Fabian Burstein
©JORGHI POLL / Edition AtelierIn seinem Buch "Empowerment Kultur" kritisiert der Wiener Kulturmanager Fabian Burstein Missstände im Kulturbetrieb und fordert eine neue Debatte über Sinn und Zweck von Kultur in einer lebendigen Gesellschaft. Michaela Knapp traf den streitbaren Kulturmanager zum Interview.
Das obige Zitat von Johanna Dohnal stellt Fabian Burstein seinem neuen Buch "Empowerment Kultur" voran. Leisetreten wäre auch Bursteins Sache nicht. Der Wiener Kulturmanager und Biograf der österreichischen New-Wave-Legende Hansi Lang (»Kind ohne Zeit: Das intensive Leben des Hansi Lang«; 2008) hat bereits 2022 mit „Eroberung des Elfenbeinturms. Streitschrift für eine bessere Kultur“ eine Streitschrift für eine bessere Kultur vorgelegt und als Brancheninsider, der jahrelang für Festivals und diverse künstlerische Formate verantwortlich war, mit seiner scharf formulierten Kritik an den toxischen Strukturen im Kulturbetrieb für reichlich Diskussionsstoff gesorgt.
Zurückhaltend ist Burstein auch nicht im aktuellen, 152 Seiten langen Essay „Empowerment Kultur. Was Kultur braucht, um in Zeiten von Shitstorms, Krisen und Skandalen zu bestehen“.
Ausgehend von einem Kulturskandal, den er als künstlerischer Leiter der Deutschen Bundesgartenschau – rund um die Absage des Auftritts einer Senior:innen-Tanzgruppe in Sombrero und Kimonos – samt deutschlandweitem Shitstorm 2023 am eigenen Leib erlebt hat, thematisiert er hier die Kraft der Kultur in extremen Zeiten zwischen Politikversagen und Wokeness-Debatten und erklärt, wie sie sich wieder „einen Platz in den Herzen der Menschen zurückerobern kann, damit wir sie vor Populisten und den Feinden der Demokratie verteidigen können“.
Dazu bedarf es aber einer willensstarken Kulturpolitik, besserer Strukturen und eines investigativen Kulturjournalismus. Der penible Rechercheur analysierte dazu die Wiener Kulturstrategie 2030 und ihr Zustandekommen, gibt Einblicke in die Stellenbesetzungspraxis und in Ausschreibungsverfahren, benennt destruktive Seilschaften und zeigt auf, dass der manipulative Einsatz von Umfragen auch vor dem heimischen Kulturbetrieb nicht haltmacht. Ein Zustand, der sich aber durchaus als Porträt der gesamten deutschsprachigen Kulturlandschaft lesen lässt, wie der Kulturmanager, der nach Jahren in Deutschland nun wieder in Wien arbeitet, im Interview betont: „In den Lösungen ist Deutschland um nichts weiter als wir, aber im Problembewusstsein. Das ist der Unterschied. Es ist eine selbstreflektiertere Kulturszene.“
Interview: "Brot und Spiele statt Demokratisierung der Kultur"
Fabian Burstein im trend. Interview über Fehler und Einflussnahme in der Kulturpolitik.
Starten wir mit einem aktuellen Beispiel: Wie sehen Sie denn die revolutionären Ansprüche des neuen Wiener-Festwochen-Chefs Milo Rau, der mit der Eröffnung das Festival zur Freien Republik Wien erklärt hat?
Man kann bei den Wiener Festwochen sicher vieles hinterfragen. Aber ich finde es falsch, einen Intendanten gleich per se schlechtzumachen. In Deutschland hält man Milo Rau für ein Marketinggenie. Ich traue ihm eigentlich wesentlich mehr zu. Aber schon bei der Eröffnung hat man einen moralischen Narzissmus an den Tag gelegt, der viele Menschen verschreckt. Die kunstaffine Szene fand das unter Umständen geil, aber mit dem selbstbewusst angekündigten Demokratisierungsschub hat das wenig bis gar nichts zu tun. Und genau das schafft Probleme: wenn man ständig großspurig Postulate aufstellt, die nicht eingehalten werden. Gerade im Kulturbereich haben wir eine existenzielle Vertrauenskrise. Die Menschen hören immer von den Intendanten: „Wir wollen uns öffnen.“ Man verspricht ihnen eine neue Willkommenskultur, die bezeichnenderweise mit hochtrabenden Kulturtheoretikern von Bourdieu bis Beuys argumentiert wird. Dann schauen die Leute halt wieder mal Festwochen-Eröffnung im Fernsehen und wissen nach ein paar Minuten: „Ah, das hat wieder nix mit mir zu tun, da feiert einfach eine eingeschworene Community.“ Wenn man die Menschen täuscht, führt das dazu, dass die Akzeptanz weiter sinkt. Und der Wähler jene abstraft, die für Kultur Geld ausgeben wollen.
