Die großen technologische Entwicklungen der Gegenwart, Quantencomputing, KI, Krypto bzw. Blockchain und Metaverse und die Herausforderung der Nachhaltigkeit werden in den kommenden Jahren die globale Wirtschaft massiv verändern. Unternehmer:innen sind gefordert, die Einsatzmöglichkeiten, Chancen und Risiken auszuloten und Weichen zu stellen.
Der Klimawandel und die daraus folgende Notwendigkeit, die globale Wirtschaft nachhaltig neu auszurichten, zu dekarbonisieren und Prozesse neu zu denken, haben eine sechste Welle der Industrialisierung ausgelöst. Eine neue, grüne Welle, die sich mit der andauernden Welle der Digitalisierung überlappt und so besonders tiefgreifenden Veränderungen in der Gesellschaft und in der Wirtschaft auslösen wird.
„Man kann sich heute nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern muss antizipieren, welche Chancen sich aus der Überlappung der beiden Wellen für die eigene Geschäftstätigkeit ergeben, um vorne bzw. überhaupt mitspielen zu können. Dabei werden vor allem zwei Bereiche in den nächsten sechs Jahren eine zentrale Rolle spielen“, sagt der Strategie- und Nachhaltigkeitsexperte Vladimir Preveden.
Vier Schlüsseltechnologien der Digitalisierung
Die Digitalisierung der Wirtschaft und der Gesellschaft ist noch längst nicht abgeschlossen. Ganz im Gegenteil. In den nächsten Jahren sind weitere, tiefgreifende technologische Entwicklungen absehbar, die die Art, wie wir zusammenleben und zusammenarbeiten nachdrücklich verändern wird.
Vier Technologien, Quantencomputing, Künstliche Intelligenz, Krypto- und Blockchain sowie das Metaverse bewerten Preveden und Barbara Stöttinger, Dekanin der WU Executive Academy, als Schlüsseltechnologien für die kommende zweite Hälfte der 2020er Jahre und betonen die unbedingte Notwendigkeit für Unternehmen, sich mit ihnen auseinanderzusetzen.
Hinzu kommt: obwohl jede dieser Technologien für sich alleine bereits eine enorme Komplexität in sich birgt und Überlegungen zur strategischen Ausrichtung von Unternehmen erfordert, steigern sich die Herausforderungen, aber auch die potenziellen Chancen, die sich daraus ableiten lassen, geradezu exponentiell, wenn sie kombiniert werden. Wenn also etwa Quantencomputing mit Künstlicher Intelligenz gepaart wird und Krypto- und Blockchain-Technologien genutzt werden, um damit im Metaverse sich neu eröffnende Business-Möglichkeiten zu ergreifen.
An diesen vier Technologien wird in den nächsten Jahren für Unternehmen kein Weg mehr vorbeiführen. „Ein großer Irrglaube unter Führungskräften ist auch zu glauben, dass es bei der Beschäftigung mit diesen Schlüssel-Technologien um ein tiefes technisches Verständnis ihrerseits geht. Das stimmt aber nicht. Was zählt, ist vielmehr die Bereitschaft, diese Trends nicht zu ignorieren, sondern sie als Chance und nicht als Bedrohung zu sehen“, sagt Vladimir Preveden.
Quantencomputing als Daten-Turbo
Das Besondere an Quantencomputern: Sie arbeiten ganz anders als herkömmliche Rechner. Während deren Bits nur den Zustand 0 oder 1 kennen, können die sogenannten Quantenbits (oder Qubits) dazwischen und dank Überlagerung auch mehrere Zustände gleichzeitig annehmen. So werden Berechnungen um ein Vielfaches schneller durchgeführt.
Laut Prognosen sollen derartige Super-Computer bereits 2030 kommerzielle Reife erlangen. Um Umkehrschluss bedeutet das, dass sie dann zu leistbaren Preisen verfügbar sein werden. „Das wird zweifellos einen enormen Einfluss auf Simulationsmethoden, Datenanalysen, Prediktionsmodelle, Forecasting und viele andere Bereiche haben“, sagt Preveden. Zudem wird alles, was wir uns zum Thema Cybersecurity in den letzten Jahren erarbeitet haben, auf den Kopf gestellt: Die meisten heute verwendete Passwörter – und seien sie noch so komplex – werden mit den superschnellen Rechnern zu knacken sein.
Eine weitere Folge, mit der sich Wirtschaft und Gesellschaft auseinandersetzen müssen ist die Entwicklung von Deep Fakes. Stöttinger: „Auch Deep Fakes werden dann neue Höhenflüge erleben. Die Unterscheidung, was real und was virtuell ist, wird um vieles schwieriger – mit noch nicht absehbaren Folgen auf unser gesellschaftliches, wirtschaftliches und politisches Leben.“
Künstliche Intelligenz als Business-Beschleuniger
Die generative Künstliche Intelligenz, die auf Sprachenmodellen basiert, hat sich bereits seit Jahren ständig und rasch weiterentwickelt. Doch erst jetzt wurde auch Nicht-Experten durch die Einführung von ChatGPT bewusst, welche Möglichkeiten es schon gibt.
