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Mit weniger Anstrengung mehr erreichen [Essay von Andreas Salcher]

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Wer wünscht sich nicht ein glückliches Leben? Die Frage nach dem guten Leben beschäftigte schon die antiken Philosophen und ist heute Gegenstand der wissenschaftlichen Glücksforschung. Die Antworten sind erstaunlich übereinstimmend. So war Aristoteles kein weltfremder Philosoph und erhob nie den moralischen Zeigefinger, sondern gestand dem Menschen durchaus das genussvolle Ausleben seiner Begierden zu, aber immer mit Maß und ohne sich davon abhängig zu machen. Entscheidend für unser Lebensglück ist, sich rechtzeitig eine Frage zu stellen: Was heißt ein gutes Leben für mich?

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Martin Seligman, Mitbegründer der Positiven Psychologie, fand bei seinen tiefgehenden Untersuchungen über die Frage nach dem guten Leben heraus, dass es drei unterschiedliche Wege zum als subjektiv glücklich empfundenen Leben gibt:

Der erste Weg ist das angenehme Leben, bei dem versucht wird, möglichst viele positive Emotionen zu verspüren. Dieser hat allerdings zwei Nachteile: Erstens zeigt sich, dass jene Art der Glücksfähigkeit zu 50 Prozent genetisch vorgegeben und daher wenig veränderbar ist. Zweitens gewöhnt man sich sehr schnell an positive Emotionen. Der erste Schluck Bier ist der beste, nach dem dritten Krügel steigt nicht mehr das Glücksgefühl an, sondern nur der Alkoholisierungsgrad. Das Prinzip vom abnehmenden Grenznutzen gilt nicht nur für Genussmittel wie Sachertorte, sondern auch für viele Freizeitvergnügungen. Dauerhaftes Glück ist mehr als Vergnügen.

Das gute Leben ist der zweite Weg, der über das Aufgehen in der Arbeit, in Familie oder im Sport beziehungsweise in der Kunst führt. Wenn diese Aktivitäten das richtige Verhältnis zwischen Anstrengung und Zielerreichung finden, dann sind die vom Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi entdeckten Flow-Erlebnisse möglich, die wiederum Freude auslösen. Das Erzielen von Flow-Erlebnissen ist weitaus schwieriger zu erreichen, als sich ein positives Gefühl durch Vergnügen wie Shopping, Essen, Netflix-Schauen oder Drogen zu verschaffen. Dafür wirkt der Flow-Effekt länger nach.

Drittens gibt es das sinnvolle Leben, das bedeutet, seine Berufung zu kennen und sich in den Dienst einer Aufgabe zu stellen, die größer ist als man selbst. Dafür muss man nicht alle seine persönlichen Ziele aufgeben, um sie einem weit entfernten, höheren Gut zu opfern, sondern klare Prioritäten setzen.

Ausgehend von diesen Erkenntnissen konzentrierte Seligman sich darauf, herauszufinden, welcher der drei Wege am nachhaltigsten zur Lebenszufriedenheit beiträgt. Die Studienergebnisse waren überraschend. So erhöhte der Versuch, das Vergnügen und die guten Gefühle in seinem Leben zu maximieren, die Lebenszufriedenheit fast gar nicht. Das Streben nach Sinn hatte den positivsten Einfluss, gefolgt vom Streben nach der Erfüllung im Tun.

Neustart – warum die Stunde null eine Illusion ist

Kann man aus dem eigenen Leben aussteigen und komplett neu anfangen?

Eine Erfahrung aus der Computerwelt könnte hilfreich sein. Mit der Zeit schleichen sich in alle Computerprogramme nervende Fehler ein, die mit immer mehr Aufwand korrigiert werden müssen. Einige Unternehmen sind daher auf die Idee gekommen, das alte Programm zu entsorgen und einfach wieder bei null anzufangen. Die Ergebnisse waren fast immer desaströs.

Auf das Leben übertragen erscheint es in völlig vertrackten Situationen durchaus verlockend, reinen Tisch zu machen, seine Familie zu verlassen und neu zu starten. Oder im Beruf dem Chef einmal alles so richtig reinzusagen, dann zu kündigen und „etwas ganz anderes“ zu machen, ohne sich zu früh mit der Frage „Was eigentlich?“ zu belasten.

Die Stunde null erweist sich leider oft als Illusion. Man erkennt zwar die Fehlentwicklungen in der Vergangenheit, scheut sich aber, die Ursachen dafür zu beseitigen. Wenn man glaubt, dem eigenen Leben fluchtartig entkommen zu können, übersieht man leider, dass alle selbst gemachten Probleme als treue Gefährten im Gepäck mitreisen.

Halb arbeiten, halb tanzen – das ist die richtige Mischung.

