Die oberste Führungsebene eines Unternehmens - das braucht kaum betont zu werden - hat in jeder Organisation eine essenzielle Bedeutung. Das Topmanagement-Team muss in jeder Hinsicht höchsten Anforderungen entsprechen, bezüglich der personellen Zusammensetzung, der inneren Organisation, der verfügbaren Infrastruktur und seiner Arbeitsweise und Arbeitsdisziplin.
Es spielt im Grunde keine Rolle, ob man es mit einer kleinen oder einer großen Organisation zu tun hat, einem mittelständischen Unternehmen oder einem global tätigen Konzern. Die Grundfragen sind immer dieselben, obwohl vielleicht die Antworten nicht immer gleich ausfallen können.
Unabhängig davon, ob im Einzelnen nach funktionalen Gesichtspunkten, produkt- oder spartenbezogen, nach geografischen Kriterien oder nach Geschäftsbereichen organisiert wird, die Geschäftsführung, der Vorstand müssen jedenfalls die folgenden Aufgaben erfüllen, und ihre Erfüllung muss vom Aufsichtsorgan kontrolliert werden:
- Durchdenken und Bestimmen des Geschäftszwecks und des Geschäftsauftrags
- Entwicklung einer Strategie
- Setzen von Standards und von Maßstäben für das Verhalten der Mitarbeiter und insbesondere der Führungskräfte
- Aufbauen und Erhalten der Human-Ressourcen
- Durchdenken und Festlegen der Gesamtstruktur des Unternehmens
- Pflege der Schlüsselbeziehungen des Unternehmens nach außen
- Wahrnehmung der Repräsentation des Unternehmens
- Bereitschaft für Krisen und Chancen
Wie man sieht, gliedere ich die Topaufgaben nicht nach funktionalen Ressorts oder Abteilungen. Das ist bereits einer der Schlüssel zu einer guten Topmanagement-Organisation. In jedem Unternehmen und selbstverständlich auch in anderen Organisationen müssen zweifellos noch viele andere Aufgaben erfüllt werden, die die Aufmerksamkeit der Unternehmensspitze erfordern, von Forschung und Entwicklung bis Marketing und von Produktion bis Finanzen. Selbstverständlich werden die Mitglieder der Führungsebene in die Erfüllung dieser Aufgaben involviert sein. Es ist in der heutigen Praxis üblich, dass sie an der Spitze der entsprechenden Ressorts stehen.
1. Geschäftszweck und Auftrag bestimmen
Die Schlüsselfragen müssen lauten: Was ist der Zweck dieses Unternehmens, was soll er sein, und was soll er nicht sein? Im Englischen wird in diesem Zusammenhang von den ernst zu nehmenden Fachleuten von Business Purpose und Business Mission gesprochen. Ich empfehle jedoch jedem Mitglied des Topmanagements, ob Aufsicht oder Exekutive, vorsichtig und wachsam zu werden, wenn über Visionen geredet wird. Das Wort ist oft nichtssagend und inhaltsleer und daher überflüssig; im schlechten Falle ist es gefährlich.
2. Eine Strategie entwickeln
Auf Basis eines klaren und präzisen Verständnisses von Geschäftszweck und Geschäftsauftrag muss eine Strategie entwickelt werden. Man sollte meinen, dass die Entwicklung einer Strategie sowohl inhaltlich als auch methodisch zum selbstverständlichen Handwerkszeug jedes Topmanagers gehört. Leider ist das nicht der Fall.
Schritt 1: Die Lage beurteilen
Die Grundlage einer Unternehmensstrategie muss, erstens, eine präzise Lagebeurteilung sein, umfassend die wichtigsten Entwicklungen von Wirtschaft und Gesellschaft, die Spezifika der Branche sowie die direkte Konkurrenz und die Substitutionskonkurrenz. Eine Lagebeurteilung erfordert vor allem eines: nüchternsten Realismus; und sie ist mit harter Arbeit verbunden. Ich behaupte nicht, dass die Topmanager dabei alles selbst zu machen haben, aber sie müssen sich in angemessenem Umfang mit dieser Thematik höchstpersönlich befassen. Man kann sich eine Lagebeurteilung nicht einfach erarbeiten und dann präsentieren lassen, weder von Stabsmitarbeitern noch von Beratern.
