Bei den meisten Management-Ansätzen spielen Prognosen eine zentrale Rolle. Obwohl wir wissen, dass es keine zuverlässigen Prognosen geben kann. Oder etwas anders formuliert: Wenn man solche Prognosen machen könnte, dann bräuchte man keine Strategie. Insbesondere ist die Praxis der Strategieentwicklung vor allem dort, wo man junge und daher zwangsläufig unerfahrene Stabsmitarbeiter und ebensolche Berater die Arbeit machen lässt, fast durchwegs von Prognosedenken geprägt. Es ist ein gefährliches und meistens auch ein naives Denken.
Es führt kein Weg an der Erkenntnis vorbei, dass die meisten Dinge, die täglich passieren, von niemandem vorhergesehen wurden - ja von den meisten Experten nicht einmal für möglich gehalten wurden, bevor sie dann tatsächlich Realität waren. Davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man die übliche Prognoseliteratur analysiert. Sie ist so gut wie nichts wert, weil ihre Trefferquote lächerlich klein ist.
Vor lauter Versuchen, die Zukunft zu erkennen, versäumt man es aber in der Regel, die Gegenwart - und die Geschichte - besser verstehen zu lernen. Peter Drucker wies über Jahrzehnte unermüdlich und mit schlagenden Beispielen darauf hin, dass die wirklich entscheidenden Ereignisse nicht diejenigen sind, die noch passieren werden - denn diese kann niemand im Voraus kennen -, sondern jene, die bereits passiert sind: jene Wandlungen, die sich schon vollzogen haben, für die wir aber oft blind sind oder aus denen man jedenfalls keine Konsequenzen zieht.
Je besser wir die Gegenwart kennen - und die Entwicklungsgeschichte, die zu dieser Gegenwart geführt hat -, umso weniger sind wir auf Prognosen angewiesen, ja umso mehr erkennen wir, wie hohl, nutzlos und irreführend sie sind. Ein dramatisches Zeugnis dafür sind die Aussagen, die in Zusammenhang mit der Entwicklung der Aktienmärkte gemacht werden. Allein die Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts zu kennen hätte genügt, um Zweifel und Bescheidenheit nahe zu legen.
Hang zu Schlagwörtern
Ein entscheidender Qualitätsmangel bei der Strategieplanung resultiert aus der leichtfertigen Verwendung von Schlagwörtern und Leerformeln. Sowohl in der Literatur wie auch in den Planungsdokumenten der Praxis finden sich immer wieder völlig nichts sagende Formulierungen. So werden beispielsweise die Stoßrichtungen der grundlegenden Strategien von Unternehmen häufig mit Formulierungen beschrieben wie etwa:
- Marktanteil ausweiten
- Umsatz steigern
- Vorwärtsstrategie
- Position halten
- forciert wachsen
Solche Umschreibungen genügen höchstens in Ausnahmefällen. Sie sind nicht geeignet, ein Unternehmen und seine Geschäftsbereiche mit dem zu versorgen, was sie aus strategischer Sicht wirklich brauchen, nämlich Orientierung.
Um die Forderung "Marktanteil steigern" aufzustellen, genügt die Intelligenz eines dreijährigen Kindes, denn in fast allen Fällen kann dies eine mögliche Strategie sein. Die Kunst und Notwendigkeit besteht eben genau darin, zu sagen, wie, womit, wo, zu wessen Lasten und mit welchen Maßnahmen Marktanteile gewonnen werden sollen, und schließlich zu beurteilen, ob dies im Lichte aller Gegebenheiten und Faktoren auch vernünftig ist, ob man sich die Strategie leisten kann oder ob sie der Anfang vom Ende sein wird.
Erhebliche Schäden wurden seit Beginn der neunziger Jahre durch die Vorstellung angerichtet, man brauche Visionen - diese seien gewissermaßen das Kernstück einer Strategie. In Wahrheit war das eine offene Einladung, nicht selten scheinbar wissenschaftlich legitimiert, das Gegenteil von einer brauchbaren Strategie zu produzieren, nämlich Geschwätz und sinnlose Phrasen.
Bluffen mit Leerformeln
Besonders verführerisch sind die Leerformeln oder Tautologien. Sie erlauben es einer bestimmten Sorte von Managern, sich viel zu lange in ihren Positionen zu halten und dort Schaden anzurichten: Es ist die Sorte der rhetorisch begabten Bluffer und Schaumschläger. Die Verwendung von Leerformeln beweist über jeden Zweifel hinaus, dass ihr Verfasser gar nicht verstanden hat, worum es geht, was eine Unternehmensstrategie ist und worin ihre Qualität zu liegen hat. Der Begriff "Leerformel" oder "Tautologie" stammt aus der formalen Logik.
