Mit 76 Jahren ist Greta Silver Deutschlands erfolgreichste Influencerin in Sachen Age Positivity. Im Interview erklärt die leidenschaftliche Querdenkerin, warum man jeden Tag aufstehen sollte wie beim Kindergeburtstag und die Zukunft weiblich ist.
Alter ist ein Start-up-Unternehmen mit unserem Lebens-Know-how als Trampolin. Das ist ein emotionales Grundeinkommen“, heißt es griffig, wenn Greta Silver in ihren Vorträgen über Lebensexpertise als Kapitalanlage spricht.
Dem Alter den Grauschleier entreißen, aufzeigen, wie kostbar das Alter ist und was man selbst für sein Glück tun kann, das hat sich die lebenserfahrene Hamburgerin auf die Fahne geschrieben. „Ich habe zu lange mit angezogener Handbremse gelebt, wollte es jedem recht machen – und ich habe es geändert. Diese Tipps gebe ich weiter.“ Und das mit hohem Energielevel und höchst erfolgreich.
Greta Silver ist YouTuberin, Podcasterin, Bestsellerautorin und Deutschlands bekannteste Bloggerin 50+. Genau genommen ist die Frau, die bei ihren Vorträgen energetisch die Bühne rockt – bunt und sprühend wie eine deutsche Version der US-Stilikone Iris Apfel –, 76 Jahre alt. „Lebensfreude pur“ ist ihr Branding. Die Granfluencerin ist Grenzensprengerin, zeigt Lösungen für mehr Leichtigkeit, Energie und Durchsetzungskraft im Leben und zieht vor allem alle Register, wenn es darum geht, über Age Positivity zu sprechen.
Normen sprengen
Damit ist sie auch als gut gebuchte Speakerin in Deutschland, Österreich und der Schweiz unterwegs. Sie spricht auf Führungskräfte-events wie beim „Female Leader Circle“ von Future Link im Schloss Mauerbach am Stadtrand von Wien am 26. September (futurelink.at), auf Kongressen (Anfang Oktober etwa beim HR Inside Summit in der Wiener Hofburg; hrsummit.at), auf Tagungen, in Unternehmen, auf Messen und Firmenveranstaltungen, schreibt Kolumnen und gibt auch Seminare und Workshops wie Ende November „Bring dich selbst zum Leuchten“ in Basel.
Die Themenpalette ist breit und reicht von „Gesellschaftliche Normen sprengen“, „Sinnfindungen“, „Umgang mit Ängsten“, „Runter vom Abstellgleis“, „Wertschöpfung durch Wertschätzung“ bis zu „Neustart in jedem Lebensalter“. Und die dreifache Mutter und vierfache Großmutter weiß, wovon sie spricht. Denn Neustarts sind ihre Spezialität, wie sie im Vorfeld ihres Vortrags beim „Female Leader Circle“ im Interview erzählt. „Mein Leben besteht aus Neustarts – und damit höre ich noch lange nicht auf.“
Nach 17 Jahren als Marmelade kochende Hausfrau und Mutter musste sie, nachdem ihr Mann seinen Job verlor, von einem Tag auf den anderen für das Familieneinkommen sorgen und machte sich mit 48 Jahren mit der Inneneinrichtung von Hausbooten bis zu Ferienhäusern und Hotels selbstständig, arbeitete als freie Journalistin und gründete ihre eigene PR-Agentur für Konzerne.
Als ihre Tochter während des Studiums modelte und ein Mutter-Tochter- Shooting angesagt war, hat sie sich danach in der Agentur ihrer Tochter gleich selbst angemeldet, bekam einen neuen Look verpasst und wurde im Alter von 60 Jahren Best-Ager-Model.
Frei nach Udo Jürgens Hit „Mit 66 Jahren …“ hat die Hamburgerin dann, nachdem sie sich dafür durch zahlreiche Tutorials gequält hat, mit 66 Jahren ihren eigenen YouTube-Kanal „Zu jung fürs Alter“ eröffnet, mit aktuell über fünf Millionen Aufrufen. Mittlerweile ist Greta Silver auch Podcasterin – ihr Podcast „Glücklich sein ist eine Entscheidung“ hat über 340.000 Follower – und befüllt mit ihrer ganz besonderen Lebensphilosophie auch täglich ihren Instagram-Account (@silver.greta).
"Wenn Wirtschaft in Zukunft erfolgreich sein will, dann braucht es da mehr Frauen.""
