Kunst-Installation im Traunsee
©Edwin HusicErstmals ist mit dem Salzkammergut eine ganze Region zur europäischen KULTURHAUPTSTADT auserkoren worden. In der Bannerstadt Bad Ischl wird der umfangreiche Programmreigen eröffnet.
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Das österreichische Musiklexikon nimmt es ganz genau, wenn es ums Jodeln geht. Es wird dort als ein "Alternieren von Bruststimme und Falsett, in der Regel über Silben ohne Wortbedeutung" beschrieben. Weiters erklärt das Lexikon, dass das, was beim Jodeln rauskommt, in Österreich Jodler genannt wird. So wie die Person, die jodelt - sofern sie männlich ist.
Dementsprechend zweideutig ist das Motto, mit dem in Bad Ischl am Wochenende die "Kulturhauptstadt Europas Bad Ischl Salzkammergut" eröffnet wird. "Ein Jodler in die Welt hinaus!" hat man sich nämlich für das Eröffnungsevent auf die Fahnen geschrieben und dafür Salzkammerguts berühmtesten Jodler, Hubert von Goisern, verpflichtet.
Der 71-jährige Musiker wird im Kurpark der Bannerstadt Bad Ischl gemeinsam mit 1.000 Chorstimmen zeigen, wie man alternierend von der Bruststimme ins Falsett wechselt.
Da aber ganz Europa auf den Landstrich schaut, der durch Salzabbau reich geworden ist, demonstriert man neben heimatverbundenem Jodeln natürlich auch Weltoffenheit. So wird mit Tom Neuwirth aka Conchita ein weiterer Lokalmatador aus dem Salzkammergut die Eröffnungsbühne bespielen. Bevor dann die vom Attersee stammende Choreografin Doris Uhlich, ausgehend von ihrem legendären Solo "Pudertanz", mit ihrem Ensemble eine gesalzene Performance der körperlichen Schönheit und Vielfalt inszeniert, dass es nur so staubt.
Vorfreude
Die Eröffnung zeigt also schon einmal auf wenige Stunden verdichtet, wie man das Kulturhauptstadtjahr angelegt hat. Vielschichtig nämlich. Mehr als 300 Veranstaltungen hat Elisabeth Schweeger, die nach Querelen und Streitereien im Juli 2021 als neue Intendantin geholt wurde, mit ihrem Team zusammengestellt. 85 Prozent der Veranstaltungen werden dabei - so die Organisatoren - von lokalen und regionalen Künstlerinnen und Künstlern, Vereinen, Institutionen und Betrieben durchgeführt. Bestritten wird übrigens alles mit einem vergleichsweise kleinen Budget von knapp 30 Millionen Euro.
Zum Vergleich: Die Kulturhauptstädte Graz (2003) und Linz (2009) hatten jeweils 60 Millionen Euro zur Verfügung. Und vermutlich auch noch weniger organisatorischen Stress, denn erstmals in der fast 40-jährigen Geschichte des Formats "Kulturhauptstadt" steht eine ganze Region im Mittelpunkt. Und das heißt, dass die Interessen von 23 verschiedenen Gemeinden (19 in Oberösterreich, vier in der Steiermark) unter einen Hut gebracht werden mussten.
Eine nicht immer ganz einfache Übung. Nicht wenig war im Vorfeld von Querelen und Grabenkämpfen zu lesen. Sogar eine Wirtshausschlägerei (auch eine Art, Traditionsbewusstsein hochleben zu lassen) soll es gegeben haben. "Diskussionen und Streitereien gehören zu Kulturhauptstädten dazu. Sie sind der beste Beweis, dass dieses Format Wirkung zeigt", resümiert Schweeger diplomatisch und ergänzt: "Jetzt sind die Früchte sichtbar, die Neugierde, die wir brauchen, um Neues zuzulassen, ist spürbar, und man freut sich auf das, was da kommen mag."
Alles auf Schiene
Das umfangreiche, auf die Region aufgeteilte Programm ist dabei in vier Schienen eingeteilt. "Macht und Tradition","Kultur im Fluss","Sharing Salzkammergut - die Kultur des Reisens" und "Globalokal - Building the New".
