Steffi Bärmann forscht zu KI-Einsatz im HR-Development
©feel image/Felicitas MaternDer Einzug künstlicher Intelligenz im sensiblen Personalbereich schreitet voran. Expertin Steffi Bärmann forscht auf diesem Feld und spricht sowohl Chancen als auch sich daraus ergebende Problemfelder an.
Entscheidet bald künstliche Intelligenz, ob Jobbewerber überhaupt zu einem persönlichen Gespräch eingeladen werden? Gar darüber, wer letztlich aufgenommen wird, welchen Karrierepfad einschlagen kann und welche Qualifizierungsschritte er absolvieren soll? Wer konzernweit an welchem Standort zum Einsatz kommt? Und legt KI in weiterer Folge dann vielleicht auch noch die Höhe von Gehalt, Prämien und Boni fest? Gegebenenfalls auch, wer auf die Kündigungsliste zu setzen ist, nach Firmenfusionen vielleicht gar als Schiedsrichter im Head-to-Head-Vergleich der aktuellen Positionsinhaber?
KI könnte das. Noch nicht alles aus einem Guss und in einem System und auch keineswegs ohne Fehler und Hoppalas, wie Expertin Steffi Bärmann im Interview berichtet. Die Entwicklung läuft darauf hinaus, dass Algorithmen HR-Arbeit vom Erstellen von Stellenanzeigen, Sourcing potenzieller Kandidaten, Bewerberauswahl, Kommunikation im Bewerbungsprozess, Jobinterview- Vorbereitung, Onboarding, Qualifizierung und Mitarbeiterentwicklung bis Personal-Administration massiv verändern. Das war auch Thema am HR Inside Summit in der Wiener Hofburg, mit 2.000 Gästen größter Treffpunkt der HR-Branche im deutschen Sprachraum, wo Bärmann zu "Trust in AI" sprach.
Sie thematisieren den Aufbau von Vertrauen in künstliche Intelligenz. Was ist das eigentlich, verglichen mit Vertrauen, das man einer Führungskraft entgegenbringt?
Bei zwischenmenschlichem Vertrauen geht es um die Beziehung zu anderen, etwa dass ich mich verletzlich zeigen kann - im Vertrauen, dass es nicht zu meinem Nachteil ausgenutzt wird, weil da jemand für mich einstehen kann, will und wird. Im Hinblick auf eine Führungskraft ist das der Erfahrungswert von Mitarbeitenden, dass die Person in der Lage ist, die spezifischen Aufgaben zu erledigen, mir wohlgesonnen ist, nach meinen Bedürfnissen fragen wird und wir gemeinsame Werte haben. Es gibt Zyklen: Vertrauen kann verletzt und wieder aufgebaut werden. Vertrauen in eine Maschine kommt aus der Technik, erste Forschungen dazu aus dem Militär, und es geht darum, dass eine Maschine, ein System, das tut, was man will. Bezogen auf KI in einer Organisation heißt das, fair zu sein, niemanden zu diskriminieren, transparent, dass also Prozesse dahinter erklärbar und nachvollziehbar sind, dokumentiert werden und von Dritten kontrolliert und bewertet werden können. Dazu kommt ganz zentral Sicherheit und Datenschutz.
Beim KI-Einsatz im HR-Bereich wären Personalisten gefordert, das zu bewerten, bevor sie Systeme einsetzen, die mit Daten von Mitarbeitern oder Bewerbern arbeiten.
HR-Abteilungen müssen sich damit vertraut machen und bewerten können, ob eine Software oder ein System in diesem Sinne vertrauenswürdig ist. In der Praxis werden Führungskräfte und HR-Experten bei der Entwicklung und Einführung zusammenarbeiten, unter Einbindung von Ansprechpersonen für Mitarbeiter, Ethikräten, und auch Betriebsräte werden mitsprechen. Jedenfalls ist es für HR notwendig, sich mit KI im Personalbereich zu beschäftigen. Auch in kleineren Unternehmen. Großunternehmen testen gerade sehr viel, machen Schleifen mit Piloten, können auch ihre eigenen Algorithmen schreiben. Irgendwann ist es soweit, dass Systeme auch von KMU gekauft und adaptiert werden können. Das bringt eine neue Rolle für das Personalmanagement mit sich. Mit KI-Projekten und KI-Einsatz kommt man mitten ins Change Management. Da ist viel Verantwortung dahinter.
Was weiß man eigentlich zum Stand von KI-Einsatz in Unternehmen, über Zielsetzungen und weitergehenden Intentionen?
Ursprünglich wollte ich zur Veränderung der Personalentwicklung durch Digitalisierung forschen, weil ich ja Personalentwicklerin bin. Es hat sich schnell herausgestellt, dass speziell die KI das Potenzial hat, alle Personalprozesse zu verändern und letztlich zu verbinden. Mittlerweile kann KI in allen Prozessen eingesetzt werden, und es gibt Anbieter, die schon sehr umfassende Systeme mit vielen integrierten Schritten offerieren. Zu den Prozessen, wo KI am liebsten eingesetzt wird, zählt natürlich Recruiting. Zum Beispiel von einer internationalen Hotelkette, die weltweit pro Tag 40.000 Bewerbungen erhält. Um diese Datenmasse überhaupt zu erfassen und auszuwerten, verwenden sie Algorithmen. Man bewirbt sich dort über die Website, gibt Daten und Lebenslauf ein, bekommt auch gleich eine Rückmeldung, wenn noch etwas fehlt.
