Österreichs ÖFB-Teamchef Ralf Rangnick will groß denken, um eventuell auch Großes erreichen zu können. Seine Mannschaft wäre zur Euro 2024 bereit, um auch große Ziele in Angriff zu nehmen.
©trend / Lukas Ilgner...für völlig ausgeschlossen halte ich es auch nicht". ÖFB-Teamchef RALF RANGNICK über die Euro 2024 in Deutschland, wie er seine Truppe zusammenschweißt und welche Management-Skills ein erfolgreicher Trainer braucht.
Sie wurden kürzlich von einem Magazin zum Sportmanager des Jahres in Österreich gekürt. Was macht Ihrer Meinung nach einen top Sportmanager aus?
Ich sehe mich eher als Dienstleister denn als Manager. Meine Hauptaufgabe ist es, meine Mannschaft zur bestmöglichen Version ihrer selbst zu entwickeln und ihr dabei gute Dienste zu leisten. Generell hat für mich ein Topmanager - egal, in welchem Bereich - vor allem drei Eigenschaften: Erstens hat er eine genaue Vorstellung, wo er hin will. Zweitens hört er nie auf, sich selbst weiterzuentwickeln, ist also nie selbstzufrieden, und drittens ist er leidenschaftlich und brennt für seine Aufgabe.
Wie genau stellen Sie denn das an, dass sie die Mannschaft zu ihrer besten Version machen?
Als Nationaltrainer sehe ich meine Spieler nur fünfmal im Jahr zu Lehrgängen, und das meist nur bis zu zehn Tagen am Stück. Deshalb kommt es noch viel mehr auf die Qualität der Begegnung an als in einem Verein. Gerade weil die Spieler ja aus völlig unterschiedlichen Situationen anreisen - einer spielt um die Meisterschaft, ein anderer in der Champions League, der dritte kämpft gegen den Abstieg. Sie befinden sich also emotional auf völlig unterschiedlichen Niveaus.
Es geht in erster Linie darum, diese Spieler zu einer echten Einheit zusammenschweißen. Im Idealfall sollen die Spieler meine Spielidee zu ihrer eigenen machen. Entscheidend dabei ist, dass sie ihre Arbeit lieben und sie mit Leidenschaft machen.
Als Hilfestellung haben wir ein sogenanntes "Welcome back"-Video eingeführt, in dem wir die wichtigsten Szenen des letzten gemeinsamen Lehrgangs zeigen und gleichzeitig auch die wichtigsten Kernbotschaften des aktuellen Lehrgangs vermitteln. So sind die Spieler gleich am ersten Tag emotional und kognitiv wieder an Bord.
Haben Sie sonst noch irgendwelche Rituale neu in die Mannschaft mitgebracht?
Neben dem Fußballtaktischen ist mir die Energie in der Mannschaft sehr wichtig. Die Jungs sollen sich wohlfühlen - das hat aber nichts mit Wohlfühloase zu tun. Sie sollen im Idealfall mit großer Vorfreude anreisen, was natürlich auch mit den Ergebnissen davor zu tun hat. Darüber hinaus versuchen wir, den Lehrgang so zu gestalten, dass sich die Spieler wohlfühlen. Sie bekommen bei uns Freiräume, die sie auch individuell nützen können, etwa um Golf zu spielen oder Familie und Freunde zu treffen. Wir behandeln sie als mündige, verantwortungsbewusste Menschen. Ich verlange von meinen Spielern, dass sie im Spiel die richtigen Entscheidungen treffen, also erwarte ich das auch abseits des Fußballplatzes von ihnen.
Halten Sie zwischen den Lehrgängen auch Kontakt zu den Spielern?
Ja, wir sind regelmäßig im Austausch. Natürlich gratuliere ich etwa Michael Gregoritsch zu seinen Toren. Ich halte viel von so kleinen Gesten. Um etwa während der Euro-Qualifikation emotional verbunden zu bleiben, haben wir für jeden Spieler Karabiner mit seinem Namen, dem Datum der Euro und den Umriss Österreichs als Symbol für unser gemeinsames Ziel gravieren lasse.
Die Spieler und Betreuer sollen auch in Zeiten, in denen wir nicht zusammen sind, daran denken, was wir 2024 erreichen wollen. David Alaba zum Beispiel nimmt den Karabiner auch mit, wenn er mit Real Madrid unterwegs ist.
Warum haben Sie sich damals eigentlich dazu entschieden, von Manchester United als Trainer der Nationalmannschaft nach Österreich zu kommen?
Ich konnte mir von Anfang an mit der österreichischen Nationalmannschaft viel vorstellen. Ich bin vor einigen Jahren von Schalke 04 nach Hoffenheim in die dritte Liga gegangen, weil ich überzeugt war, Hoffenheim schnell in die erste Bundesliga führen zu können und diese auch zu rocken.
Ähnlich war es bei RB Leipzig, das 2012 in der vierten Liga spielte. Niemand hielt es damals für möglich, dass man Leipzig innerhalb von vier Jahren in die erste Bundesliga bringen kann, und noch weniger, dass die Mannschaft regelmäßig um die Champions-League-Plätze mitspielen kann.
