Psychopathen fehlt es weitgehend oder völlig an Empathie und anderen grundlegenden Soft Skills. Dennoch sind sie als Manager gerade in unsicheren Zeiten oft erfolgreich. Wer es mit einem Psychopath als Chef zu tun hat, braucht einen kühlen Kopf - und am besten selbst ein paar seiner Wesenszüge.
PSYCHOPATH und PSYCHOPATHIE
Psychopathie bezeichnet eine schwere Persönlichkeitsstörung. Betroffenen fehlt es weitgehend oder völlig an Empathie, sozialer Verantwortung und Gewissen. Psychopathen sind auf den ersten Blick mitunter charmant, sie verstehen es, oberflächliche Beziehungen herzustellen. Dabei können sie sehr manipulativ sein, um ihre Ziele zu erreichen. Psychopathie geht häufig mit antisozialen Verhaltensweisen einher, sodass in diesen Fällen oft die Diagnose einer dissozialen oder antisozialen Persönlichkeitsstörung gestellt werden kann.
Psychopathie: Ohne Skrupel oder Empathie
Wer in einem Unternehmen in eine Führungsposition aufsteigt, der erhält Macht - ob als Teamleiter mit drei ihm unterstellten Mitarbeitern oder als Vorstandsvorsitzender eines Weltkonzerns mit Hunderttausenden Beschäftigten. Die rein fachliche Qualifikation ist dabei in der Regel unstrittig. Doch echte Leadership erfordert mehr als nur die Hard Skills, das grundlegende Einmaleins des Management Knowhow.
Leadership hat viele Facetten und benötigt ein buntes Sammelsurium an Skills. Die WU Executive Academy hat ein Periodensystem der Führung etabliert, in dem die Aspekte der Leadership in verschiedenen Aggregatzuständen festgehalten sind. Es zeigt, dass zu den Qualitäten, die eine echte Führungskraft mitbringen muss, weit mehr gehört. Dazu auch neue Leadership-Qualitäten wie Offenheit und Wertschätzung, Emotionale Intelligenz, Empathie und Lernbereitschaft. Doch längst nicht jede Führungskraft besteht diese Charakterprobe und bringt diese entscheidenden Skills auch mit.
Das Negativbeispiel wäre ein kaltschnäuziger Chef, unbeirrt in seinem Durchsetzungswillen. Er kennt dabei keine Hemmungen, keine Schuld, keine Scham und keine Angst. Seine Interessen setzt er ohne Skrupel durch. Das macht ihn "effektiv". Ergebnisse müssen geliefert werden. Kritik wird unverblümt angebracht: "Zu lasch", "nicht kreativ, nicht innovativ". Eine solche Führungskraft hat ausgeprägte psychopathische Eigenschaften.
Psychopathen sind keine Amokläufer. Sie neigen auch nicht unbedingt zur Gewalttätigkeit. Sie können meist sehr gut erkennen, welches Verhalten ihnen den größten Nutzen bringt. Die wenigsten Psychopathen werden zu klinischen Fällen. Psychopathische Eigenschaften in milderer Form fördern sogar Erfolg, denn der verlangt (fast) immer, sich gegen andere durchsetzen und zu behaupten, sich von anderen Ambitionen nicht blockieren zu lassen, Interessen von Einzelnen oder Gruppen zu ignorieren, wenn sie höheren Zielen entgegenstehen. Darauf kommt es gerade im Management immer wieder an.
Wir könnten von Psychopathen viel lernen, um erfolgreicher zu werden, argumentiert der britische Psychologe Kevin Dutton in einem gefeierten Buch "Psychopathen. Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann". Psychopathen, schwärmt er, dienten der Gesellschaft mit besonderer Leistung. Besondere Aufgaben könnten sie besser als normale Menschen erfüllen.
Psychopathen als Manager
Wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass die höchste Quote an Psychopathen nicht etwa unter Straftätern in Gefängnissen zu finden ist, sondern in den Führungsetagen von Unternehmen. Psychopathen sind meist eloquente und extrovertierte Menschen und können sich oft sehr charmant geben. Psychologische Tests weisen nach, dass sie überzeugender als Nicht-Psychopathen Gefühle vortäuschen können, in jeder Variante. So gelingt es ihnen, mit ihrer Entschiedenheit und Selbstgewissheit, andere in ihren Bann zu ziehen. Menschen, die sich von ihrem unbeirrten Willen mitreißen lassen, die, angesteckt von ihren Visionen, hoffen, an ganz großen Erfolgen teilhaben zu können. So avancieren Psychopathen in Führungspositionen.