Sie sind am 26. September Speakerin beim Female Leader Circle, wo Sie über Zukunftsmut reden werden und darüber, wie man sich in herausfordernden Zeiten Begeisterung bewahren kann. Gehen Frauen anders bzw. offener mit dem Thema Alter um? Bei Männern scheint ja vorrangig die Angst vor Macht- und Potenzverlust das Thema zu sein.
Jeder hat da wohl auf anderen Gebieten seine Ängste. Bei Frauen heißt es immer, „ab 50 ist man unsichtbar“. Aber ich würde generell schon sagen: Frauen sind anders bereit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Männer beschäftigen sich eher mit der Frage „Was gebe ich auf?“, Frauen eher mit der Frage „Was gewinne ich im Alter?“. Darin liegt auch die große Chance, dass sich Frauen ganz anders mit ihren Emotionen auseinandersetzen und das Thema Alter anders anpacken. Es gibt da auch Gott sei Dank diesbezüglich, wenn auch langsam, einen gesellschaftlichen Wandel. Auch die Forschung belegt: Menschen mit positivem Altersbild leben 7,6 Jahre länger und haben mehr Spaß. Wenn man immer denkt, Alter ist schrecklich, zeigt einem auch das Gehirn nur Bilder, die das bestätigen. So wie wenn man sich für eine Automarke entschieden hat, man eine Zeit lang auch nur diese auf der Straße wahrnimmt. Man muss sich also bewusst werden: „Was will ich denken, was will ich sehen, welches Rollenbild will ich annehmen?“
Den Grauschleier vom Alter nehmen ist Ihr Thema. Auch Elke Heidenreich hat gerade ein pointiertes Buch übers Altern geschrieben.
Das liegt gerade auf meinem Lesestapel, aber ich hab’s noch nicht gelesen.
Während Heidenreich auch mit vielen literarischen Querverweisen arbeitet, setzen Sie in Ihren Vorträgen höchst erfolgreich auf bildstarke Botschaften: etwa, dass die Zeitspanne von 60 bis 90 genauso lang ist wie die von 30 bis 60.
Genauso lang, aber mit weniger Stress! Ich kann es nicht fassen, dass das vor mir keiner bewusst gemacht hat, profaner geht’s doch gar nicht mehr.
Nun heißt es zwar, 50 ist das neue 30 und 70 das neue 50, auch die Nachfrage in Agenturen nach Granfluencern ist gestiegen, in der Werbung selbst scheint das thematisch aber noch nicht angekommen zu sein. Da werben selbst die schicksten Best-Ager-Models immer noch für Rheumasalbe und Darmpräparate.
Ich versuche in vielen Vorträgen und Seminaren, der Wirtschaft den immer größer werdenden Markt der Best Ager zu eröffnen, der finanzstark und weltoffen ist, aber lange Zeit nur für Gummistrümpfe und Magnesium erreichbar schien, weil in vielen Werbeagenturen Menschen unter 35 sitzen, die glauben, ab 50+ hat man keine anderen Bedürfnisse mehr. Ich weiß nicht, wie lange man das noch verschlafen will. Da ist bei allem Reden über Diversity noch viel in Schieflage. Auch am Arbeitsmarkt. Aber durch den Fachkräftemangel brauchen wir nun ja auch wieder genau die Alten, die man vorher aufs Abstellgleis geschoben hat. Die Engstelle mag sich ergeben, wenn in den Human Resources so ganz junge Leute sitzen, die sich nicht vorstellen können, dass ein 60-jähriger Mensch, der noch on fire und nicht verschlissen ist, womöglich ein Motorrad sogar besser verkaufen kann als ein 35-jähriger. Weil der Alte auch die alten Hasen abholen und viele Storys erzählen kann. Verkaufen ist Storytelling. Es ist auch wissenschaftlich belegt, dass, wer schon ein Musikinstrument kann, das zweite leichter lernt oder nach einer Fremdsprache die zweite schneller lernt. Das wissen wir in der Theorie, aber in der Praxis scheint es noch nicht angekommen.
Vielfach gelten ältere Mitarbeiter:innen aber einfach als zu teuer, das wird knallhart kalkuliert.