Schritt 2: Die Perspektive ausloten
Ein zweites, wesentliches Element ist die klare Unterscheidung zwischen den Erfordernissen des heutigen Geschäfts und jenen des Geschäfts von morgen. Dazu gehört ein präzises Verständnis von Innovationsdynamik und Innovationsmanagement. In diesem Zusammenhang geht es um die entscheidende Fähigkeit, eine Balance zwischen dem Heute und dem Morgen herbeizuführen. Auf diese Fähigkeit muss die Unternehmensaufsicht besonders achten. Manager, die damit Mühe haben, sind an der Spitze eines Unternehmens gefährlich.
Die entscheidende Kunst im Topmanagement ist es ja gerade, mehrere Dimensionen gleichzeitig im Visier und unter Kontrolle zu haben. Kaum ein Manager hätte Probleme, wenn er sich vollständig auf das gegenwärtige Geschäft konzentrieren könnte und - ohne Rücksicht auf die Zukunft - nur auf dessen Erfolg achten müsste. Das kann fast jeder. Und keiner hätte Schwierigkeiten, wenn er nur an die Zukunft denken müsste und das laufende Geschäft außer Betracht lassen könnte. Das sind die leichten Aufgaben. Aber sie stellen sich so nicht auf der Topebene.
Schritt 3: Die Ressourcen bereitstellen
Als drittes Element einer Strategie - und unmittelbar mit dem Balancieren des gegenwärtigen und des zukünftigen Geschäfts verbunden - ist die Allokation von Ressourcen zu sehen. Üblicherweise wird das mit den Investitionsentscheidungen identifiziert. Diese gehören auch dazu, aber es geht um viel mehr. Die Schlüsselressourcen eines Unternehmens bestehen nicht nur aus Geld; sie umfassen Menschen, Wissen, Zeit und Aufmerksamkeit.
3. Standards und Maßstäbe für die Mitarbeiter setzen
Diese Topmanagement-Aufgabe betrifft im weitesten Sinne das Gebiet, das man als Unternehmenskultur zu bezeichnen pflegt.
Das exekutive Topmanagement muss durch persönliches Beispiel und Vorbild führen. Eine andere Art von Führung gibt es nicht. Was die Mitglieder der Führungsebene nicht selbst vorleben, wird nicht gemacht. Es spielt überhaupt keine Rolle, was die Topmanager sagen, verkünden, propagieren oder durch große Programme zu verwirklichen versuchen. Wenn es Widersprüche gibt zwischen dem, was sie sagen, und dem, was sie tun, werden die Menschen in der Organisation sich an dem orientieren, was sie tun. Das wird der Maßstab sein.
Die Mitglieder des Exekutivorgans müssen die Lücke zwischen dem, was die Organisation ist, und dem, was sie sein könnte, durch ihre Person sichtbar machen und repräsentieren. In letzter Konsequenz machen sie das sichtbar durch die Art, wie sie ihre Verantwortung einlösen.
Bezüglich dieser Dinge kann man gar nicht wachsam genug sein, und die Maßstäbe, die man an das Verhalten des Topmanagements legt, können gar nicht anspruchsvoll und streng genug sein. Jede Abweichung wird registriert, von der gesamten Belegschaft, von den Managern auf allen Ebenen, die sich ihrerseits am Verhalten der Unternehmensspitze orientieren, und unter Umständen von den Medien und der Öffentlichkeit. Und alle Augen sind in solchen Situationen auf die Unternehmensaufsicht gerichtet: Tun sie nun etwas "da oben", oder ist es sogar das, was hier gewollt ist ...?