Robert Hare, emeritierter Professer der University of British Columbia, ist einer der anerkanntesten Forscher zum Themenkreis Psychopathie und Psychopathen und Autor etlicher Bücher darunter "Without Conscience: The Disturbing World of the Psychopaths Among Us" ("Gewissenlos. Die Psychopathen unter uns"). In seinen Studien identifizierte im Management von Unternehmen einen größeren Anteil an Psychopathen als in der Bevölkerung allgemein. Der alarmierende Befund: Sechs Prozent der Führungskräfte weisen psychopathische Züge auf - einer von zwanzig Managern wäre demnach derart krankhaft veranlagt. Im Vergleich dazu liegt der Anteil bei der Durchschnittsbevölkerung gerade einmal bei einem Prozent. "Wir finden sie", konstatiert Hare, "in allen Organisationen, in denen ihnen Stellung und Status Macht über andere verleihen und die Chance auf materiellen Gewinn bieten."
Noch beängstigender fiel die Analyse der Leistungsbeurteilungen aus - gerade die von den Psychiatern als gestörte Persönlichkeiten identifizierten Führungskräfte galten laut Personalakten als ausgezeichnete Kommunikatoren, kreative Strategen und Innovatoren! Psychopathische Verhaltenszüge sind also offenbar karrierefördernd.
Wenn die Lage unübersichtlich und unsicher ist, und das erleben wir in diesen Zeiten andauernd, profitieren Psychopathen von ihren Eigenschaften besonders. Sie bleiben im Glauben an sich selbst unerschüttert und verharren im Zustand kalter Aufmerksamkeit. Geht es um Sanierung, Umstrukturierung, Massenentlassungen, Standortschließung oder generell darum, die Leistungsschraube anzuziehen, ziehen sie solche Aufgaben kalt durch. Während anderen Managern genau das schlaflose Nächte bereiten kann.
Psychopathen haben keine (tiefen) Gefühle. Deshalb sind sie emotional immun gegen Vorwürfe und Kritik. Gleichzeitig erkennen sie sicher die Schwächen anderer und nutzen sie kaltblütig aus. Menschen zählen für sie nicht als Menschen, sondern nur als Werkzeug für die eigenen Ziele. Psychopathen sind große Manipulatoren. Sie täuschen Verlässlichkeit in Beziehungen geschickt vor, stellen sich dar als ehrliche Partner, sichern sich Loyalität und Treue, ohne davon selbst etwas zu empfinden. Wenn es ihnen opportun erscheint, können sie auch langjährige Weggefährten leicht über Bord gehen lassen. Es reicht schon, wenn die ihnen nicht mehr nützlich erscheinen. Nie verstricken sich Psychopathen in Ambivalenzen. So vermeiden sie Entscheidungsblockaden. Sie trumpfen auf als souveräne Macher.
Psychopath: Mensch ohne Stress und Gewissen
Mehmet Mahmut von der Macquarie University wies nach, dass bei Psychopathen bestimmte Hirnregionen (im orbitofrontalen Kortex), die normalerweise dafür sorgen, dass Gefühle bei Entscheidungen eine Rolle spielen, den Input von Emotionen blockieren. Deshalb geraten Psychopathen nicht unter Stress und deshalb quält sie kein schlechtes Gewissen, wenn sie andere über die Klinge springen lassen. Sie werden nie von Gefühlen vereinnahmt.
So kommen sie dem Management-Ideal des kühlen strategischen Denkers am ehesten nahe. Schließlich gilt in vielen Chef-Etagen für die Optimierung von Analyse- und Entscheidungsprozessen: Emotionen bleiben außen vor. Das können "normale" Menschen nicht. Die modernen Neurowissenschaften weisen nach, dass unser Verstand nicht ohne den Input von Gefühlen arbeitet. Gefühle sagen uns, was uns wichtig ist. Allerdings können starke Gefühle auch vereinnahmen. Die Herausforderungen besteht darin, Gefühle angemessen managen zu können.
