Der AUTOR MIT RUDOLF SCHARPING bei einem American-Football-Spiel: Der frühere SPD-Politiker ist heute gefragter Unternehmensberater für KI-Investitionen.
©Robin LumsdenDer neueste Untersuchung der US-Elite-Universität Stanford zu künstlicher Intelligenz zeigt, dass die US-Techgiganten führend bei KI-Anwendungen sind, die besten Forschungseinrichtungen sich aber in China befinden. Und Europa einmal mehr abgehängt wird.
Da die USA und das Silicon Valley weiterhin mit China an der Spitze der technologischen KI-Revolution stehen wollen, wird die Notwendigkeit umfassender Regulierungen immer offensichtlicher. Das bisherige Fehlen eines zentralisierten und umfassenden Regulierungsrahmens für KI in den USA gibt speziell Technologieunternehmen im Silicon Valley Anlass zu Bedenken hinsichtlich der ethischen Auswirkungen und potenziellen Risiken, die mit der Entwicklung und dem Einsatz von KI verbunden sind.
Die politischen Entscheidungsträger sind sich der Dringlichkeit dieser Angelegenheit (vielleicht) bewusst und arbeiten (angeblich) aktiv daran, einen robusten Regulierungsrahmen zu schaffen, um ein Gleichgewicht zwischen der Förderung von Innovation und der Wahrung gesellschaftlicher Interessen zu schaffen.
Silicon Valley, das globale Epizentrum für Technologie und Innovation, spielt eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung dieses Diskurses. Tech-Giganten wie Google, Facebook und Apple sind nicht nur führend in der KI-Entwicklung, sondern beteiligen sich auch aktiv an Diskussionen über einen verantwortungsvollen Einsatz von KI, wohl mit massiven ökonomischen Eigeninteressen. Die gemeinsamen Bemühungen zwischen Branchenführern, politischen Entscheidungsträgern und der Wissenschaft tragen zu Überlegungen von Vorschriften bei, die den einzigartigen Herausforderungen dieser Technologien gerecht werden.
Die Stanford University, eingebettet im Herzen des Silicon Valley, gilt als Leuchtturm für KI-Forschung und -Ethik. Die Universität steht an der Spitze dieser KI-Ausbildung und -Forschung, ihre Wissenschaftler tragen maßgeblich zur Entwicklung ethischer Richtlinien bei. Der interdisziplinäre Ansatz von Stanford bringt Experten aus Bereichen wie Informatik, Recht und Philosophie zusammen, um die vielfältigen Herausforderungen der KI-Technologien anzugehen.
Das Stanford Institute for Human-Centered Artificial Intelligence (HAI) hat sich zu einem wichtigen Akteur im Bereich der KI-Ethik entwickelt. Anspruch: die verantwortungsvolle Entwicklung und einen verantwortungsvollen Einsatz von KI-Technologien sicherzustellen. Stanfords proaktives Engagement mit Branchenführern und politischen Entscheidungsträgern positioniert es als Vordenker im laufenden Diskurs über künftige Regulierungen.
ALS ICH ZULETZT IN STANFORD WAR, hat mich beeindruckt, dass die Themen, die früher die Diskussionen, Gespräche und Vorträge dominiert hatten (wie zuletzt die Blockchain-Technologie mit dessen einem Ausprägungsarm "Crypto") nun vollkommen überlagert wurde von KI-Themen: Haben noch vor Kurzem alle Studenten in deren Start-up-Ideen das Thema "Blockchain" zumindest als Buzz-Word, wenn nicht gar als "zentrales Element" in deren Präsentationen dominant erwähnt, scheint jetzt kaum ein Start-up mehr investitionswürdig, wenn nicht zumindest auch die kommerzielle "KI-Anwendung" des Unternehmens im Vordergrund steht.
Ich treffe den ehemalige deutsche Verteidigungsminister und SPD-Vorsitzenden Rudolf Scharping, Gast in Stanford, einen unterschiedlich erfolgreichen ehemaligen SPD-Politiker, wie üblich bei mir, bei einem NFL (Amerikanischen) Footballspiel. Seine Tochter Susanne ist eine der führenden "Flammenkünstlerinnen" der USA und lebt seit 2015 in Kalifornien. Der einstige Spitzenpolitiker geht heute ganz in seiner Rolle als Unternehmensberater für KI-Investitionen auf.
