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Clipping. luden beim donaufestival zur Party am Abgrund

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Daveed Diggs und seine Kollegen sorgten für ein Highlight
©APA/APA/donaufestival/David Visnjic
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Am Abgrund der Welt tanzen? Das ist möglich, wenn das US-Trio Clipping. auf der Bühne steht. Die Rapformation hat zuletzt zwei Alben mit Horrorcore-Tracks unter die Meute gebracht und Samstagabend beim Kremser donaufestival eindrucksvoll bewiesen, dass eine Party auch zu apokalyptischen Klängen möglich ist. Ziemlich konzeptuell wurde es hingegen bei der Norwegerin Jenny Hval, die die Performancekultur selbst zu dekonstruieren versuchte.

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Zehn Jahre sind vergangenen, seit Clipping. mit ihrem Debütalbum in Krems zu Gast waren. "Wir können uns noch gut an das Festival erinnern, ganz einfach weil das zu Beginn unserer Karriere einer unserer größten Auftritte war", rekapitulierte Jonathan Snipes im APA-Gespräch, um schmunzelnd nachzuwerfen: "Aber was wir gespielt haben, wie unser Set war? Keine Ahnung." Erinnerungswürdig wurde es jedenfalls diesmal: Zu kompakten, stark auf Schwarz-weiß-Kontraste setzenden Visuals wurde ganz einfach Stimmung gemacht, was neben den kantigen, oft im Noise angesiedelten Beats allen voran dank Daveed Diggs gelang.

Dieser hat nicht nur einen unglaublich präzisen und schnellen Rapstil, sondern zudem das nötige Charisma, was der "Hamilton"-erprobte Musiker mittlerweile verstärkt als Schauspieler zur Geltung bringt. Bei Clipping. geht es aber naturgemäß um das große Ganze, setzt die Band doch auf konzeptuelle Alben, die neben Horrorthemen schon mal in dystopische Sci-Fi-Welten ("Splendor & Misery") abdriften. Die Ideen dazu entstehen oft zufällig. "Meist beginnt es mit einem Track und der Frage: Steckt da mehr dahinter?", umriss es Diggs. "Danach läuft der Motor mit Enthusiasmus." Das galt auch für die Liveperformance, die zum Ende hin von Sharon Udoh alias Counterfeit Madison und ihrer großen Stimme veredelt wurde.

Mit Konzepten kennt sich auch Jenny Hval bestens aus: Die Sängerin hat für ihr neues Programm "I want to be a machine" Anleihen bei Heiner Müllers "Hamletmaschine" genommen und machte die Auftrittskultur selbst zum Thema. So wurden sie und ihre zwei Mitmusiker von Reiskocher und duftendem Luftbefeuchter flankiert, gab es eine Abhandlung über den Wunsch, ein Burger zu sein (diese durften während des Lockdowns immerhin von mehreren Menschen berührt werden), und wurde die Popbühne mit einer Toilette verglichen: Schnell rein, und runtergespült wird mit Applaus.

Das war zwar ansatzweise unterhaltsam, allerdings entwickelte die Mischung aus elektropoppigen Stücken, die wie beliebig dazwischen gewürfelt wirkten, und theatraler Performance nur wenig Sogwirkung. Was auch für Eve Staintons "Impact Driver" galt: Sechs Performerinnen und Performer mühten sich in einem von semitransparenten Folien umhüllten Stahlkonstrukt an ihren Werkbänken, fabrizierten dabei kantige S-Haken und verbanden schlussendlich nicht nur diese Gebilde, sondern verknoteten ihre Körper ineinander. Schweiß und Arbeitseifer im Kontext direkt erfahrbarer Physis, deren Auflösung leider im Nichts verpuffte.

Äußerst intensiv gelang hingegen das Set von Aimée Portioli alias Grand River am Nachmittag in der Minoritenkirche. Die holländisch-italienische Musikerin, die seit einigen Jahren ihren Lebensmittelpunkt in Berlin hat, ließ handgemachte und elektronische Soundflächen aufeinanderprallen, wobei ihr Pianist Andert Tysma zur Seite stand. So verschmolzen zwei Welten, die nur auf den ersten Blick getrennt erscheinen. Feine Melodiebögen wurden von mächtigem Dröhnen attackiert, während das rhythmische Fundament Schicht für Schicht aufgetragen wurde.

Besonders beim aktuellen Album "All Above" spielen akustische Instrumente eine größere Rolle. "Das schwebte mir schon lange vor, aber nach meinem Umzug nach Berlin hatte ich zunächst kein Klavier, kein Cello", erzählte Portioli im APA-Interview. "Und mich in ein Studio einmieten wollte ich nicht. Ich brauche meine Instrumente bei mir, muss mich wirklich zuhause fühlen können." Für ihre Kompositionen versucht die Musikerin, ihre Emotionen in Sound zu übersetzen. "Wenn das dann die Menschen erreicht, ist es immer spannend zu erkennen, dass jeder etwas völlig anderes hören kann."

Ganz im eigenen Sound aufgegangen schien wiederum Föllakzoid: Die Künstlerin tanzte zu später Stunde allen voran für sich selbst, wie es den Anschein machte, schenkte sich genüsslich Wein ein und bearbeitete zwischendurch die Gitarre, während ihre Rhythmusformation im Hintergrund den pumpenden Klangteppich bereitete. Wo sie eher Zeremonienmeisterin war, gab davor die Britin Gazelle Twin die leicht mystische Chanteuse, die im Fauteuil unter einer Wohnzimmerlampe sitzend schon mal wie eine Märchenerzählerin wirkte. Nur dass ihre Geschichten eben mit scharfen Elektronikklängen kontrastiert wurden. Insgesamt ein Tag, der viele Identitäten und Zustände offenbarte.

(Von Christoph Griessner/APA)

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