Die Wiener Künstlerlegende Arik Brauer ist im Alter von 92 Jahren gestorben.
©Ingo PertramerArik Brauer, der als Phantastischer Realist Kunstgeschichte geschrieben und mit seinen Songs den Austropop mitbegründet hat, ist im Alter von 92 Jahren gestorben. Zu seinem 90. Geburtstag am 4. Jänner 2019 hatte ihn trend-Kulturchefin Michaela Knapp zum Gespräch getroffen und mit ihm über sein Lebenswerk gesprochen. Das Interview zur Nachlese.
Der Künstler Arik Brauer ist tot. Brauer wurde 1929 in Wien-Ottakring als Sohn eines jüdischen Schuhmachers aus Litauen geboren. Sein Vater wurde während der NS-Zeit ermordet, er selbst überlebte in einem Versteck. Nach dem Krieg studierte Brauer an der Akademie der bildenden Künste in Wien, wo er bis 1997 auch Professor war. Zwischen 1951 und 1954 reiste er mit dem Fahrrad durch Europa und Afrika. Von 1956 bis 1964 lebte Brauer mit seiner Frau in Paris, wo die beiden auch als Gesangsduo auftraten.
Brauer wurde als Maler, Grafiker und Sänger bekannt. Er gilt als Mitbegründer und Hauptvertreter der Wiener Schule des Phantastischen Realismus und mit seinen politischen Mundartsongs ("Sie hab'n a Haus baut", "Hinter meiner, vorder meiner") auch als einer der Väter des Austropop. Brauer hinterlässt drei Töchter.
„Es geht immer um die Qualität, es muss eine außerordentliche Leistung sein. Dann hört sich auch die Diskussion auf, ob etwas zeitgemäß ist oder nicht“, war sein Credo. Über 2.000 Bilder hat Arik Brauer in seinem Leben gemalt und fast alle verkauft, wie er in einem umfassenden Gespräch über Kunst und Leben erzählte, zu dem er den trend anlässlich seines 90. Geburtstages in seiner Villa empfing, wo sich auch Atelier und Museum befinden. Höchst agil, humorvoll und mit einnehmenden Enthusiasmus verkündete er da: „Ich werde bis an mein Lebensende malen."
Am Sonntag, dem 24. Jänner 2021 ist Arik Brauer kurz nach seinem 92. Geburtstag im Kreis seiner Familie verstorben. Was bleibt ist sein reichhaltiges Schaffen und die Erinnerung an die Kraft und den unbändigen Optimismus seiner Künstlerpersönlichkeit.
Interview: "Man malt nicht so. Wo samma denn?"
Anlässlich des 90. Geburtstags des Künstlers am 4. Jänner 2019 traf trend-Kulturchefin Michaela Knapp Brauer zum Interview. Sie finden das Gespräch in der Folge zur Nachlese.
trend: Sie feiern am 4. Jänner 2019 Ihren 90. Geburtstag. Mit welchen Gefühlen gehen Sie dem entgegen?
Arik Brauer: Der Geburtstag an sich hat keine Bedeutung. Das Leben geht ja nicht nach Geburtstagen, sondern nach Stufen, die im Alter nach unten gehen. Es wird alles ein bisschen schwächer. Ich empfinde das Alter als ein sukzessives Verschwinden von Dingen, die wichtig waren.
Älter werden heißt auch, sich selbst immer mehr auf die Schliche zu kommen. Was wäre das bei Ihnen?
Bei mir betrifft das nur die Malerei. Ich habe ein ausgewogenes und wunderbares Privatleben und ich habe einen ausgewogenen, angenehmen Freundeskreis. Im Leben entsteht ja so ein soziales Imperium, das dann wieder langsam zerbröckelt. Aber ich habe in meiner Jugend viele Dinge in der Malerei zu schnell gemacht. Wenn eine Karriere entsteht, bezahlt man innerliches Lehrgeld. Gott sei Dank bemerkt man die künstlerisch schlechte Zeit nur selber.
Arnulf Rainer betont in seinen Interviews gerne, dass Malen eine einsame Arbeit ist ...