Psychopathen haben damit kein Problem. Erfolgreiche Börsenmakler hält der Neurowissenschaftler Antoine Bechara für "funktionelle Psychopathen", die ihre Gefühle besser als andere ausschalten können oder sie erst gar nicht so intensiv empfinden.
Baba Shiv, Professor für Marketing an der Stanford Business School, meint, das treffe auch auf viele CEOs zu. Die Wirtschaft im ständigen Wandel lockt Psychopathen noch mehr an. Denn sie hungern nach neuen Erlebnissen. Dass die Zukunft nicht vorhersehbar, die Lage unberechenbar ist und (falsche) strategische Entscheidungen die Existenz eines Unternehmens gefährden, der Gedanken beunruhigt sie nicht. Turbulenzen bringen sie nicht aus der Fassung. So sind sie prädestiniert als Change-Manager, permanent Veränderungen voranzutreiben, auch gegen heftige Widerstände. Sie moderieren nicht unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse. Sie setzen sich zielstrebig durch!
Der Führungsexperte John Kayser sieht für Unternehmen genau drei Chancen, einen Psychopath abzufangen: durch psychologische Verfahren bei Einstellung und Beförderung und - am schwierigsten zu realisieren - durch eine Kultur des kritischen Hinterfragens des eigenen Denkens und Handelns an der Führungsspitze.
Die Stärken und Schwächen von Psychopathen
Die Stärken
Sie kennen keine Angst. Wie Spitzensportler im Wettkampf agieren Psychopathen im Business ohne Zögern und Zaudern, automatisiert und punktgenau. Schwierige Entscheidungen fallen rasch und zielgerichtet. Sie bleiben nervenstark, egal was passiert. Sie lassen sich nicht anstecken von der Angst anderer.
Sie lieben Herausforderung und Veränderung. Routine und Business as usual sind ihre Sache nicht. Niemand kann Change-Prozesse dynamischer in Angriff nehmen als Psychopathen, Bedenkenträger haben keine Chance, sie dabei zu stoppen.
Sie sind total fokussiert. Die Konzentration auf das Ziel, das sie erreichen wollen, ist bei Psychopathen absolut und rücksichtslos. Mitarbeiter werden dabei nicht als Menschen betrachtet, sondern als Ressource, die man verschleißen kann wie Verbrauchsmaterial.
Sie leiden nie unter Stimmungstiefs. Sie werden nicht melancholisch oder gar depressiv. Sie haben keine schlaflosen Nächte, weil Sorgen oder Unsicherheiten sie umtreiben würden. Sie machen Druck, ohne selbst Druck zu empfinden.
Die Schwächen
Sie kennen keine Angst. Mit ihrer Unfähigkeit zu reflektiertem Verhalten laufen Psychopathen im Management immer Gefahr, Unternehmen auf mittlere Frist an die Wand zu fahren. Abwägung und Maßhalten sind ihnen fremd, ihre Risikoneigung macht sie anfällig.
Sie sind weder vertrauens- noch beziehungsfähig. Für eine psychopathische Persönlichkeit ist Empathie ein Fremdwort. Das Aufbauen einer langfristig orientierten Vertrauensbeziehung ist mit ihnen nicht möglich, sie haben nur den eigenen Vorteil im Auge.
Sie zerstören die Kultur. Psychopathen in der Führungsspitze zerstören mittelfristig jede Unternehmenskultur. Macchiavellismus und Skrupellosigkeit werden unter ihnen zu Leitwerten des Handelns, statt Kommunikation und Austausch gibt es nur Intrigen.
Psychopathen bleiben Psychopathen. Das ist ihre Persönlichkeit. So sind sie konstruiert. Sie sind nicht korrigierbar. So gesehen sind sie berechenbar. Wer sie durchschaut, weiß, was er von ihnen zu erwarten hat. Wirtschaft und Gesellschaft im schnellen Wandel, mit unvorhersehbaren Entwicklungen und Verunsicherungen, eröffnen ihnen zunehmend Karrierewege. Was sie erreichen, können wir als Erfolg feiern - so lange wir den Schaden, den sie anrichten, als unvermeidlichen "Kollateral-Schaden" betrachten. Die Alternative: Wir stellen ihnen starke Manager zu Seite, die sie in Schach halten können, wenn es darauf ankommt.
Der Chef, ein Psychopath? So wehren Sie sich.