Auch das ist in den Köpfen falsch verankert. Man muss auch rechnen, was jemand mit Knowhow und Lebenserfahrenheit reinbringt. Da geht es um Wertschöpfung durch Wertschätzung. Auf der anderen Seite verurteilt man die Generation Z und deren Streben nach einer Work-Life-Balance. Ich feiere Generation Z. Was haben deren Eltern noch jeden Tag am Abend gejammert, was sie in der Arbeit für einen Stress haben. Das will die nächste Generation nicht nachmachen, die lässt sich nicht mehr alles gefallen. Noch nie wollten so viele ihren Job wechseln. Nach einer aktuellen Gallup-Studie verliert Deutschland jedes Jahr über 130 Milliarden Euro aufgrund von Produktivitätseinbußen, weil 7,3 Millionen Beschäftigte innerlich gekündigt haben und auf Sparflamme arbeiten, und 87 Prozent der Chefs glauben, sie seien gute Chefs, obwohl die meisten wegen der schlechten Führung kündigen. Da liegt viel im Argen, wo man ansetzen kann. Man braucht dazu mehr erfolgreiche Beispiele, von Unternehmen, die mit Stereotypen brechen, damit die Ängstlichen auch den Mut haben, neue Wege zu gehen.
Sie bezeichnen Best Ager als Start-up und deren Lebens Know-how als emotionales Grundeinkommen …
Weil sie schon manche Krisen überstanden haben und mit ihrer Erfahrung Stabilatoren sind. Ein Mix von alt und jung ist für jedes Unternehmen gesund. Man muss raus aus der Ellbogengesellschaft.
Perfektionismus ablegen, alte Verletzungen loswerden, neugierig aufs Leben sein und begeisterungsfähig bleiben sind einige Ihrer Glückstipps für Frauen 50+. Was ist denn Ihr persönlich favorisierter?
Verantwortung fürs eigene Leben übernehmen. Das kann man nicht abgeben. Es kommt keiner vorbei, der das für einen macht.
Das bringen Sie auch in Ihren Vorträgen dermaßen energetisch über die Bühne, dass die Funken sprühen. Woher nehmen Sie Ihre Energie?
Man braucht mehr Energie, die Sehnsüchte unter dem Teppich zu halten, als man aufwenden muss, um sie zu realisieren. Das fängt schon morgens beim Aufstehen an. Ich möchte auch mit 76 aufstehen wie beim Kindergeburtstag: Ich weiß, etwas Tolles wird passieren, ich weiß nur noch nicht, was. Dann fahren alle Antennen aus. Ich habe selber alles durch das Leben gelernt. Ich habe kein Herz transplantiert, ich bin nicht zum Mond geflogen, ich erzähle von meinem Leben und erzähle, wie ich so geworden bin. Und das wird angenommen. Und es ist für mich eine Freude, zu erleben, wenn andere sich anstecken lassen und neuen Lebensmut gewinnen.
Was heißt das nun zum Thema Begeisterung bewahren in herausfordernden Zeiten? Sollen alle jeden Tag aufstehen wie beim Kindergeburststag?
Natürlich! Oder aufstehen wie am Neujahrstag und gespannt sein, was das Jahr bringt! Corona hat uns alle ein bisschen aus dem Hamsterrad gehoben. Und viele haben sich danach gefragt: Will ich in das alte Muster zurück?“ Jetzt haben wir die Chance, Prozesse neu zu gestalten. Da ist vieles im Werden. Früher war Angst ein Druckmittel gegen Mitarbeiter. Und es hieß: „Wenn es Ihnen nicht gefällt, da draußen warten zehn andere auf Ihren Job.“ Heute sehe ich die Angst bei den Führungskräften. Angst, etwas Neues auszuprobieren. Aber sie stehen mit dem Rücken zur Wand. Angst ist ein mieser Berater und ängstlich Sein keine Führungsqualität. Jetzt ist Aufbruchstimmung in der Wirtschaft wichtig. Ich komme aus einer Zeit, in der Roboter
unseren Händen Arbeit weggenommen haben. Heute nimmt uns die KI das Machtinstrument Wissen aus der Hand. Was bleibt, ist der Mensch mit seiner Empathie. Schon der Astrophysiker Stephan Hawkings machte klar, dass das Überleben der Menschheit davon abhängig sein wird, wie empathiefähig sie ist. Die Wirtschaft hat das jetzt als ihre Rettung erkennt. Das Thema Arbeitsklima steht in Umfragen auf Platz eins. Und hier öffnet sich eine Chancengleichheit für Frauen und macht Frauen unverzichtbar für die Wirtschaft der Zukunft. Denn Empathie und Gefühle sind unstrittig die Domäne der Frauen. Wenn Wirtschaft in Zukunft erfolgreich sein will, braucht es da mehr Frauen. Und neue Arbeitszeitmodelle, um Frauen abholen zu können, weil die Care-Arbeit nach wie vor bei den Frauen liegt. Es wird zwar besser, und die neuen Männer sind toll, aber es ist noch ein bisschen was zu tun. Ich glaube, ich muss 120 werden.
Artikel und Interview aus trend.FEMALE Leadership vom 20.9.2024
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