An der Staffelei sitzen ist ein einsames Geschäft. Aber ich habe das Atelier hier im Haus integriert, war immer im Kreis meiner Familie. Meine Frau ist ein Teil von mir.
Auch Muse?
Sicher. Ich kann mir ein Leben ohne Naomi gar nicht vorstellen. Wir sind seit 65 Jahren zusammen.
Haben Sie Angst, schlechte Bilder zu hinterlassen?
Natürlich kenne ich die Angst, dass nicht alles gut ist, was überbleibt. Ich habe gerade in den letzten Jahren sehr viele frühe Bilder hergenommen und überarbeitet. Das tut gut. Es geht ja darum, dass man seinen eigenen Plafond erreicht. Aber bis dorthin zu kommen, passiert nicht von allein. Das will errungen werden.
Hat der Großteil Ihres Frühwerks Bestand für Sie?
Nein. Die Kinderzeichnungen ja, die Jugendwerke auch, die erste Ölmalerei an der Akademie zeigt mich aber als Suchenden. Die meisten Maler wissen ja nicht, was sie wirklich wollen. Man kann sich ja nicht von vornherein an dem orientieren, wovon man glaubt, dass man Erfolg damit haben wird.
Sie haben bis 1997 auch als Professor an der Akademie unterrichtet. Wie beurteilen Sie die junge Generation? Da haben manche schon ein Marketingkonzept, bevor sie ein eigenständiges Werk haben. Wären Sie bei dem heute hyperventilierenden Markt gerne wieder jung? Und würden Sie etwas anders machen?
Ich würde nichts anders machen und ich hätte auch gar nicht die Begabung, dass ich mich auf so eine Weise lanciere. Das hat mich nie interessiert. Ich habe nie auf den Ruhm, den ich jetzt habe, hingearbeitet. Als ich in Frankreich mit meiner Malerei meine Familie ernähren konnte, hat mir das genügt. Aber natürlich freut sich jeder Künstler über Anerkennung und Präsenz. Manche Preise am Markt sind heute allerdings fast obszön. Das mündet aber in eine Diskussion zur Entwicklung der bildenden Kunst, die sich durch die Fotografie aufgelöst hat in ihrer Sinnhaftigkeit. Dieses Zerfleddern der bildenden Kunst spiegelt sich natürlich in der absoluten Hilflosigkeit bei den Jungen. Der letzte neue Schub war die abstrakte Malerei, die auch nicht wirklich neu war. Ich war zu dieser Zeit in Paris. Die revolutionäre Allüre hat mir gefallen, aber ich wusste, das ist nichts für mich. Ich wusste immer, ich muss erzählerisch malen, sonst bin ich nicht glücklich.
Mittlerweile gibt es ja Kunst, die im Diskurs eine Rolle spielt, und solche, die am Markt relevant ist.
Unter der Parole "Erweiterung des Kunstbegriffes" wurde dieser auch weiter gefasst. Aber wenn man einen Begriff endlos erweitert, hört er auf, ein Begriff zu sein. Irgendwann ist ein Tisch kein Tisch mehr. Das Problem der sogenannten Moderne ist, dass es nur um das Konzept geht. Es geht um eine intellektuelle Leistung, kein Endresultat. Die meisten dieser Dinge haben mit Kunst nichts zu tun. Man redet da viel Kunstchinesisch. Ein begabter Mensch kann natürlich mit allem Kunst machen. Mit Steinen wie Fetzen. Der Beschauer wird sehen: Der ist begabt. Aber die Begabungen waren immer dünn gesät. Wenn wirklich jeder so begabt wäre, dann müsste man das Wort Kunst ja nicht verwenden. In der Akademie gehen jedes Jahr zig Diplomanden ab, nach Jahren bleibt einer davon, der davon leben kann.
Vielleicht hat sich auch der Karrierebegriff junger Künstler verändert ...
Als ich an der Akademie Student war, haben wir nur über Weiber oder Kunst geredet. Alles andere war unwichtig. Ich erinnere mich noch, wie dem Alfred Hrdlicka immer die Adern rausgekommen sind, wenn er über Kunst gestritten hat. Das habe ich später als Professor sehr vermisst. Da haben alle so entspannt dahingetan, die Malerei wurde unwichtiger.
Was muss gute Kunst können?