4. Human-Ressourcen aufbauen und erhalten
Die vierte Aufgabe des exekutiven Topmanagements betrifft das Humankapital des Unternehmens. Dass eine Organisation nicht besser sein kann als die Menschen, die sie hat, in Wahrheit nicht besser als die schwächsten Glieder, wird verbal von fast allen Führungskräften vertreten. Ihr Handeln entspricht dem aber bei weitem nicht immer.
Man überlässt die damit zusammenhängenden Aufgaben viel zu oft dem Personalressort. In Wahrheit ist das aber eine der zentralen Aufgaben des Exekutivorgans, es ist eine Topmanagement-Aufgabe. Man kann sie nicht delegieren.
Mit Human-Ressourcen ist hier die ganze Belegschaft gemeint. Besonders wichtig sind aber die Führungskräfte aller Stufen und die Wissensexperten, die Spezialisten. Es muss für die richtige Altersstruktur gesorgt werden; man muss die High Potentials identifizieren; man braucht systematische Evaluation und Laufbahngestaltung. Es müssen heute die Manager von morgen aufgebaut und ausgebildet werden. Es ist dafür zu sorgen, dass sie sich die richtigen Werthaltungen zu Eigen machen, dass sie umfassend erprobt und getestet werden, bevor sie größere Führungsaufgaben übertragen bekommen, und dass sie die richtigen Erfahrungen machen können.
Richtige Personalentscheidungen treffen
Die wichtigsten Entscheidungen in einem Unternehmen sind nicht die Investitions- und Finanzentscheide. So wichtig diese zweifellos sind - es gibt etwas Wichtigeres: Das sind die Personalentscheidungen. Die besten Investitionsentscheidungen werden ohne Ergebnis bleiben, wenn die Personalbasis des Unternehmens verrottet und verkommt, sei es bezüglich der Fähigkeiten der Mitarbeiter oder sei es bezüglich der Moral.
Alle Personalentscheidungen im Unternehmen sind wichtig, besonders selbstverständlich jene, die höhere Führungspositionen betreffen. Personalentscheidungen sind das wichtigste Signal für das, was das Management wirklich will, für die Werte, die es vertritt, und für seine Glaubwürdigkeit.
Umso bemerkenswerter ist es, dass etwa zwei Drittel aller Personalentscheide schlecht bis gerade noch tragbar sind. Höchstens ein Drittel entspricht den Standards von gutem Management.
5. Gesamtstruktur des Unternehmens festlegen
Nur das Topmanagement kann die Grundstruktur und Gesamtorganisation festlegen, die das Unternehmen braucht, um Leistung zu erbringen und konkurrenzfähig zu sein. Auch hier gilt Ähnliches, wie es schon zur Strategie vermerkt wurde: Man kann sich nicht eine Organisation machen lassen; man muss sich als Topmanager schon selbst damit befassen.
Organisationswissen ist die wahrscheinlich unterentwickeltste Kompetenz von Managern. Die meisten haben Klischees im Kopf; sie operieren mit Stereotypen. Nur wenige kennen auch nur die wichtigsten Grundfragen des Organisierens, und nur die Besten können sie beantworten. Nirgends ist die Abhängigkeit des Topmanagements von externen Experten größer als auf diesem Gebiet. Gleichzeitig wird aber vermutlich kaum ein anderes Gebiet die Konkurrenzfähigkeit in Zukunft so sehr bestimmen wie die Organisationsstruktur eines Unternehmens.