Dafür kritisieren Sie auch die Kulturpolitik vehement.
Ich halte die Kulturpolitik in Wien für verfehlt, weil es eine Politik nur für die Künstler:innen ist. Das klingt auf den ersten Blick sexy, ist letztlich aber auch nur Klientelpolitik. Eine Stadträtin muss für zwei Millionen Menschen arbeiten. Der Gesundheitsstadtrat ist auch nicht nur für das Krankenhauspersonal und die Ärzteschaft zuständig. Diese Stadt hat sich beim Thema Kultur auf einen elitären Holzweg begeben.
Sie sind aber auch kein Freund des gerade wieder präsentierten Kultursommers der Stadt Wien, bei dem auf temporären Bühnen in der ganzen Stadt genreübergreifendes Open-Air-Programm bei kostenlosem Eintritt geboten wird, wodurch man extrem niederschwellig Publikum erreichen will und das auch offensiv als Instrument der Kulturförderung vermarktet.
Ich verurteile keineswegs die Künstler:innen, die da mitmachen, das ist ein Beruf, in dem man überleben muss. Meine Kritik betrifft das fehlende Förderhandwerk. Eine gut gemachte Förderstrategie hat immer den Anspruch, dass jeder Euro zweimal wirkt. Das erreiche ich zum Beispiel, wenn ich Geld an bestehende Institutionen und Initiativen gebe, die dieses dann kuratorisch verplanen. Dann hat man Infrastruktur wie Künstler:innen programmatisch gefördert. Wenn man aber selbst zu einem Veranstalter dieser Größenordnung wird, und zwar in einer holprig ausgelagerten GmbH-Struktur, tötet man ein kulturwirtschaftliches Biotop. Das Ausmaß des Schadens ist enorm. Auch ein Donauinselfest ist nicht Demokratisierung von Kultur, sondern Brot und Spiele.
In Ihrem Buch analysieren Sie auch Beispiele fataler Besetzungspolitik wie etwa im Fall der kaufmännischen Führung des Universalmuseums Joanneum in Graz. (Zweitgrößter Museumskomplex des Landes nach dem KHM, Anm.)
Aus einer Reihe von Topbewerbungen gab ÖVP-Landeshauptmann Drexler im Vorjahr mit Josef Schrammel einen völlig unbekannten Leiter der Firmenkundenbetreuung der Raiffeisenbank St. Stefan im Rosental bekannt, einen Prokuristen ohne einen Tag Kulturmanagementerfahrung. Manchmal tun sich in Besetzungsverfahren Abgründe auf, da sollten sich alle hinterfragen, von den Findungskommissionen bis hin zu den Spitzenbeamten im Ministerium; fachlich nicht geeignete Manager:innen, die aus parteipolitischem Kalkül eingesetzt werden, zahnlose Hearing-Kommissionen oder hinzugezogene Personalberater:innen, die eine undurchsichtige Gatekeeperfunktion jenseits ihres Berufsethos übernehmen: Das ist Standortschädigung. Was im Joanneum passiert ist, inklusive medialer Nichtreaktion, zeigt das Dilemma, in dem wir stecken: Es ist allen einfach wurscht. Die wahre Sensation ist, dass man sich das als politischer Entscheidungsträger überhaupt trauen kann.
Gerade der aktuelle Krisenmodus benötigt Menschen, die ihn bewältigen können – auch eine Frage der Ausschreibung?
Natürlich. Und eine Frage der Ratio. Stellen Sie sich vor, Sie schreiben eine Abteilungsleitung im AKH aus und sagen dann, dass ein lustiger Kardiologe die Pulmologie leitet, weil der einen ganz neuen Ansatz hat, wie das alles zusammenhängt – und wenn man das nicht zulässt, schränkt man die Freiheit der Wissenschaft ein. Würde nie passieren, weil es um gesundheitliche Versorgungssicherheit geht. In der Kunst sind solche Mechanismen möglich, obwohl es hier um demokratische Versorgungssicherheit geht. Wir müssen uns endlich wieder mit dem nüchternen Handwerk des Kulturmanagements beschäftigen und Integrationsfiguren in Führungspositionen bringen.
