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Wer fürchtet sich vor Hochbegabten? [Essay von Andreas Salcher]

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Andreas Salcher, Bildungsexperte, Autor und Unternehmensberater

Andreas Salcher, Bildungsexperte, Bestsellerautor, Unternehmensberater und regelmäßiger trend-Autor.

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Es ist unbestritten, dass manche Menschen über außergewöhnliche sportliche oder künstlerische Veranlagungen verfügen, die dann in Fußballakademien, Skigymnasien oder Musikschulen gefördert werden. Genauso gibt es kognitive Hochbegabung, der aber in Österreich oft große Skepsis entgegenschlägt. Gedanken zum 25-jährigen Jubiläum der Sir Karl Popper Schule.

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Wessen wir am meisten im Leben bedürfen, ist jemand, der uns dazu bringt, das zu tun, wozu wir fähig sind.

Ralph Waldo EmersonPhilosoph

Die aktuelle Studie „Bildung in Zahlen“ der Statistik Austria beweist einmal mehr, dass unser Schulsystem bei den Ausgaben 50 Prozent über dem OECD-Schnitt liegt, bei den Ergebnissen dafür bestenfalls mittelmäßig ist. Oft wird übersehen, dass wir nicht nur bei der Chancengerechtigkeit für die Bildungsfernen, sondern auch bei den Spitzenschülern im internationalen Vergleich deutlich hinter den Besten liegen.

Die Sir Karl Popper Schule ist nach 25 Jahren noch immer ein Schulversuch, dessen pädagogisches Modell trotz nachweisbarem Erfolg nicht ins Regelschulsystem übernommen wurde. Sie ist nach wie vor die einzige derartige Schule in Österreich. Das ist nur eines von vielen Beispielen für den desinteressierten Umgang mit kognitiv besonders begabten jungen Menschen in unserem Land. Sobald aber ein Österreicher einen Nobelpreis gewinnt, schreit das ganze Land „Wir sind Nobelpreis“.

Schon bei der Gründung der Popper-Schule vor über 25 Jahren schlug ihr heftiger Widerstand entgegen. Sie wurde von einem der damals bekanntesten Bildungswissenschaftler im „Standard“ als „Sonderschule für Schwerstbegabte“ etikettiert, die spätestens nach drei Jahren scheitern würde.

Mit heftigem Gegenwind musste auch die Idee von Anton Zeilinger kämpfen, ein Institut für Spitzenforschung in Österreich zu schaffen. Heute, 15 Jahre danach, rangiert das Institute of Science and Technology Austria (ISTA) dem „Nature Index“ nach unter den Top Ten der 30 besten Institute, die jünger als 30 Jahre sind.

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Das Wiedner Gymnasium, die Sir Karl Popper Schule, ist Österreichs einzige Schule für Hochbegabte Kinder. Jedes Jahr werden nur 48 Schüler:innen aufgenommen.

Setzen sich Hochbegabte nicht ohnehin im Leben durch?

Zu überraschenden Ergebnissen kommt eine Studie im Auftrag des Bildungsministeriums, die der Frage nachgeht, unter welchen Bedingungen es hochbegabten Menschen möglich ist, ihr Potenzial im Erwachsenenleben so umzusetzen, so dass sie ihre Existenz als sinnvoll erfahren. Dabei wurden zwei Gruppen verglichen.

Die erste Gruppe von Hochbegabten zeichnete sich durch kontinuierlich herausragende Leistungen in Schule und Universität aus und wurde dafür mit der „Promotio sub auspiciis Praesidentis rei publicae“ geehrt. Diese Gruppe wies ein sehr hohes Sinnerleben und Wohlgefühl in ihrem Leben auf. Deren Vertretern war es offenbar bestens gelungen, ihre Fähigkeiten und Stärken umzusetzen.

Die zweite Gruppe bestand aus Personen, die Mitglied des Hochbegabtenvereins MENSA waren, wofür ein nachgewiesener IQ von mindestens 130 notwendig ist. Sie empfanden im Vergleich zur ersten Gruppe eine geringe Sinnerfüllung, ein niedriges Wohlbefinden, und ihr Leben war durch viele Sinnkrisen gezeichnet.

Die Studie konnte folgende Ursachen für die Unterschiede aufdecken: Die Mensaner gaben mehrheitlich an, dass ihre Fähigkeiten während der Schulzeit nicht anerkannt oder gefördert wurden. Zudem fühlten sie sich oft unterfordert. Als besonders gefährlich erwies sich die Verbindung von hoher Intelligenz mit geringer Selbstannahme. Wer sich Fehler nur schwer verzieh und wenig „Selbstmitgefühl“ aufwies, erfuhr das eigene Leben meist als sinnlos.

Das Wichtigste: Schüler und Lehrer gehen gerne in die Popper-Schule. In Zeiten, in denen von der
Vier-Tage-Woche geschwärmt wird, gibt es dort eine
Sechs-Tage-Woche.

Die ebenfalls tragische Variante der mangelnden Förderung von Hochbegabten liegt in den sogenannten „hochbegabten Schulversagern“. Hochbegabte Kinder machen oft schon früh die Erfahrung, dass sie durch ihr ständiges Fragen sowie durch die im Vergleich zu Normalbegabten schnellere Auffassungsgabe weder von ihren Lehrern noch von ihren Kollegen soziale Wertschätzung beziehen, sondern als Besserwisser und Streber gebrandmarkt werden.