Also Effizienzsteigerung. Aber wie verlässlich sind die Ergebnisse?
KI-Einsatz bringt beiden Seiten Nutzen. Von Bewerberseite hört man oft Klagen über langes Warten auf Rückmeldungen, oder dass man gar nichts mehr hört. Von der Recruitingseite geht es natürlich um schnelle Bearbeitung. Und ein Mensch, der händisch durch Bewerbungen am Computer scrollt, macht bei der Auswahl ja auch Fehler. So kann sich Recruiting auf Prüfung und Plausibilitätscheck der Auswahl durch den Algorithmus fokussieren. Mit fehlerhaften Algorithmen kann das nämlich schieflaufen wie bei Amazon, wo Frauen diskriminiert wurden, weil wahrscheinlich ein Algorithmus die bestehende Personalstruktur zum Maßstab genommen und diese noch verstärkt hat: Weil mehr Männer da waren, wurden mehr Männer ausgewählt und Bewerbernamen, die weiblich klangen, eher aussortiert. Wenn man Ergebnisse nicht prüft, können solche Dinge rauskommen. Unternehmen lassen sich ungern in die Karten schauen, wie es bei ihnen läuft. Wichtig ist, dass Ergebnisse verifiziert werden und die Entscheidung bei Menschen bleibt.
Auch damit KI durch Rückmeldung lernt und besser wird?
Eine KI kann niemals schuld sein. KI weiß nicht, was gut und böse, was richtig und falsch ist, sondern macht, was man ihr sagt. Dafür muss man das, wie wir leben, in Daten übersetzen, und dabei können Fehler passieren. Hört sich easy an, aber den "Lebenszyklus" von Mitarbeitenden in Daten für KI zu übersetzen, ist superkomplex. Das muss KI auch erst lernen.
Welche Prozesse stehen da gerade im Fokus?
Der nächste Schritt ist wohl, das Lernen abzubilden, also Talentmanagement. Fachkräftemangel am Markt bringt Unternehmen dazu, ihre Leute weiterzuentwickeln. Große Unternehmen haben einen Riesenpool an Mitarbeitenden, die sie theoretisch rund um die Welt einsetzen könnten. KI kann dazu aus einem großen Überblick heraus Vorschläge machen, aber auch ganz kleinteilige Online-Lernanwendungen und wirklich personalisiertes Lernen für jeden einzelnen anbieten. Etwa: Du bist wohl ein auditiver Lerntyp, hör dir das an. Oder: Du scheinst gerne zu lesen, lies doch das mal. Dieses operative Lernen kann man in Lerntools schon konkret operativ einsetzen, und davon wird es in Zukunft noch viel mehr geben.
Aus Mitarbeitersicht würde ich das ambivalent sehen, oder?
Eigentlich ist es total cool, wenn man auf Basis vorhandener Skills und Entwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen weitere Future Skills vermittelt bekommt. Solange es funktioniert und mir angeboten wird, was ich lernen kann, sage ich: toll. Und wenn es mit der Position in dem Unternehmen nichts wird, gehe ich eben zum nächsten. Wenn es Fehler produziert im Sinne, dass ich schlechtere Positionen zugewiesen bekomme oder es mit Zwang verbunden ist, wird es problematisch.
Wieder eine Frage des Vertrauens? Oder ein Fall für Verbote, wie ja auch diskutiert wird?
Vielleicht muss man das Ganze größer denken, nicht nur auf HR bezogen: Was wollen wir für unser Leben von und mit KI? Lernen und Entwickeln ist auch eine ethische Frage und hat mit Philosophie zu tun. Am Anfang einer Entwicklung ist vieles nicht vorauszusehen, es kann natürlich immer auch Negatives dabei sein, aber ebenso wenig vorhersehbar wie Stau und Smog durch die Entwicklung des Autos. Verbote würden nichts bringen, denn KI ist nun einmal da. Es wird im AI Act der EU Regelungen geben, und da wird HR als ein sensibler Bereich mit hohen Transparenzerfordernissen gelten.
KI hat also das Potenzial, persönliches Wachstum und Lernen zu fördern, Effizienz-und Kontroll-oder gar Selektionsinstrument zu sein?
Es hängt von der Gesellschaft ab, wohin wir uns bewegen. Ich höre häufig, wie gut und notwendig KI sein wird, um Fachkräftemangel zu umschiffen. Andererseits gab es im Sommer die Meldung von IBM, weltweit bis zu 8.000 Personalmanager in den nächsten Jahren nicht mehr nachzubesetzen, weil KI das machen kann.
Zur Person
Steckbrief
Steffi Bärmann
Steffi Bärmann studierte nach ihrer Sportkarriere (Handball-Weltmeisterin, Deutschland) an der WU Wien, war lange selbstständig im internationalen Businesscoaching tätig und ist seit 2016 Academic Expert & Lecturer an der Fachhochschule Wien der WKW im Bereich Personalentwicklung, Training und Coaching. Sie forscht aktuell in den Bereichen "Trust in AI" und KI-Einsatz im HR Development sowie im gesamten Personalbereich.
Das Interview ist in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 27.10. 2023 erschienen.