Die erste Programmlinie beschäftigt sich dabei mit Erinnerungskultur. "Das Salzkammergut stellt sich seiner Geschichte, einer Geschichte von Macht und Ausbeutung, aber auch einer Geschichte der Erfolge", erörtert Schweeger. Eines der Herzstücke dieser Schiene ist die Kooperation mit dem Lentos Kunstmuseum Linz. Eine dreiteilige Ausstellung in Linz, Lauffen und Bad Aussee greift ab Ende April dabei das Thema Raubkunst im Nationalsozialismus auf.
Ebenfalls diesem Themenkreis zugeordnet ist die Ausstellung "Resurgent echoes" des chinesischen Kunst-Superstars Ai Weiwei, die ab 13. Juni im Bad Ischler Marmorschlössl im Kaiserpark zu sehen ist. Sie ist als Begegnung zwischen der chinesischen und der Hallstätter Kultur angelegt und soll Trennendes wie Verbindendes aufzeigen.
Die vier Programmlinien von Europas Kulturhauptstadt.
Noch mehr Positionen zeitgenössischer Künstlerinnen und Künstler, die den Wandel von Kultur und kultureller Identität thematisieren, finden sich dann in der Schiene "Kultur im Fluss" wieder. Ein Highlight wird dabei im Spätsommer die Klangskulptur sein, die der US-amerikanische Künstler Bill Fontana in den magischen Eishöhlen am Dachstein verwirklicht.
Er überträgt die Vibrationen der Glocken von Notre-Dame in Paris in die Dachstein-Eishöhle, den Sound der Schneeschmelze des Dachsteingletschers schickt er im Gegenzug in die Pariser Kathedrale, deren Wiederaufbau nach dem Großbrand vor fünf Jahren Ende des Jahres beendet sein soll.
Zukunft jetzt
In der dritten Programmschiene wird dann die Zukunftsfähigkeit des örtlichen Tourismus beleuchtet. Gute Einblicke gibt hier die ambitionierte Film-Doku "Hinter den Kulissen" von Alenka Maly, die in allen Kulturhauptstadt-Gemeinden gezeigt wird. Über den Zaunerstollen, die wohl berühmteste Süßspeise der Region, wird darin die Geschichte von Migrationen und Migranten erzählt, die mit ihrer Arbeit die Marke Salzkammergut aufrechterhalten.
Einen anderen Zugang zeigen Ella Raidel, Petra Ardai und Marlene Rutzendorfer. Das Trio hat das Projekt "Regional_Express" konzipiert. Auf der Bahnstrecke zwischen Gmunden und Bad Aussee werden dabei die Sinne der Passagiere mit einer akustisch-visuellen immersiven Erzählung zu Land, Kultur und Natur stimuliert.
Darüber hinaus werden beim Projekt "Salt Lake Cities" leer stehende Bahnhöfe entlang der Salzkammergut-Bahnstrecke zu Ateliers für Künstlerinnen und Künstler. Denn: "Kunst ist identitäts- und gesellschaftsbildend und macht den ländlichen Raum als attraktiven Lebensraum für die Zukunft interessant. Heute geht es weniger um die Förderung von urbanen Zentren als vielmehr um die Entwicklung des ländlichen Raums für die kommenden Generationen", erklärt Schweeger, die so immanente Zukunftsfragen aufwirft.
Etwa danach, wie der alpine Raum gestaltet werden soll, um lebenswert zu bleiben. Oder wie sich Tourismus ohne Umweltzerstörung betreiben lässt. Und was muss getan werden, um die Abwanderung junger, gut ausgebildeter Menschen zu verhindern und das Leben am Land global einzubetten?
Fragen, die in der vierten Schiene "Globalokal" mehr als nur erwünscht sind und deren Beantwortungsversuche letztlich dazu führen sollen, dass die jahrtausendealte Kulturregion Salzkammergut langfristig vom Label "Kulturhauptstadt" profitiert. Denn, so Schweeger: "Kunst hinterlässt Spuren, wie auch immer sie rezipiert wird. Sie gräbt sich in die DNA eines Körpers ein, schafft den Humus, um damit weiter an einer offenen Gesellschaft zu bauen."
Der Artikel ist aus trend.PREMIUM vom 19. Jänner 2024.
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