Sie reagieren auf dieses von ihnen wahrgenommene „Anders-Sein“ oft mit einer bewussten Flucht in die Leistungsvermeidung. Da für Kinder die Anerkennung in ihrer Peergruppe ganz entscheidend ist, reduzieren solche Schüler oft absichtlich ihre Leistungen, im schlimmsten Fall sogar bis zum Durchfallen, nur um sozial akzeptiert zu werden.

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Der 1994 verstorbene Sir Karl Popper, Namensgeber der Hochbegabten-Schule, war ein österreichisch-britischer Philosoph. Mit seinen Arbeiten zur Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, zur Sozial- und Geschichtsphilosophie sowie zur politischen Philosophie begründete er den Kritischen Rationalismus.

© Imago/UPPA/Photoshot

Die Zauberformel: Begabte Lehrer treffen auf begabte Schüler

Im August 1993 besuchte ich gemeinsam mit dem damaligen Wiener ÖVP-Obmann Bernhard Görg den Philosophen Sir Karl Popper in seinem Haus in London, um ihn als Schirmherrn für unsere geplante Schule zu gewinnen. Wir erkannten schnell, dass Popper, der als wichtigster Philosoph der deutschen Sozialdemokratie galt, unserer Idee einer Hochbegabtenschule mit Skepsis begegnete. Erst als Görg darauf hinwies, dass wir nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer nach ihrer besonderen pädagogischen Begabung auswählen würden, war Popper sofort begeistert. Denn die Qualität der Lehrer war für ihn der Schlüsselfaktor für den Erfolg jeder Schule.

Darauf hat Karl Popper in einer frühen Publikation hingewiesen: „Im Gegensatz zur Praxis der Schulreformer habe ich aber den Theorien der Schulreform immer misstraut und bin ihnen kritisch gegenübergestanden. Ich habe damals (Anm. gemeint ist 1925–1927) darüber nachgedacht, was das Wichtigste an der Schulreform wäre. Indem ich über meine eigenen Erfahrungen als junger Lehrer an schlechten Schulen nachgedacht habe, bin ich draufgekommen, dass es das Wichtigste ist, schlechten Lehrern in der Schule die Möglichkeit zu schaffen, die Schule zu verlassen. Ich habe gesehen, dass nur Menschen, die eine gewisse Begabung haben – es ist keine eigentlich intellektuelle Begabung, es ist eine innere Beziehung zu Kindern –, gute Lehrer sein können.“

Was gute Schulen besser machen

Das Wichtigste, das die Sir Karl Popper Schule von vielen anderen Schulen unterscheidet, ist, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler vom ersten Tag an dabei unterstützt, herauszufinden, worin sie wirklich gut sind. Die Einführung des Maturagegenstands „Kommunikation und Sozialkompetenz“ ist ein zentrales Element für den Erfolg jener Schule. Dieses von den Schülern „KoSo“ genannte Fach trägt zum Aufbau von wertschätzenden Beziehungen zwischen Schülern und Lehrern entscheidend bei. Denn diese fallen nicht vom Himmel, sondern sind das Ergebnis von harter Arbeit am Selbstbild, der Reflexions- und Kommunikationsfähigkeit von Schülern und Lehrern.

Die Philosophie von Popper basiert auf dem Trial-and-Error-Prinzip. Das bedeutet für Lehrer, die zumeist Schüler unterrichten, die intelligenter sind als sie selbst, eben auch, Fehler und Nichtwissen offen einzugestehen. Pädagogische Konzepte werden erprobt, und wenn sie nicht funktionieren, durch bessere ersetzt. Das Wichtigste: Schüler und Lehrer gehen gerne in die Popper-Schule. In Zeiten, in denen von der Vier-Tage-Woche geschwärmt wird, gibt es dort als eine der ganz wenigen in Österreich ein Sechs-Tage-Woche.

Leider ist die Sir Karl Popper Schule noch immer die einzige derartige Schule in Österreich. Dabei könnten 80 Prozent der hier erprobten pädagogischen Konzepte an jeder öffentlichen AHS, BHS oder Mittelschule umgesetzt werden. Denn alle Schüler und Schülerinnen haben ein Recht auf einen Gegenstand „Kommunikation und Sozialkompetenz“, einen persönlichen Coach, auf selbstbestimmtes Lernen in Lern-Labs, auf individuelle Lernziele zusätzlich zum Zeugnis und vor allem auf exzellente Pädagoginnen und Pädagogen.

Das bedeutet leidenschaftliches und hartnäckiges Engagement über lange Zeiträume, wie das die Popper-Schule seit 25 Jahren beweist. Dann könnten auch die Stufen zu einer visionären Reform überwunden werden, die der Science-Fiction-Autor und Physiker Arthur C. Clarke so treffend beschreibt:

„Jede revolutionäre Idee scheint drei Reaktionsstufen hervorzurufen. Sie können in drei Sätzen zusammengefasst werden:

  1. Es ist völlig unmöglich.

  2. Es ist möglich, aber es lohnt sich nicht.

  3. Ich habe die ganze Zeit gesagt, dass es eine gute Idee war.“

Der Essay ist der trend. edition+ vom Juni 2024 entnommen.
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