Es geht immer um die Qualität, es muss eine außerordentliche Leistung sein. Dann hört sich auch die Diskussion auf, ob etwas zeitgemäß ist oder nicht.
Sie haben als Erfinder der Wiener Schule des Phantastischen Realismus Kunstgeschichte geschrieben. Anders als der Wiener Aktionismus hat dieser aber keinen weltweiten Siegeszug angetreten.
Der Aktionismus kam von außen und sehr spät nach Wien, wo er dann eine besonders aggressive Form angenommen hat. Beim Phantastischen Realismus war es umgekehrt: Den hat es nirgendwo gegeben, der ist nach dem Surrealismus wie eine letzte Rose erblüht. Aber als Erfinder würde ich mich nicht bezeichnen, vielmehr ist uns das einfach passiert. Wir waren eine Gruppe junger Studenten, die figurative, phantasievolle Malerei betrieben hat, und das in einer Zeit, wo das überhaupt nicht aktuell war. Hierzulande waren wir mit unserer altmeisterlichen Technik verpönt. Aber wir haben international ausgestellt, der Fuchs, der Hundertwasser und ich. Wir haben alle unsere Villen nicht geerbt, sondern ermalt. Ich habe über 2.000 Bilder in meinem Leben gemalt und fast alle verkauft. In Japan hat man uns den roten Teppich ausgerollt, in Amerika als Kuriosum bewundert. Ich habe zwar Amerika nicht erobert, aber die Ex-Europäer dort waren immer froh, dass sie was aus der Heimat sehen. Ich habe diese Villa mit Dollars gekauft, nicht mit Schillingen.
Wer sind heute Ihre Sammler?
Es gibt große Sammler, die so viel innere Sicherheit haben und Phantastischen Realismus sammeln und dafür ziemlich hohe Summen auslegen. Normalerweise sammelt das heute keiner, weil die meisten nach Liste kaufen und sich nach dem orientieren, was in den Museen angesagt und bei den Kunsterklärern en vogue ist.
Aktuell ist aber wieder eine Auseinandersetzung mit alten Techniken und Handwerk zu beobachten.
Durchaus. Eine Ausstellung, wie ich sie zu meinem 85er im Leopold Museum hatte, wäre noch vor zehn Jahren nicht möglich gewesen. Da hätte es geheißen: "Man malt nicht so. Wo samma denn?"
Was reizt Sie noch, künstlerisch umzusetzen?
Ich werde sicher bis an mein Lebensende malen, solange ich nicht zittere und einigermaßen sehe. Ich mache natürlich auch immer dasselbe. Ich habe einen bestimmten Fächer an Themen und einen Strauß von Kompositionsmöglichkeiten, die ich erfunden habe. Und das variiere ich. Aber das hat der Mozart bei seinen Kompositionen auch so gemacht. Und das ist reich genug, dass ich daran nicht ermüde. Der Hundertwasser hat zu mir gesagt: "Du kannst deine Malerei ins Endlose betreiben, ich werd früher sterben müssen." Da war er 60. Mit 71 ist er gestorben. Auch sein Fächer war enorm attraktiv. Aber kleiner.
Neben Ihrer Bedeutung als Maler gelten Sie mit Ihren Mundart-Songs auch als "Vater des Austropop".
Ich sehe mich nur in einem gewissen Sinne als Mitbegründer. Ich habe diese Lieder ja in Paris geschrieben. Ich wollte nicht Popstar werden, sondern Texte schreiben zum damals in keinster Weise aufgearbeiteten Faschismus und habe mich schon sehr früh mit Umweltproblemen beschäftigt, da war das Wort Umwelt noch gar kein Begriff. Es waren Lieder mit einem Protestsongcharakter. Der Erfolg kam eher unerwartet, weil ich scheinbar zur richtigen Zeit das Richtige gemacht habe. Ermutigt dazu hat mich mein Freund H. C. Artmann, der mich damals oft in Paris besucht hat.
Komponieren und texten Sie immer noch?
Nein, das Malen ist mein Beruf und meine Berufung. Ich habe ja auch Gesang studiert, hatte eine Tenorstimme und hätte als Buffo arbeiten können, aber das hat mich nie gereizt. Ich habe das Singen als Gymnastikübung betrieben. Das ist interessanter und intensiver als Yoga.