Sie gehen auch hart mit den Kulturjournalisten ins Gericht, die einerseits, wie Sie sagen, selbst oft zu sehr Teil der Kulturblase sind, andererseits hätte das Feuilleton Berührungsängste, wenn es um unschöngeistige Verwerfungen geht, und zu wenig wirtschaftliches Knowhow …
Tatsächlich fällt auf: Investigativjournalismus, der gerade in den Wirtschafts- und Politikressorts als Königsdisziplin gilt, spielt in der Kultur eine untergeordnete Rolle. Das Resultat ist ein Kontrollvakuum. Vielleicht müssen wir in den Ausbildungsstrukturen auch stärker kommunizieren, dass Kulturjournalismus kein Lifestylekonzept, sondern ein vollwertiges Ressort ist. Ich wäre insgesamt froh, wenn wir das Thema solidarisch angehen: Kulturpolitik ist Medienpolitik und umgekehrt. Wir müssen überlegen, wie wir die finanzielle Struktur von Medien auf komplett neue Beine stellen und so die Redaktionen stärken. Aber da sehen wir wieder das politische Dilemma: Es gibt keine Partei, die Medien- und Kulturförderung als verzahnten Gesetzgebungsprozess begreift. Insgesamt brauchen wir mehr Schulterschlüsse. Kulturpolitik kann auch nicht losgelöst von Wirtschaftspolitik betrieben werden. Sie muss sich neuen Kontexten stellen. Wien könnte etwa Stadtentwicklung und Kultur als ein Ressort andenken. Dann ist man automatisch an den sozialen Entwicklungen der Stadt dran.
An wen richtet sich Ihr Buch, oder ist es als Bewerbung für einen Posten im Wiener Kulturbetrieb gedacht?
Ich bin Euphoriker und Optimist, aber Revanchismus ist in Österreich an der Tagesordnung, insofern ist es sicher keine Bewerbung. Ich will, dass Kultur wieder Sinnbild für eine breite Bürger:innenbewegung wird. In Nehammers Österreichplan erschöpft sich das Thema in Leitkulturfragen, und in Bablers 24 Ideen für Österreich ist kein einziger Kulturpunkt dabei. Wir reden von einem Kulturkampf, aber die Kultur spielt in der Verhandlung keine Rolle. Stattdessen arbeitet man sich an Zuwanderung und Identitätspolitik ab. Da stimmt etwas ganz Grundsätzliches in der DNA der Debatte nicht. Kulturpolitik ist kein Nischenthema, sondern ein Integrationsfaktor.
Wo bleibt jetzt bei all dem Negativen dass Empowerment?
Berechtigte Frage. Wir leben in einem Land, das noch immer unglaublich viele Mittel für Kunst und Kultur bereitstellt. Und seien wir ehrlich: Im Grunde wird das auch nicht hinterfragt. Da gibt es ein Grundbewusstsein, dass Kultur Teil der Identität ist. Und das ist großartig. So substanziell, wie Wien zum Beispiel kulturelle Strukturförderung betreibt, ist das in Europa nahezu einzigartig. Wenn wir dieses viele Geld auch noch gescheit ausgeben, hat das eine Wirkmacht, die uns nachhaltig nach vorne bringt.
Zur Person
Steckbrief
Fabian Burstein
Fabian Burstein, geboren 1982 in Wien, Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaft. Im Autorenleben Verfasser von Romanen und Sachbüchern. Biograf der österreichischen New-Wave-Legende Hansi Lang »Kind ohne Zeit: Das intensive Leben des Hansi Lang« (2008). In der letzten Dekade war er vorwiegend in Deutschland aktiv und als Leiter für Kulturinstitutionen, Festivals und diverse künstlerische Formate verantwortlich.
Zuletzt sind von Burstein in der Edition Atelier erschienen: »Eroberung des Elfenbeinturms. Streitschrift für eine bessere Kultur« (2022) und »Empowerment Kultur. Was Kultur braucht, um in Zeiten von Shitstorms, Krisen und Skandalen zu bestehen« (2024)
Das Interview ist der trend. Edition vom 21.6.2024 entnommen.
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