Wie spielt man eine Kunstfigur? Auf der spärlich ausgeleuchteten Bühne des Burgtheaters sind keine zwei Minuten vergangen, als sich Michael Maertens sein Leintuch vom Kopf reißt und den 20-köpfigen Gespensterchor genervt unterbricht. "Nicht so forciert", tadelt er die multiplen Geister von Hamlets Vater. Karin Henkel macht in ihrer "Hamlet"-Inszenierung zum Auftakt der ersten Saison von Intendant Stefan Bachmann gleich klar: Hier wird nicht nur gespielt, hier wird erarbeitet.
von
Auf dem Programm steht Shakespeares Klassiker, der namhaften Schauspielern seit jeher die große Bühne bietet. Nicht so in den folgenden zweidreiviertel Stunden, in der nicht weniger als fünf Akteurinnen und Akteure die Innenwelt des Dänenprinzen nach außen stülpen werden, ohne am Ende die ultimative Deutung präsentiert zu haben. Zuletzt war das Stück 2013 in einer sechsstündigen Inszenierung von Andrea Breth am Haus zu sehen, in der August Diehl die monologischen Textmassen allein bewältigte. Diesmal war Jens Harzer für die Inszenierung vorgesehen, er verließ die Produktion jedoch - aus persönlichen Gründen, wie es hieß - bereits im Frühsommer.
Elf Jahre nach August Diehl, der für seinen Hamlet mit einem Nestroy-Preis ausgezeichnet wurde, ist also alles anders: Nicht nur, dass die Deutsche Karin Henkel die Titelfigur auf insgesamt fünf Schauspielerinnen und Schauspieler aufgeteilt, zahlreiche Rollen eingespart und die politische Rahmenhandlung weitgehend ausgespart hat - sie macht auch den Akt des Inszenierens radikal transparent und lässt die Figuren ihre Aktionen hinterfragen und kommentieren. Kurzum: Als Erstkontakt mit dem Stoff ist dieser "Hamlet" nur bedingt geeignet. Lässt man sich jedoch auf den doppelten Boden ein, erlaubt man sich - so wie das Premierenpublikum - auch den einen oder anderen Lacher, erlebt man einen unkonventionellen Theaterabend voller Zauber.
Katrin Brack hat für diesen schwebenden Abend drei kreisrunde, schräg abfallende Plattformen geschaffen, über der Szenerie hängen dunkelbunte, flauschige Wolken. Während Maertens und die geborene Britin Kate Strong das schräge, frisch vermählte Königspaar abgeben, sind sie von verzweifelten Hamlets geradezu umzingelt: Während Katharina Lorenz ihren Dänenprinzen als depressiven, kraftlosen Trauernden gibt, setzt Tim Werths im schwarzen Muskelshirt auf von Testosteron getriebene Rache, die ganz im Kontrast zu dem leicht tollpatschigen, zögernden Zugang von Benny Claessens steht. Auch Marie-Luise Stockinger und der aus Köln ans Haus gekommene Alexander Angeletta schlüpfen immer wieder in die Hamlet-Rolle, überzeugen im Laufe des Abends jedoch vor allem als groteske Abziehbilder von Rosenkranz und Güldenstern, die in einer zum Schreien komischen Szene von Maertens und Strong als lebensgroße Handpuppen bewegt werden.
Und Ophelia? Die darf in seidenem Gewand und roter Langhaarperücke vor allem genervt hübsch aussehen (auch sie wird von Stockinger, Claessens und Angeletta verkörpert): Die passive Rolle, die ihr Shakespeare einst aufgezwungen hat, wird in diesen kurzen Szenen durch Übersteigerung heftiger Kritik ausgesetzt. So viel rebellische Passivität bringt ihren verhuschten Vater Polonius (Claessens) schließlich zur Verzweiflung. Hier ist eine Jugend am Werk, die kein klares Ziel vor Augen hat und die Welt der Erwachsenen ablehnt, ohne wirklich zu wissen, wie sie es besser machen soll.
Doch so rasant und in sich schlüssig Henkel diesen "Hamlet" in den ersten 90 Minuten vor der Pause in Szene setzt, so sehr zerfällt das Konzept in der zweiten, kürzeren Hälfte des Abends, in der der immer wahnsinniger werdende Hamlet auf dem Weg nach England kurzerhand vom Schiff gestoßen werden soll, dann aber doch zurückkommt, um den Mord am Vatermörder Claudius zu erledigen, was aber doch eine größere Herausforderung zu sein scheint, als gedacht.
"Hamlet, das ist eine Rolle für einen Schauspieler, der zerspringt vor Energie", heißt es an einer Stelle kraftlos. Oder, wie es Kate Strong formuliert: "He is sick and tired of the Männlichkeitsklischee". Wer dann wirklich durch wessen Hand zu Tode kommt und was das alles für Hamlet bedeutet, verschwimmt im letzten Drittel des Abends zusehens. Hier hätten ein paar weitere Probentage sicher nicht geschadet. Am Ende dankte das Publikum aber mit lang anhaltendem Applaus für einen Abend, der ausgetretene Pfade hinter sich lässt und vor allem darauf setzt, den mannigfachen Facetten von Hamlets psychischer Verfasstheit auf die Spur zu kommen. Ein Saisonauftakt, der auf weitere mutige Zugriffe hoffen lässt.
Weiter geht es bereits am Samstag, wenn Bachmann seine Kölner Inszenierung von "Johann Holtrop" nach Rainald Goetz in Wien präsentiert, bevor am Sonntag die Schwedin Therese Willstedt mit Virginia Woolfs "Orlando" die Spielzeit im Akademietheater eröffnet.
(Von Sonja Harter/APA)
(S E R V I C E - "Hamlet" von William Shakespeare im Burgtheater. Regie: Karin Henkel, Bühne: Katrin Brack, Kostüme: Teresa Vergho, Musik: Thomas Kürstner, Sebastian Vogel. Mit Alexander Angeletta, Benny Claessens, Katharina Lorenz, Michael Maertens, Marie-Luise Stockinger, Kate Strong und Tim Werths. Weitere Termine: 10., 11. und 28. September sowie am 11., 23. und 28. Oktober. www.burgtheater.at)