Die zweite Hälfte der 2020er Jahre wird für Unternehmen eine entscheidende Phase. Der Strategie- und Nachhaltigkeitsexperte Vladimir Preveden skizziert in der neuen trend. Serie „Navigating tomorrow“ die Lage und gemeinsam mit Expertinnen der WU Executive Academy und C-Level-Managerinnen Lösungen und Wege, wie Unternehmen Herausforderungen meistern und Chancen nutzen können.
2030: Schlüsseltechnologien, Chancen und Herausforderungen
Pandemie, Inflation, Großinsolvenzen, geopolitische Konflikte – wer in der vielschichtig-komplexen Lage der ersten Hälfte der 2020er Jahre bereits die ultimative Herausforderung für die Wirtschaft und Unternehmen sieht, irrt.
An der Schwelle zur zweiten Hälfte des Jahrzehnts stehen Unternehmen vor einem Mix aus disruptiven Veränderungen. In neuen Schlüsseltechnologien wie der Künstlichen Intelligenz, dem Quantencomputing, der Blockchain oder dem Metaverse, steckt vielfach noch ungenutztes Potenzial. Der Klimawandel und die Dekarbonisierung erfordern ein Umdenken auf breitester Ebene. Hinzu kommt die weiter virulente Frage der – absehbar auch klimawandelbdingten – Migration, gekoppelt mit der demografischen Entwicklung der Industriestaaten.
All diese Veränderungen summieren sich zu immensen strategischen und unternehmerischen Herausforderungen, gleichzeitig aber auch zu Chancen von vielfach noch nicht abschätzbaren Ausmaßen. „Die kommenden sechs Jahre bis 2030 zeichnen sich deshalb aus Unternehmenssicht als besonders entscheidende Jahre ab“, sagt der Strategie- und Nachhaltigkeitsexperte Vladimir Preveden und betont: „Es ist daher entscheidend, dass sich Unternehmen diesen Herausforderungen stellen und ihre Chancen nützen, wenn sie auch in Zukunft noch erfolgreich sein wollen.“
„In den nächsten Jahren werden sich die grundlegenden Rahmenbedingungen völlig neuformieren“, ist sich auch Barbara Stöttinger, Dekanin der WU Executive Academy, sicher. Die Richtungen dafür scheinen klar zu sein, doch wie und in welchem Ausmaß sich die Parameter konkret verschieben werden, darüber liegt noch dichter Nebel. „Unternehmen und ihre Führungskräfte tun sich daher auch schwer, einen strategischen Blick darauf zu werfen, was sich in den nächsten Jahren konkret tun wird und welche Chancen, aber auch Gefahren sich daraus ergeben werden“, sagt Stöttinger. Gerade deshalb sei es aber umso wichtiger, sich jetzt strategisch auf den Strukturwandel vorzubereiten, denn: „Viel Zeit bleibt nicht, wenn Unternehmen auch in Zukunft relevant bleiben wollen. Das gilt besonders auch für ihre Führungskräfte."
Der große Paradigmenwechsel und seine Folgen
Preveden sieht hinter dem Strukturwandel mehr als nur einen weiteren Technologiesprung, der mehr Produktivität und Effizienz bringen wird. „Wir befinden uns derzeit gleichzeitig in der fünften und der sechsten großen Entwicklungswelle seit Beginn der industriellen Revolution“, erklärt er.
Die ersten fünf Wellen brachten beginnend mit der Mechanisierung erst Dampfmaschinen und Fabriken, dann eine globale Industrie, und globale Mobilität und schließlich Digitalisierung und mit dieser auch eine Kommunikations-Revolution mit sich.
„Jede einzelne dieser Wellen ging mit einem profunden Wertewandel einher, der die Gesellschaft in ihrer Struktur veränderte – und damit auch die Struktur der Wirtschaft. Außerdem hat jede dieser Wellen eine neue Art von Unternehmen hervorgebracht“, sagt Preveden und weist auf die jüngste, sechste Welle hin: Die grüne Welle, die Nachhaltigkeit und Klimaschutz in den Vordergrund gerückt hat, begleitet von Themen der sozialen Nachhaltigkeit und Verantwortung.
Preveden: „Das Besondere unserer derzeitigen Situation ist die Überlappung von zwei Wellen – und genau das macht das strategische Planen so komplex und herausfordernd. Schon Digitalisierung und das Internet haben die Wirtschaft und die Gesellschaft verändert, wie kaum eine Entwicklung zuvor.“
Dynamik erfordert schnelles Handeln
Der angesprochene Wertewandel hat sich dabei stets in S-Wellen vollzogen: Zuerst kaum bemerkt, ging es auf einmal rasch – davon wurden auch Unternehmen überrascht. Das ist auch für die beiden Wellen, in denen wir uns derzeit bewegen, zu erwarten. Genau ein solcher Wandel ist aber für Menschen schwer zu verstehen, weil wir ja eher linear denken. Unternehmen müssen daraus lernen.