„Nur ein geringer Teil der Führungskräfte verwendet aktuell derartige KI-Tools oder beschäftigt sich zumindest mit ihren konkreten Anwendungsmöglichkeiten. Das ist ein großer Fehler, weil sie bald nicht mehr (technologisch) anschlussfähig sein werden“, sagt Preveden, der davon überzeugt ist, dass sich immer neue Geschäftschancen – aber auch Risiken – durch KI entwickeln werden.
Auch die etablierten KI-Modelle, die auf maschinellem Lernen basieren, entwickeln sich rasant. Unternehmer:innen stehen vor der Herausforderung, ihre Businessmodelle unter dem Aspekt der potenziellen Einsatzmöglichkeiten von KI-Lösungen auf den Prüfstand zu stellen und daraus die entsprechenden Schlüsse ziehen:
Wo ist ist mein Businessmodell, mein Produkt oder meine Dienstleistung durch KI-Lösungen potenziell gefährdet?
Wo kann eine KI-Lösung genutzt werden, um mein Produkt oder meine Dienstleistung zu verbessern?
Wie kann Künstliche Intelligenz im Unternehmen eingesetzt werden, um die Produktivität zu steigern?
Welche Aufgaben kann eine KI übernehmen, welche Aufgaben sollten in der Folge die Mitarbeiter:innen übernehmen?
Wie können KI-Lösungen im laufenden Betrieb erfolgreich implementiert werden? Welche zusätzlichen Ressourcen werden dafür benötigt?
Krypto und Blockchain als Kontrakt-Technologie
Kryptowährungen haben sich längst etabliert, auch für eindeutige Besitzrechte (Stichwort Non Fungible Tokens, kurz NFT) sind die Einsatzmöglichkeiten für Krypto bereits bekannt. „Krypto und die zugrundeliegende Blockchain werden als Grundlagentechnologien in den nächsten Jahren noch wichtiger werden“, meint Preveden und nennt drei ganz konkrete Beispiele:
Dezentralisierte Finanzen (DeFi). Blockchain ermöglicht es zukünftig, traditionelle Finanzdienstleistungen zu dezentralisieren. Durch Smart Contracts können Nutzer Dienste wie das Verdienen von Zinsen, Kreditaufnahmen und Handel ohne zentrale Institutionen nutzen, was zu deutlich mehr Effizienz und Zugänglichkeit führt.
Lieferketten-Transparenz. Blockchain bietet eine zuverlässige Aufzeichnung von Transaktionen, ideal für das Management von Lieferketten. Unternehmen können damit die Herkunft und den Weg von Produkten genau verfolgen, was nicht nur die Qualitätssicherung, sondern auch die Fälschungsbekämpfung erleichtert.
Digitale Identitäten. Durch die Blockchain-Technologie können digitale Identitäten sicher verwaltet werden. Nutzer erhalten größere Kontrolle über ihre persönlichen Daten und können diese sicher und verifizierbar teilen, was den Datenschutz und die Online-Verifizierung verbessert.
„Diese Beispiele zeigen, wie Krypto und Blockchain das Potenzial haben, traditionelle Geschäftsmodelle zu disruptieren und eine breite Palette von Industrien zu transformieren, indem sie effizientere, transparentere und sicherere Systeme bieten“, ergänzt Stöttinger.
Auch bei der Krypto- und Blockchain-Technologie stehen Unternehmer:innen daher vor der Aufgabe, die Einsatzmöglichkeiten und deren Vorteile auszuloten.
Masters of the Metaverse: Business-Chance im virtuellen Raum
Das Metaverse als virtueller Raum wird von Technologien wie Virtual Reality und eben auch KI bzw. Blockchain unterstützt; unterschiedliche Unternehmen arbeiten bereits an der Weiterentwicklung solcher digitalen Umgebungen.
„Die Einführung von ChatGPT hat das Thema Meterverse im letzten Jahr in die mediale Bedeutungslosigkeit in der öffentlichen Diskussion gedrängt. Viele Führungskräfte denken daher, dass es sich nur um einen Hype gehandelt hat bzw. nur etwas für Gamer oder junge Menschen sei“, sagt Stöttinger. Doch das Gegenteil ist der Fall: Die Metaversen sind gekommen, um zu bleiben - inzwischen digitalisieren sich ganze Städte im Metaverse.