Ähnlich erging es mir bei Österreich. Für Österreich sprach, dass ich rund die Hälfte der Spieler schon kannte und wusste, wozu sie fähig sind. Und ich kannte das Land bereits aus meiner Zeit als Sportdirektor bei Red Bull. Der Umstand, dass die Euro in Deutschland stattfindet, hat die Aufgabe zusätzlich reizvoll gemacht.
Und Ihre Vision für Österreich sieht wie aus?
Aktuell (Anm.: Das Interview wurde im Dezember 2023 geführt) sind wir ja in der FIFA-Weltrangliste auf Platz 24. Vor einem Jahr waren wir noch auf Platz 34, aber diese Rankings sind für mich sekundär. Mich interessiert, wie sich die Mannschaft entwickelt. Wenn wir alle Spieler an Bord haben, traue ich uns bei der Euro einiges zu. Danach möchte ich noch, dass sich Österreich für die Weltmeisterschaft in den USA, Kanada und Mexiko qualifiziert. Als Österreicher neigt man oft zu großer Bescheidenheit - auch im Fußball. Ich höre immer, wir sind ja nur Skifahrer, keine Fußballer.
Marcel Koller hat mit der österreichischen Nationalmannschaft auch die Euro-Quali geschafft und wurde - ähnlich wie Sie jetzt - bejubelt. Dann ist er in Frankreich gescheitert. Wie kann man als Trainer mit solchem Auf und Ab umgehen?
Mir ist es wichtig, nachhaltige Entwicklungen für den österreichischen Fußball anzustoßen. Aber Ziel Nummer eins ist es, die Euro so gut wie möglich zu spielen. Und da bin ich überzeugt, dass wir es richtig weit schaffen können. Ich beschäftige mich nicht damit, wie wir damit umgehen, wenn es mal nicht so gut läuft.
Haben Sie sich im Lauf der Jahre eine harte Haut zugelegt?
Wie heißt es so schön? Wenn man die Hitze der Küche nicht verträgt, wird man besser nicht Koch. Wenn man Kritik nicht verträgt, sollte man besser die Finger von dem Job als Trainer lassen.
Können Sie aus dem schwachen Abschneiden bei der Euro 2016 für nächstes Jahr Lehren ziehen?
Es gibt natürlich einige in meinem Staff, die damals auch dabei waren und das mit mir analysieren werden. Aber im Moment ist es wichtiger, unseren erfolgreichen Kurs weiterzuverfolgen. Es hat schon Gründe, warum wir gegen Deutschland, Italien und Schweden gewonnen und gegen Belgien unentschieden gespielt haben.
Man sieht, die Mannschaft ist auf einem guten Weg. Wo aber, denken Sie, müssen Sie bis zur Euro noch am meisten feilen?
Wenn die Mannschaft komplett ist, hat sie wenige Schwächen. Entscheidend ist nur, dass wir uns nicht zurücklehnen, sondern unsere positiven Entwicklungen weiter vorantreiben. Noch einmal: Als Österreicher neigt man gerne dazu, sich kleiner zu machen, als man ist. Aber wenn man Größeres bewegen will, muss man auch in der Lage sein, größer zu denken. Damit sage ich nicht: Österreich wird Europameister. Aber für völlig ausgeschlossen halte ich es auch nicht.
Was machen Sie, wenn Österreich in der Vorrunde Frankreich schlägt? Ist der Champagner eingelagert?
Da gibt es noch lange nichts zu feiern. Vier Tage später ist ja schon das nächste Spiel.
Was sind für Sie die größten Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich im Fußball?
Ich denke, die Entwicklung der Vereine in Österreich geht grundsätzlich in eine gute Richtung. Im Sog von Red Bull Salzburg haben etliche erkannt, dass sie mehr auf Ausbildung und junge Spieler setzen müssen. Durch die Enge des Markts ist in Österreich auch klar, dass gute Spieler nach zwei Jahren den nächsten Schritt gehen wollen. Aber Verkäufe wie jener von Rasmus Hojlund etwa bringen dem österreichischen Fußball imagemäßig viel und stärken die Vereine finanziell.
Traditionsverein oder Investorenfußball - wo stehen Sie da?
Ich kenne ja beides als Trainer. Leistungsentwicklung im Fußball ist dann möglich, wenn man beim Verein optimale Arbeitsbedingungen vorfindet oder schaffen kann. Bei Hoffenheim, Leipzig und Salzburg war das der Fall. Vor allem kann man als Trainer bei solchen Vereinen etwas ausprobieren.
Das ist bei Traditionsclubs schwieriger. Da kommt schon vor, dass Klublegenden sagen: Das brauchen wir nicht, das haben wir nie so gemacht. Außerdem melden sich dann immer irgendwelche Ex-Nationalspieler kritisch zu Wort. Das kann für Traditionsclubs auch zum Fluch werden. So entwickelt man sich nicht weiter. Die Vereine, die nachhaltig erfolgreich sind, sind jene, die sich ihrer Tradition bewusst sind, aber trotzdem wie ein modernes Wirtschaftsunternehmen geführt werden.