Die Conclusio des Strategie- und Nachhaltigkeitsexperten ist daher: „Die Gesellschaft ändert sich, die Wirtschaft ändert sich – und Unternehmen müssen das auch tun. 2030 kommt rascher, als wir glauben." Vorausschauende Unternehmen und Führungskräfte müssen daher jetzt Geschäftschancen an der Schnittstelle der beiden Wellen Digitalisierung/Internet und Nachhaltigkeit suchen.
Preveden: „Die Möglichkeiten sind da, aber es gilt sie zu nutzen. Bevor es zu spät ist. Man kann sich heute nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern muss antizipieren, welche Chancen sich aus der Überlappung der beiden Wellen für die eigene Geschäftstätigkeit ergeben, um vorne, bzw. überhaupt mitspielen zu können. "
Die 6 Wellen der industriellen Revolution
In der ersten, von der Mechanisierung geprägten Welle (1760 – 1830), war die Unternehmenslandschaft geprägt von Betrieben mit noch überschaubarer Größe, die von deren Kapitaleignern geführt wurden.
In der zweiten Welle, deren Beginn sich etwa mit der zunehmenden Verbreitung der Dampfmaschine ab 1830 datieren lässt und die bis ca. 1900 andauerte, entstanden große Familienkonzerne, Stahl- und Eisenbahn-Barone wie die Rockefellers, die Vanderbilts oder die Carnegies begründeten in dieser Zeit ihr Vermögen.
Die dritte Welle der Industrialisierung (bis ca. 1970) brachte mit der Erfindung der Fließband-Technologie wieder neue Großunternehmen hervor. Untrennbar damit verbunden ist der Name Henry Ford.
Überlagert wurde diese Welle mit der nach dem Zweiten Weltkrieg beginnenden Welle, die mit allgemeiner motorisierter Mobilität, Flugreisen, dem Fernsehen usw. das „Wirtschaftswunder“ begleitete. Zu den in dieser Ära groß gewordenen Unternehmen gehören Konzerne wie IBM, Shell oder Boeing, aber auch das in der nächsten Welle überrollte Kodak.
Ab Mitte der 1980er Jahre setzte mit der Weiterentwicklung der Mikroelektronik und der massenmarkttauglichen Personal Computer die bis heute andauernde Welle der Digitalisierung ein. Wieder entstanden neue, globale Unternehmens-Giganten, die rechtzeitig die neuen Chancen und Möglichkeiten ergriffen. Dazu gehören Pioniere wie Microsoft, Apple ebenso wie die auf Basis späterer technologischer Entwicklungen groß gewordenen Big-Tech-Unternehmen wie Google, Amazon oder Meta.
Überlagert wird die Digitalisierungs-Welle seit etwa 2014 von der „Grünen Welle“, die durch das öffentlich gewordene Wissen über den Klimawandel und seiner auslösenden Faktoren ausgelöst wurde. Das spannende an dieser aktuellen Welle ist, dass die Überlappung mit der Welle der Digitalisierung wieder neue Unternehmen hervorbringt und hervorbringen wird, die zu echten Global Playern aufsteigen können.
Zur Person
Steckbrief
Vladimir Preveden
Vladimir Preveden ist Experte für strategische Unternehmenstransformation und hat in dieser Rolle mehr als 200 Unternehmen im DACH-Raum sowie in Zentral- und Osteuropa begleitet. Nach 20 Jahren bei Roland Berger, einen Großteil davon in unterschiedlichen Managementfunktionen, ist er seit einigen Jahren selbstständig und fokussiert sich auf Themen der strategischen Resilienz und Nachhaltigkeitstransformation. Zusätzlich zu seiner Tätigkeit für Unternehmen unterrichtet er auch an der WU Executive Academy in Wien.
Steckbrief
Barbara Stöttinger
Barbara Stöttinger ist Dekanin der WU Executive Academy und Professorin am Institut für Internationales Marketing Management. Vor ihrer Zeit an der WU war sie im Marketing eines internationalen Konsumgüterherstellers (Consumer Electronics) und in der Beratung tätig. Darüber hinaus arbeitet sie seit Jahren als Vortragende für Marketing und Internationales Marketing in Europa, Asien und Nordamerika und wurde mehrfach mit Teaching Awards ausgezeichnet.
WU Executive Academy
Die WU Wien, eine der weltweit führenden Business-Hochschulen, bündelt in der WU Executive Academy ihr Programmportfolio im Bereich „Executive Education“. Zu diesen zählen MBA, Master of Laws und Professional Master Programme, das Universitätsstudium Diplom BetriebswirtIn, Universitätslehrgänge, kompakte Weiterbildungsprogramme und Custom Programs. KI ist an der WU Executive Academy bereits in vielen Lehrangeboten ein wichtiger Teil der Digitalökonomie, der auch konkret angewandt wird. Mit durchschnittlich 750 Graduate Students und ca. 900 Führungskräften, Fachleuten und High-Potentials aus über 75 Ländern, die jährlich an den Programmen teilnehmen, gehört die WU Executive Academy zu den führenden Weiterbildungsanbietern in Zentral- und Osteuropa.