Die Folge: Viele Markenhersteller wie Nike, Gucci oder Adidas entscheiden sich mittlerweile nicht selten dafür, lieber ins Metaverse zu expandieren, als einen neuen realen Markt aufzubauen. Und das hat einen guten Grund: Diese Unternehmen nutzen das Metaverse, um neue Kundenerlebnisse zu schaffen, ihre Marken zu digitalisieren und eine jüngere, technikaffine Zielgruppe anzusprechen. Sie erkennen die Bedeutung des Metaverse als einen neuen, innovativen Weg, um mit Kunden zu interagieren und ihre Produkte in einer sich ständig weiterentwickelnden digitalen Landschaft zu präsentieren.
Nachhaltigkeit, eine unverhandelbare Konstante
Neben den technologischen Paradigmenwechsel müssen Führungskräfte als zweiten Themenkomplex die Auswirkungen des Strukturwandels im Bereich der Nachhaltigkeit unbedingt im Auge behalten.
Die EU hat sich dazu bekannt, bis 2050 keine Netto-Treibhausgase mehr auszustoßen und 2030 ist ein wichtiger Zwischenschritt auf diesem Weg. Dieses Vorhaben hat für Unternehmen bereits jetzt umfassende Auswirkungen in Form von konkreten Regelwerken, von denen viele bereits in den kommenden Jahren schlagend - und damit verpflichtend - werden.
„Darunter stöhnen jetzt zwar die Unternehmen, die daraus resultierende Innovationskraft bietet aber gleichzeitig die Chance, die europäische Wirtschaft und speziell die Exportindustrie langfristig zu stärken. Dies gilt allerdings nur für vorausschauende und strategisch agierende Unternehmen und Führungskräfte, die sich den Chancen widmen und nicht die Regularien als Ausgangspunkt ihrer Überlegungen nehmen“, so Preveden.
Das Thema Klimaschutz ist enorm facettenreich, was in der öffentlichen Diskussion bisweilen vergessen wird: Denn es geht nicht nur um Emissionen, sondern auch um Aspekte wie Energieerzeugung und Energieunabhängigkeit – Autarkie –, Kreislaufwirtschaft und Biodiversität. Und zudem ist Nachhaltigkeit nicht auf Umwelt und Klimaschutz reduziert, sondern beinhaltet natürlich auch Themen der sozialen Verantwortung, lokalen Wertschöpfung und Ethik.
„Heute kann es sich kein Unternehmen mehr leisten, dieses zentrale Zukunftsthema in seinen verschiedenen Ausprägungen nur aus Sicht von Kommunikation und Marketing zu betrachten – was es braucht, ist eine fundierte, strategische Herangehensweise", betont Preveden. Die Frage müsse daher lauten: Wie kann es gelingen, einen Beitrag für unseren Planeten und unsere Gesellschaft zu leisten und gleichzeitig strategische Wettbewerbsvorteile für das Unternehmen durch Nachhaltigkeit aufzubauen? Mit den Antworten, die Unternehmen darauf finden, erhöhen sie auch ihre strategische Resilienz.
Zur Person
Steckbrief
Vladimir Preveden
Vladimir Preveden ist Experte für strategische Unternehmenstransformation und hat in dieser Rolle mehr als 200 Unternehmen im DACH-Raum sowie in Zentral- und Osteuropa begleitet. Nach 20 Jahren bei Roland Berger, einen Großteil davon in unterschiedlichen Managementfunktionen, ist er seit einigen Jahren selbstständig und fokussiert sich auf Themen der strategischen Resilienz und Nachhaltigkeitstransformation. Zusätzlich zu seiner Tätigkeit für Unternehmen unterrichtet er auch an der WU Executive Academy in Wien.
Steckbrief
Barbara Stöttinger
Barbara Stöttinger ist Dekanin der WU Executive Academy und Professorin am Institut für Internationales Marketing Management. Vor ihrer Zeit an der WU war sie im Marketing eines internationalen Konsumgüterherstellers (Consumer Electronics) und in der Beratung tätig. Darüber hinaus arbeitet sie seit Jahren als Vortragende für Marketing und Internationales Marketing in Europa, Asien und Nordamerika und wurde mehrfach mit Teaching Awards ausgezeichnet.
WU Executive Academy
Die WU Wien, eine der weltweit führenden Business-Hochschulen, bündelt in der WU Executive Academy ihr Programmportfolio im Bereich „Executive Education“. Zu diesen zählen MBA, Master of Laws und Professional Master Programme, das Universitätsstudium Diplom BetriebswirtIn, Universitätslehrgänge, kompakte Weiterbildungsprogramme und Custom Programs. KI ist an der WU Executive Academy bereits in vielen Lehrangeboten ein wichtiger Teil der Digitalökonomie, der auch konkret angewandt wird. Mit durchschnittlich 750 Graduate Students und ca. 900 Führungskräften, Fachleuten und High-Potentials aus über 75 Ländern, die jährlich an den Programmen teilnehmen, gehört die WU Executive Academy zu den führenden Weiterbildungsanbietern in Zentral- und Osteuropa.