Mit den kritischen Stimmen meinen Sie aber nicht Hans Krankl, oder?
Expertenbashing liegt mir fern.
Halten Sie Red Bull in Österreich aktuell für schlagbar?
So nah dran wie Sturm Graz aktuell war schon lange kein Verein mehr. Ich traue es Sturm zu, dass sie es wieder ganz spannend machen. Sturm hat aktuell eine sehr gute sportliche Leitung und in den letzten Transferfenstern einiges richtig gemacht.
Sie haben selbst bei Red Bull gearbeitet. Was hat Didi Mateschitz Ihrer Meinung nach ausgezeichnet?
Didi Mateschitz war genau das Gegenteil von dem, was seine Kritiker immer behauptet haben: Er hat sich im Fußball engagiert, weil er ein richtiger Fan war, nicht um den Verkauf seiner Dosen anzukurbeln. Er hat sich jedes Spiel zu Hause im TV angesehen. Und wir haben, vor allem im ersten Jahr, nach den Spielen auch zum Teil heftig diskutiert. Aber spätestens mit dem Aufstieg von Leipzig hat er mir und meinen Mitarbeitern vertraut und meine Entscheidungen nicht mehr hinterfragt.
Glauben Sie, dass sich in der Ära nach Mateschitz im Fußball viel verändern wird?
Das kann ich schwer beurteilen, dazu bin ich zu weit weg. Aber Didi Mateschitz in allen Bereichen eins zu eins zu ersetzen, ist unmöglich, gerade weil er so interessiert und involviert war.
Man wirft der UEFA und der FIFA - Stichwort Katar - ja gerne vor, nur auf das Geld zu achten. Wie sehen Sie das?
Ich finde es an sich gut, dass auch kleine Nationen und Vereine im Fußball eine größere Rolle spielen. Dennoch wünsche ich mir, dass die Vergabe von Europa- oder Weltmeisterschaften in Regionen erfolgt, wo eine gewachsene Fußballbegeisterung vorhanden ist.
Was halten Sie von der Idee einer Super League?
Gar nichts. Wenn ich mir anschaue, was sich in Saudi-Arabien gerade abspielt und welche Summen fließen, geht das ja in diese Richtung. Ich hoffe nur sehr, dass sich nicht zu viele jüngere Spieler dadurch locken lassen.
Würden Sie selbst in den arabischen Raum wechseln, wenn das richtige Angebot kommt?
Die Frage hat sich schon einmal gestellt, und die Summen, die da geboten werden, sind schon immens. Ich habe mir aber die Frage gestellt: Macht mir das Spaß, dort zu arbeiten und zu leben, und interessiert es überhaupt jemanden, was dort passiert?
Aber Sie könnten ja auch Saudi-Arabien erstmals in ein WM-Finale führen?
Ich glaube an die Kraft von großen Visionen, aber das kann nicht einmal ich mir vorstellen.
Sie leben ja seit einigen Jahren in Salzburg. Was schätzen Sie in Österreich?
Nirgendwo anders findet man auf so engem Raum so tolle Berge, Seen, fantastisches Essen und so liebenswerte Menschen wie hier. Deshalb bin ich mit ganzem Herzen hierher gezogen und fühle mich pudelwohl. Und anders als in Saudi-Arabien gibt es hier noch vier Jahreszeiten. Das schätze ich sehr.
Werden Sie bei der Euro die österreichische Hymne mitsingen?
Ich genieße es sehr, wenn am Ende der Hymne zweimal "vielgerühmtes Österreich" gesungen wird. Dann ist in einem vollen Ernst-Happel-Stadion eine enorme Energie spürbar. Ich freue mich schon auf diesen Moment in Düsseldorf und in Berlin.
Steckbrief
Ralf Rangnick
Ralf Rangnick [Jahrgang 1958] ist seit Mai 2022 Teamchef der österreichischen Fußball- Nationalmannschaft.
Unter seiner Leitung erreichte die Mannschaft in 18 Spielen zehn Siege und qualifizierte sich für die Euro 2024 in Deutschland. Siege gelangen u. a. gegen Kroatien, Italien und gegen Deutschland.
Der gebürtige Schwabe hat zuvor unter anderem als Trainer von SSV Ulm 1846, VfB Stuttgart, Hannover 96, FC Schalke 04 und TSG 1899 Hoffenheim gearbeitet. Danach wurde Rangnick von Didi Mateschitz als Sportdirektor zu Red Bull geholt, wo er für Salzburg und Leipzig zuständig war. Unter seiner Ägide stieg Red Bull Leipzig aus der vierten in die erste deutsche Bundesliga auf.
2021 ging der Vater zweier Söhne als interimistischer Cheftrainer zu Manchester United nach England, wo er allerdings nicht reüssierte. Rangnicks Vertrag mit dem ÖFB läuft jedenfalls bis zum Ende der Qualifikation für die WM 2026 in den USA, Kanada und Mexiko.
Das Interview ist aus trend. edition+ vom Dezember 2023.