Der Harvard-Psychologe Steven Pinker verdeutlicht in seinem Buch „Das unbeschriebene Blatt“, dass wir alle mit einer ziemlich klaren genetischen Prägung auf die Welt kommen. Auch unser bisheriges Leben ist alles andere als ein unbeschriebenes Blatt. Es ist beidseitig vollgeschrieben mit Verpflichtungen, ungelösten Problemen, unseren Glaubenssätzen und vielen dunklen Flecken. Wir haben eine Geschichte, selbst wenn uns diese nicht gefällt, wir können sie in eine bessere Richtung weiterschreiben, aber nicht von Anfang an löschen. Wo immer wir hingehen, wir nehmen uns mit. Wann immer wir versuchen, unser Leben neu zu gestalten, ohne auf das Vorhandene Rücksicht zu nehmen, wird uns die Realität schneller und härter einholen, als uns lieb ist.

Das ist eine ähnliche Erfahrung wie jene, die Menschen machen, die zum Eheberater gehen, der dann sagt: „Sie müssen beide ganz von vorne anfangen.“ Das Problem ist, dass der Mann und die Frau nicht 20 Jahre mit Höhepunkten und Verletzungen einfach hinter sich lassen können. Sie haben eine gemeinsame Geschichte, die auseinanderzubrechen droht, deshalb sind sie ja beim Eheberater gelandet.

Kehren wir kurz in die Computerwelt zurück. Dort hat sich das Reset als deutlich wirkungsvoller erwiesen als der totale Neuanfang. Man identifiziert das Problem und beginnt mit der Überzeugung, dass die Welt nicht untergehen wird, daran zu arbeiten. Das ist ein Neustart innerhalb des Systems mit den vorhandenen Mitteln. Nun, da wir unser eigenes Leben ohnehin nicht verlassen können, es sei denn, wir begehen Selbstmord und schalten uns selbst für immer aus, erscheint das Reset auch für uns Menschen hilfreich, um unserem Leben eine neue Richtung zu geben.

Denn gegenüber einem Computer haben wir den Vorteil, dass unser Gehirn nicht dafür geschaffen ist, Regeln und Algorithmen möglichst effizient zu erfüllen. Grade unsere Fähigkeit zum Irrtum und zur Ungenauigkeit macht uns dem Computer (noch) überlegen. Unser Gehirn bleibt immer dynamisch in Schwebe, verknüpft Bekanntes mit neuen Elementen, daher entstehen bei einem Reset-Prozess oft kreative Lösungen. Renovieren wir daher lieber unser Leben, statt gleich das ganze Haus abzureißen, um es dann auf der grünen Wiese genau nach unseren aktuellen Wünschen neu zu bauen. Das hört sich nach harter Arbeit an, und das ist es auch.

Warum das Leben keine Reise, sondern ein Musikstück ist

Wie können wir mit deutlich weniger Anstrengung mehr erreichen? Indem wir uns auf das konzentrieren, was wir gerne tun und gut können. Für den Philosophen Alan Watts ist das Leben vor allem ein Spiel. „Je sicherer und je deutlicher man die Zukunft sieht, desto mehr kann man sagen, dass man sie bereits hinter sich hat. Wenn der Ausgang eines Spiels sicher ist, dann möchten wir gar nicht mehr weiterspielen, sondern fangen ein neues Spiel an.“

Unser Leben gleiche daher nicht einer Reise, sondern sei viel eher wie Musik zu verstehen. Haben Sie schon einmal ein kleines Kind gefragt, warum es tanzt oder singt? Es wird Sie fassungslos anschauen.

Die Idee, Tanz oder Musik als pure Freude zu verstehen, wird uns leider oft in der Schule ausgetrieben. Es geht um Anpassung und gute Noten, nicht um Spiel und Kreativität. Dabei entspricht Tanzen eher dem Charakter unseres Lebens.

Sind wir im Tanz des Lebens aus dem Takt geraten, geht es oft darum, uns durch Training so lange zu verbessern, bis wir wieder den Takt finden. Dann spüren wir erneut den Flow in unserem Leben, und die Tanzschritte, die wir uns davor angestrengt vorgesagt haben, fließen auf einmal wie von selbst. Wir tanzen nicht, um an ein Ziel zu kommen oder Beifall zu erheischen, sondern weil es uns pure Freude macht.

Die Psychiaterin und Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross hat das am Ende ihres Lebens erkannt: „In der Schweiz wurde ich nach dem Grundsatz erzogen: arbeiten, arbeiten, arbeiten. Du bist nur ein wertvoller Mensch, wenn du arbeitest. Das ist grundfalsch. Halb arbeiten, halb tanzen. Das ist die richtige Mischung! Ich selbst habe zu wenig getanzt und zu wenig gespielt.“

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Andreas Salcher "Unsere neue beste Freundin, die Zukunft - Was die Jungen wissen und wir noch nicht" Das Buch hier beziehen

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Der Essay ist aus trend.PREMIUM vom 8. März 2024.
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