Scharping (Jahrgang 1947) bringt historisch eine internationale politische Perspektive ein und kombiniert sie mit einem seiner Generation entsprechenden Verständnis der sich entwickelnden Technologielandschaft. Dabei unterstreicht er den heute mehr denn je globalen Charakter von KI-Investitionen und die Notwendigkeit eines ebenso notwendig international harmonisierten Ansatzes für Vorschriften. Scharping könnte auch hier in Kalifornien als Bindeglied fungieren - zwischen einer vorrangig politisch und europäisch geprägten Nachkriegsgeneration und den jüngeren, komplett globalisiert geprägten Generationen, die zwischen Euphorie, Skepsis und Ablehnung gegenüber neuen und bisweilen durchaus auch beängstigenden Technologien wie der KI schwankt.
Die Vorschriften - Konflikt von Interessen
Der Weg zur Einführung umfassender KI-Vorschriften in den USA und speziell im Silicon Valley wird angesichts des beispiellosen Tempos der Technologieentwicklung zunehmend als wichtig beachtet. In diesem Zusammenhang wird auf die Zusammenarbeit zwischen Industrie, Wissenschaft und politischen Entscheidungsträgern für die Gestaltung ethischer und wirksamer Richtlinien gesetzt.
Ich bin ein optimistischer Fan des wissenschaftlichen Fortschritts und auch in Zeiten der KI dafür, junge Menschen mit neuen, auch revolutionären Ideen kritisch zu konfrontieren, diese natürlich auch zu regulieren. Ich bin aber kein Fan einer überbordenden Regulierung und auch dagegen, Milliardären und Milliardenunternehmen neben der Entwicklung von Geschäftsmodellen auch noch das Diktieren dieser Regularien zu überlassen. In meinem Brotberuf als Wirtschaftsanwalt nennt man das einen "Conflict of Interest".
Laut neuestem Stanford-Report wurden bis 2014 die meisten bedeutenden Machine-Learning-Modelle von öffentlichen Forschungseinrichtungen entwickelt. Mit einem noblen Motto, so etwa der Gründungsgedanke von OpenAI: "Unser Ziel ist es, digitale Intelligenz so voranzutreiben, dass die Menschheit insgesamt davon profitiert, losgelöst von der Notwendigkeit, finanzielle Erlöse zu erzielen."
Mittlerweile, so die Stanford-Untersuchung, hat die US-Techindustrie das Feld komplett übernommen. Denn die Entwicklung von KI setzt enorme Ressourcen voraus: Supercomputer, riesige Datenmengen und Geld, zum Beispiel für Energie. In Bezug auf die Forschung hat aber nicht der westliche Kapitalismus die Nase vorn. Die neun besten KI-Forschungseinrichtungen der Welt befinden sich allesamt in China. Das sollte uns "im Westen" zu denken geben.
Bei den Unternehmen sind die USA weiterhin klar auf Position eins, bei der Forschung eben China. Der Kampf um die künftige Dominanz bei KI ist eröffnet.
In Österreich haben wir eine großartige Tradition in der global gesehen wichtigen Grundlagenforschung. Auch der österreichische Professor (Nano-Forschung) in Stanford hat seinen Fokus auf Grundlagenforschung. Warum wir in Österreich und Europa die "harte Arbeit" für die großen Player wie USA und China übernehmen, aber keine praktischen Anwendungen umsetzen können und somit keinen Zug zum Tor haben, kann ich kulturell nur damit erklären, dass man mit unternehmerischen Ideen mutig agieren muss und auch verlieren kann. Wir fahren lieber auf Nummer sicher und bleiben Theoretiker. Eines ist unbestritten: Europa wird in einer KI-Gesamtbilanz klar abgehängt.
Steckbrief
Robin Lumsden
Robin Lumsden ist Wirtschaftsanwalt in Wien, New York und Washington. Zwei Jahre verbrachte er an der US-Eliteuniversität Stanford.
Der Artikel ist der trend. edition+ Ausgabe vom 22.12.2023 entnommen.