6. Schlüsselbeziehungen nach außen pflegen
Es ist vorwiegend Sache der obersten Unternehmensebene, die entscheidenden Beziehungen zu Schlüsselgruppen zu unterhalten, zu pflegen und zum Vorteil des Unternehmens zu gestalten. Dazu gehören Kunden, Lieferanten, Kapitalgeber, Medien, Politik und Öffentlichkeit. Die Beziehungen der hier angesprochenen Art bestimmen zu einem erheblichen Teil die Leistungskapazität des Unternehmens. In manchen Branchen sind sie absolut lebenswichtig, weil das Geschäft nur über Beziehungen zu machen ist, in anderen mögen sie etwas weniger bedeutsam sein - unwichtig sind sie nie.
- Erstens ist dafür zu sorgen, dass die Beziehungspflege überhaupt und dass sie intensiv genug erfolgt. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
- Zweitens muss darauf geachtet werden, dass die Beziehungen auf die richtige Weise gepflegt werden.
Die Wirtschaftsgeschichte ist übervoll mit Beispielen, wo durch unkluges, manchmal schlicht dummes Verhalten, durch Mangel an Gespür und Unfähigkeit, die Reaktionen der Öffentlichkeit einzuschätzen, existenzbedrohende Situationen entstanden und extreme Schäden angerichtet wurden. Werksunfälle, Tankerunglücke, Schmiergeld- und Bestechungsaffären liefern anschauliches Lehrmaterial für richtiges und falsches Verhalten. Die Unglücke oder Affären selbst mag man in einer Welt mit fehlbaren Menschen als unvermeidbar ansehen. Unkluges, gar dummes oder provozierendes Verhalten ist aber vermeidbar.
7. Das Unternehmen repräsentieren
Die siebente Aufgabe steht mit der sechsten in Zusammenhang, ist aber doch nicht mit dieser identisch. Hier geht es um die allgemeine Repräsentation des Unternehmens in der Öffentlichkeit, in Wirtschaft, Politik, Kunst und Wissenschaft. Einladungen, Empfänge, Anlässe verschiedenster Art, Betreuung von und Vertretung in Delegationen bis hin zu Staatsbesuchen bringen Verpflichtungen aktiver und passiver Art mit sich, die zwar nicht immer, aber doch meistens von den Spitzen des Unternehmens zu erfüllen sind.
Zu dieser Topmanagement-Aufgabe sind nicht viele Worte nötig. Normalerweise wird sie gut erfüllt. Es gibt zwar Topmanager, die Repräsentationsaufgaben ein Leben lang hassen und sich in dieser Rolle nie wohlfühlen. Manchen fehlen auch Format und Umgangsformen. Die meisten Manager sind aber, sobald sie einmal "auf den Geschmack" gekommen sind, auf diesem Gebiet recht gut. Hier muss eher darauf geachtet werden, dass nicht übertrieben wird, dass man mit Augenmaß und Fingerspitzengefühl operiert, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleibt, dass vor allem in Relation zum Lebensstandard der Mitarbeiter nicht ohne gute Gründe exzessiver Luxus demonstriert wird.
8. Krisen und Chancen erkennen
Das Topmanagement hat schließlich noch die Aufgabe, ein Stand-by-Organ für Krisen und Chancen zu sein. Wenn alles versagt, dann bleiben nur die Mitglieder des Exekutivorgans als Reserve, um eine Krise zu meistern. Und wenn sich plötzlich eine besondere Chance zeigt, z. B. eine Akquisitionsmöglichkeit, dann ist ebenfalls ihr Einsatz erforderlich. Mitglieder der Unternehmensaufsicht können dabei unter Umständen wertvolle Hilfe leisten. Die Hauptarbeit wird aber vom Exekutivorgan zu leisten sein.
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DER AUTOR
Der 1944 in Lustenau, Vorarlberg, geborene Fredmund Malik ist einer der führenden Management-Experten im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Er ist Gründer, Inhaber und Chairman von Malik Management, dem weltweit führenden Unternehmen für ganzheitliche General Management-, Leadership- und Governance-Lösungen mit Zentrale in St. Gallen und Niederlassungen in Adelaide, Berlin, Hanoi, London, Peking, Toronto, Wien und Zürich.
Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.
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