Erfolg aus, denn: Ihre Leistung wird von Ihren Vorgesetzten an der Leistung Ihres Teams gemessen.
Die Expertin
BARBARA LIEBERMEISTER
ist Gründerin und Leiterin des Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt, Managementberaterin und Vortragsrednerin. Im August 2021 erschien ihr neuestes Buch "Die Führungskraft als Influencer: In Zukunft führt, wer Follower gewinnt" im Gabal-Verlag. Zu diesem Thema hält Liebermeister auch Vorträge und Seminare. Zudem betreibt sie den Podcast „Business Secrets: Warum Frauen gelikt werden und Männern gefolgt wird“.