Eine Leerformel ist eine Formulierung, die zwar sprachlich (grammatisch) völlig korrekt ist, jedoch nur scheinbar etwas aussagt, bei näherer Analyse sich aber als völlig nichts sagend erweist. Besonders häufig finden wir Leerformeln bei den Verfassern von Prognosen.
Ein offenkundiges Beispiel: "Kräht der Hahn auf dem Mist, ändert sich das Wetter, oder es bleibt, wie es ist."
Es ist klar, dass diese Prognose immer stimmt - aber eben deshalb auch völlig nichts sagend ist. Sie hat keinerlei Informationsgehalt.
Die Wirtschafts- und Managementprognosen sind natürlich nicht so klar formuliert, dass man ihre Leere auf den ersten Blick erkennen kann. Im Gegenteil winden sie sich - kunstvoll verschnörkelt - meistens über mehrere Buchseiten, sodass es einer speziellen Anstrengung bedarf, ihren wahren Charakter zu erkennen.
Der beste Test, um einen sprachlich korrekten Satz daraufhin zu testen, ob er Informationsgehalt hat oder leer ist, ist wie folgt: Der Leser möge versuchen, zu diesen Aussagen Alternativen zu finden. Er wird sofort feststellen, dass jede Alternative völlig sinnlos ist. Als schärfstes Kriterium kann man einfach die Negation, also das logische Gegenteil zu einer solchen Aussage, bilden. Diese würde dann zum Beispiel lauten:
- "Es sind ungezielte Maßnahmen zu ergreifen" oder
- "Es sind unzweckmäßige Entscheidungen zu treffen"
Damit springt die Sinnlosigkeit sofort ins Auge, und man wird auch gleich erkennen, dass die ursprüngliche Formulierung nur dem Schein nach irgendeinen Aussagegehalt hatte.
Solchen Formulierungen begegnet man auf Schritt und Tritt, nicht nur in der Wirtschaft, sondern noch häufiger und dreister in der Politik, und man braucht sich daher nicht zu wundern, dass viele Planungen nie realisiert werden oder dass dann bei ihrer Konkretisierung etwas völlig Willkürliches herauskommt. Eine Leerformel kann ohne zusätzliche Angaben gar nicht konkretisiert werden, weil sie mit jeder denkbaren Konkretisierung verträglich ist. Wenn nun die Konkretisierung auf untergeordnete Führungsebenen verschoben wird, so ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass etwas herauskommt, was eigentlich niemand wollte.
Verantwortungsbewusste Strategieplanung
Eine tatsächlich verantwortungsbewusste Strategieplanung ist dagegen nur durch gründliches, sorgfältiges und unermüdliches eigenes Nachdenken möglich. Nur die hartnäckige, fast besessene Auseinandersetzung mit den existenziellen Problemen des Unternehmens birgt die Chance, das wirklich entscheidende Problem zu verstehen und vielleicht auch zu lösen: die Lebensfähigkeit des Unternehmens ständig neu sicherzustellen. Dies ist für große Unternehmen wichtig genug; für die kleinen und mittleren Unternehmen ist es aber der Kern der Unternehmensführung überhaupt, denn: Je größer ein Unternehmen ist, umso weniger kann es trotz Deregulierung und Rückzug des Staates wirklich untergehen. Kleine Firmen besitzen keine solchen "Lebensversicherungen".
Wie leicht zu erkennen ist, sind viele Strategien die scheitern, auf Fehler der hier besprochenen Art zurückzuführen. Mergers und Akquisitionen, Fusionen, e-Strategien usw. müssten nicht in dem Umfange fehlschlagen, wie sie es tun. Die Beachtung der hier besprochenen Denkfallen würde vor manchem Schaden bewahren.
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DER AUTOR
Der 1944 in Lustenau, Vorarlberg, geborene Fredmund Malik ist einer der führenden Management-Experten im deutschsprachigen Raum und darüber hinaus. Er ist Gründer, Inhaber und Chairman von Malik Management, dem weltweit führenden Unternehmen für ganzheitliche General Management-, Leadership- und Governance-Lösungen mit Zentrale in St. Gallen und Niederlassungen in Adelaide, Berlin, Hanoi, London, Peking, Toronto, Wien und Zürich.
Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.
Zuverlässige Prognosen sind unmöglich.
Prognosen können keine Basis für eine strategische Planung sein.
Echte strategische Ziele werden viel zu oft nur mit Schlagwörtern umrissen.
Schlechte Manager bluffen bei strategischen Planungen oft mit Leerformeln.
Eine gründliche Strategie erfordert viel Nachdenkarbeit und strategische Planung.