Führung war schon immer ein Prozess zwischen Menschen, denn: Führungskräfte sind nur so lange Führungskräfte wie andere Menschen ihnen und ihren Ideen folgen. Die Rahmenbedingungen, unter denen sich dieser Prozess vollzieht, ändern sich jedoch zusehends – auch beschleunigt durch die Corona-Pandemie.
Die Mitarbeitenden ermächtigen und loslassen
Unternehmen müssen deshalb heute viel agiler als früher agieren; gleiches gilt für ihre Führungskräfte, denn: Im Zuge der fortschreitenden Digitalisierung und Globalisierung werden zumindest die Kernleistungen der Unternehmen zunehmend in bereichs- und zuweilen sogar unternehmensübergreifenden Teams erbracht. Deshalb verlieren die Bereichsgrenzen an Bedeutung. Also müssen die Führungskräfte stärker auf die Loyalität und Kompetenz ihrer Mitarbeitenden vertrauen und diese sozusagen in die Handlungsfreiheit entlassen. Zudem müssen die Mitarbeitenden als (Mit-)Verantwortliche für die Zielerreichung situations- und bedarfsabhängig immer häufiger im Leistungserbringungsprozess die Führungsrolle übernehmen. Sie sind sozusagen mal Geführte und mal Führende.
Führungskräfte werden Beziehungsmanager
In einem solchen Umfeld besteht die Kernaufgabe von Führungskräften primär darin, die erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen, dass die Mitarbeitenden eigenverantwortlich ihre Aufgaben erfüllen und die hierfür erforderlich Entscheidungen treffen können, denn: Unter anderem bedingt durch das vermehrte Führen auf Distanz (Homeoffice etc.) ist das Wahrnehmen der klassischen Kontroll- und Steuerungsfunktion top-down im Alltagsgeschäft nur noch bedingt möglich. Also müssen die Führungskräfte ihren Mitarbeitenden stärker vertrauen.
Das fällt vielen schwer – teils aus verständlichen Gründen, denn: Die Leistung einer Führungskraft wird von deren Vorgesetzten immer noch an der Leistung ihrer Mitarbeitenden bzw. ihres Teams gemessen. Erbringen sie die geforderte Leistung nicht, hat auch die Führungskraft ein Problem. Deshalb wird die Übertragung von Entscheidungsbefugnissen auf die Mitarbeitenden oft als Kontrollverlust erlebt. Dies wird sich erst ändern, wenn die Unternehmen bzw. deren Führungskräfte auch die Verantwortung für die Leistung eines Bereichs bzw. eine wachsende Zahl von (Teil-)Aufgaben ebenfalls „abgeben“: Tragen die Mitarbeitenden mehr Verantwortung, müssen sie auch verantwortlich gemacht werden können.
Führung wird zur kollektiven Aufgabe
Ein entsprechender Wandel des Führungsverständnisses in den Unternehmen allein genügt jedoch nicht. Die Führungsrolle muss ebenfalls neu definiert werden: Sie muss situations- und bedarfsabhängig wahrgenommen werden und darf nicht mehr an die formale Führungsmacht bzw. hierarchische Position gekoppelt sein. Sprich: Führung wird zur kollektiven Aufgabe. Die Mitarbeitenden werden zu Gestaltern, die ihr kreatives Potenzial auch dazu nutzen, eigenverantwortlich Problemlösungen zu entwickeln und zu realisieren. Das setzt ein Führungsverständnis voraus, das eine Verantwortungsübernahme und ein eigenständiges Handeln und Entscheiden aller am Leistungserbringungsprozess beteiligten Personen nicht nur strukturell ermöglicht, sondern gezielt forciert.
Das erfordert wechselseitiges Vertrauen. Es bedarf einerseits Führungskräfte, die sich nicht primär über ihre positionsbedingten Kontrollmöglichkeiten definieren, sondern auf die Kompetenz und Loyalität der Menschen im Unternehmen vertrauen. Andererseits braucht es Mitarbeitende, die als Führungshandelnde darauf vertrauen können, dass sie von der Organisation die nötige Unterstützung erhalten, und wissen: Wenn ich einen Fehler mache oder eine Fehlentscheidung treffe, stehe ich nicht sogleich am Pranger.
„New Leadership“ und „New Work“ gehen Hand in Hand
Eine solche Führungskultur ist nicht nur nötig, um die Agilität der Organisation zu wahren bzw. zu forcieren, sie wird insbesondere von den Mitarbeitenden der Generationen X, Y und Z auch zunehmend gewünscht. Das zeigt unter anderem die aktuelle Debatte über das Thema „New Work“. Je eigenverantwortlicher die Mitarbeitenden aufgrund der Verantwortungsübernahme entscheiden und handeln können, umso sinnvoller erfahren sie ihre Arbeit. Das steigert ihre Arbeitszufriedenheit und erhöht ihre Identifikation mit dem Unternehmen. Zugleich entlastet eine entsprechende Kultur aber auch die Führungskräfte, denn: Je mehr Aufgaben und operative Themen die Mitarbeitenden eigenverantwortlich übernehmen (können), desto kleiner ist die Zahl der Jobs auf ihrem Schreibtisch, und umso seltener müssen sie als „Trouble Shooter“ fungieren. Es entstehen somit die nötigen Freiräume, um sich mit Ruhe und Gelassenheit strategischen Fragen und Aufgaben zu widmen.
Ein solcher Entwicklungsprozess kommt nicht von selbst in Gang. Er sollte von den Unternehmen aktiv stimuliert werden – zum Beispiel durch ein entsprechendes Führungskräfteentwicklungsprogramm. Denn dass New Leadership in den Unternehmen gelebt wird, setzt nicht nur voraus, dass die Führungskräfte ihr Führungsverhalten überdenken, sie müssen auch neue Führungsroutinen entwickeln, damit sie im Alltag die nötige Verhaltenssicherheit zeigen. Ansonsten ist gerade in Krisen- und Stresssituationen die Gefahr groß, dass sie wieder in ihre alten Verhaltens- bzw. Reiz-Reaktionsmuster verfallen. Das registrieren auch ihre Mitarbeitenden, weshalb auch sie ihr Verhalten nicht nachhaltig ändern.
Zum Autor
Christoph Bauer ist Agile Coach & Transformation Consultant und arbeitet als Senior-Berater für die Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Er ist der Entwickler und Leiter des berufsbegleitenden „New Leadership Program“, das im Juli online startet. Das Programm wird online abgehalten. Die insgesamt 20 Sessions der sechs Module werden als interaktive Live-OnlineTrainings gestaltet. Es findet ein Mix aus Impulsvorträgen, Einzelreflexionen und Kleingruppenarbeiten statt. Als Tools werden MS Teams und ein Miro-Board eingesetzt. Die Teilnehmer definieren in den Modulen für sich konkrete Transfer-Aufgaben, an denen Sie arbeiten möchten. Weitere Informatonen zum New Leadership Program finden Sie hier.