Sie haben drei Töchter, zwei davon haben künstlerische Berufe. Timna steht als Sängerin auf der Bühne, Ruth als Schauspielerin und Sängerin.
Die dritte ist Kunsttherapeutin, aber privat malen auch alle auf ihre Art.
Ruth bringt nun einen Abend über Ihr Leben auf die Bühne. Was war Ihnen dabei wichtig?
Das hat sich in großer Harmonie ergeben, weil ich das komplett meinem kreativen Kind überlassen habe. Ich habe nur das Bühnenbild gemacht. Es wäre schlimm, wenn sie mich nur nachsingen würde: Denn macht sie das besser, wäre es schlecht für mich. Macht sie es schlechter, peinlich für sie. Also wird sie es ganz anders machen.
Sie haben zu einer revolutionären Zeit in Paris gelebt, wo die Aussage "Alles ist möglich" Verheißung bedeutet hat. Heute hat man Angst, wenn das wer verspricht. Wenn Sie heute die Linke betrachten, ist die Rebellion gescheitert?
Alle Revolutionen gehen zuerst einmal in die Hose. Aber die 68er-Revolution hat doch Enormes bewirkt. In den 1970er-Jahren hat sich ein anders Denken durchgesetzt. Es ging nicht um Rasse oder Klasse, sondern um die Hälfte der Menschheit, nämlich die Frauen. Seit die Menschen Besitz haben, wurden die Frauen unterdrückt. Ihr Kampf dagegen war das Thema des 20. Jahrhunderts und - #MeToo hin oder her - dauert immer noch an.
Das Ende der Vormachtstellung des alten weißen Mannes ...
Solche Veränderungen gehen in Wellen vor sich. Und jede Entwicklung tut jemandem weh, dem schwimmen dann die Felle davon und er fängt an zu zappeln. Das erleben wir gerade. Auch im Islam. Da geht es nicht um ein neues Aufleben des Islams, sondern darum, dass die Religion ihre Bedeutung verliert. Die Männer verlieren auch dort ihre Vormachtstellung und verteidigen das verzweifelt. Aber es gibt kein Zurück!
Woraus speist sich Ihr Optimismus, abseits jedes Wiener Suderantentums?
Ich mag diese ganze Raunzerei nicht: "Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer." Es stimmt natürlich, dass die Reichen immer reicher werden, aber die Armen sind so fett wie noch nie. Wer weiß denn heute hier, was wirklich Armut ist. Ich habe als Kind auf einer Matratze auf einer Kohlenkiste geschlafen und es war leiwand, weil ich nix anderes gekannt habe. Ich verstehe diese Wehleidigkeit nicht. Jede geringste Veränderung wird heute als Katastrophe angesehen. Es wird auch das Wort "Nazi" heute zu leicht verwendet. Wer den wirklichen Antisemitismus der Nazis, so wie ich, erlebt hat, der würde dieses Wort nicht so leichtfertig verwenden. Natürlich haben wir einen Rechtsruck im Vergleich zu den 68ern. Aber das ist harmlos und nicht wirklich gefährlich.
Dennoch haben Sie klar Stellung bezogen und zum durch Migration aus dem arabischen Raum importierten Antisemitismus gesagt: "Die Araber haben ein Problem mit den Juden und wir eines mit ihnen."
Ich habe erklärt, dass die Mehrheit der arabischen Muslime die Juden hassen. Sie fühlen sich vom Staat Israel gedemütigt. Ich nehme das aber gar nicht persönlich, die Menschen empfinden das so, sie wurden so erzogen, und vielleicht würde ich das an ihrer Stelle auch so sehen.
Sie haben ein Museum in Ihrem eigenen Haus, wurden heuer mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen der Republik Österreich ausgezeichnet, demnächst gibt es eine Show über Ihr Leben und drei Ausstellungen - welcher Wunsch bleibt da noch offen?
Ich lege größten Wert drauf, dass meine Prostata funktioniert.
Das Interview ist ursprünglich in der trend.PREMIUM-Ausgabe 50-52/2018 vom 14. Dezember 2018 erschienen.