1. Selbstwertgefühl erhalten und sich nicht zum Opfer machen lassen
Psychopathen können Angst, die sie verbreiten, geradezu riechen und erkennen Schwächen potenzieller Opfer intuitiv. Wer ruhig und selbstbewusst, dabei am besten sogar stoisch auftritt und sowohl Unterwürfigkeit als auch Provokation vermeidet, bietet ihnen die geringste Angriffsfläche.
2. Aktivieren von Netzwerken und Allianzen
Ihre Opfer zu isolieren, ja sogar gegeneinander auszuspielen, ist ein Wesenszug von Psychopathen. Das macht es schwer, aber umso nötiger, Allianzen gegen ihre Machenschaften zu schmieden. Skrupel gegen Intrigen sollte man da nicht haben. Ein Ansatzpunkt ist vielleicht der Chef des Psycho-Chefs.
3. Emotionale Unabhängigkeit von Psycho-Aktionen sichern
Im Konfliktfall ist innere Distanz gegen jede Psycho-Aktion, eine Art mentaler "Cordon sanitaire", unerlässlich, um zu bestehen. Nur wer betont sachlich und inhaltlich kompetent ist, hat eine Chance, dem Psychopathen im Büro so lange standzuhalten, bis der sich in seiner Macht-Hybris vielleicht selbst zu Fall bringt.
4. Worst Case als Standardszenario im Umgang mit Psychopathen
Wenn es sein muss, sind Psychopathen charmant und verbindlich. Gerade deshalb sollte man immer auf das schlimmste Szenario vorbereitet sein, mit Wortbruch rechnen und niemals auf Zusagen oder Versprechungen des als Psychopathen durchschauten Chefs zählen.
5. Durch Dokumentation vor Ideenklau sichern
Skrupellosigkeit zählt zum Standardrepertoire, mit dem sich Psychopathen nach oben arbeiten. Bei Psycho-Verdacht im Kollegenkreis, tut man gut daran, eigene Leistungen zu dokumentieren, sodass ein Ideenklau beweisbar ist.
6. Den Abgang gut planen und mit Rachereaktionen rechnen
Zwischen einem guten Jobangebot und der Perspektive, bei einem psychopathischen Chef zu bleiben, fällt die Wahl nicht schwer. Doch auch der Abgang sollte vorbereitet - und durchaus bis zur Fixierung verheimlicht - werden. Mit rufschädigenden Racheaktionen durch den Ex-Chef ist ohnehin zu rechnen.
7. Vorbeugung: Psychopathen bei Führungskräfteauswahl erkennen
Die beste Prävention ist, Psychopathen gar nicht in Führungspositionen zu lassen. Dazu erforderlich ist aber ein HR-Managment, das sie auch entlarvt, etwa durch psychologische Tiefeninterviews bei der Einstellung oder vor einer Beförderung.
Buchtipps: Psychopathie
Der Psychopath in mir. Die Entdeckungsreise eines Neurowissenschaftlers zur dunklen Seite seiner Persönlichkeit. Von James Falllon, 288 Seiten. Gratis als Kindle-Download, Taschenbuch um 20,56 €.
Gewissenlos. Die Psychopathen unter uns. Von Robert D. Hare und Karsten Petersen, Springer 2005; 222 Seiten; 56,33 €
Hilfe, Psychopathen! Wie wir uns gegen schwierige Menschen behaupten (Der psychologische Ratgeber über den erfolgreichen Umgang mit Menschen, die uns ausnutzen). Von Thomas Erikson; Knaur 2021; 304 Seiten; 18 €
Psychopathen.Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann. Von Kevin Dutton; dtv 2014; 336 Seiten; 11,21 €
Von Psychopathen umgeben.Wie Sie sich erfolgreich gegen schwierige Menschen zur Wehr setzen. Von Bärbel Mechler; Mankau 2018; 277 Seiten; 10,23 €
Über die Autoren
Peter Sempelmann
Peter Sempelmann, geb. 1968, arbeitet seit 1997 als Journalist mit Fokus auf Wirtschaft und Technologie und leitet seit 2013 die trend. Online-Redaktion. Stationen in der journalistischen Karriere: trend, FORMAT, profil, WirtschaftsBlatt, Report Verlag.
Michael Schmid
Michael Schmid, Redakteur trend (Management & Karriere)