
Seit 40 Jahren kommentiert Gerhard Haderer mit seinen Cartoons aktuelle Ereignisse. Jetzt präsentiert er seine Arbeiten auch in einer Bühnenshow. Der trend sprach mit dem Starkarikaturisten über die aktuelle Weltlage und für wen er gerade den Zeichenstift spitzt.
„Niemals“, sagt Gerhard Haderer, setze er sich mit seinem Archiv auseinander. „‚Hit and run‘ ist mein Motto. Was passiert ist, ist Geschichte. Die besten Arbeiten sind immer die, die noch nicht entstanden sind.“ Und dass er seine Bilder nicht gerne sprachlich interpretiert. „Meine Sprache ist die Bildsprache.“
Dass der 73-jährige Starkarikaturist nun dennoch auf der Bühne steht und launig eine Auswahl seiner Arbeiten kommentiert, ist der Begegnung mit dem oberösterreichischen Musiker Hans Peter Falkner, Teil des Duos Attwenger, geschuldet und einem intensiven Gespräch darüber, was beider Werk verbindet: zwei, die ihre Haltung, ihren Widerstandsgeist, ihre Liebe zu den Menschen und ihre zeitweilige Verwunderung über selbige in ihrer Kunst zum Ausdruck bringen.
Gute Basis, um einen gemeinsamen Abend auszuprobieren, der beiden vom ersten Versuch an großen Spaß machte und als bunte Cartoonshow mit Musik und Schmäh wohl in Serie gehen kann. Wie er funktioniert, ist nach Haderer schnell erklärt: „Ich zeige meine Bilder und erzähle die eine oder andere Geschichte dazu und erfreu mich an den Gstanzln und dem Quetschn-Sound von Hans Peter Falkner. Eine an Heiligsprechung grenzende Auszeichnung, dass ich mit diesem Musiker auf der Bühne stehen darf.“ Rampensau sei er aber keine: „Meine Bilder sind die Stars.“
Sie zeichnen sich seit 40 Jahren die Wut vom Leib. Angesichts der aktuellen Lage muss man sagen, Fortschritt schaut anders aus: Das Wahlergebnis ein Desaster, Eva Glawischnig wird „Dancing Star“, und ein Begriff wie „Festung Europa“, vor Jahren noch zaghaft ausgesprochen, wird heute umjubelt. Vergeht einem da nicht auch einmal die Lust am bildnerischen Kommentar?
Im Augenblick sind tatsächlich Ereignisse festzuhalten, die lassen sich nicht mehr kommentieren durch einen Satiriker. Das ist perfekte Realsatire, die lässt sich nicht mehr steigern. Es geht auch gar nicht darum, dass es keinen Fortschritt mehr gibt, es geht vielmehr um einen eindeutigen Rückschritt in unserer Gesellschaft, der leider nicht an den Grenzen Österreichs aufhört, sondern ganz weit drüber hinausgeht. Wir leben in einer Welt voller Skurrilitäten, die jeden Einzelnen betreffen. Und diese Absurditäten aufzuzeichnen, ist schon mein Vorsatz. In den letzten 40 Jahren sind so einige Tausend Blätter entstanden, aber nicht, weil ich das je als Job gesehen hätte, sondern wenn ich mich im ganz normalen Alltag umschaue, werden im Kopf automatisch groteske Bilder draus.
Bei wem starten denn aktuell die Zeichner-Reflexe durch? Wie dereinst bei Michael „Spindi“ Spindelegger, dessen Ausdruck, Ihren Angaben zufolge, förmlich schrie: „Bitte zeichne mich zur Sau!“? Erfreuen Sie Trump, Kickl oder Interimskanzler Schallenberg auch in diesem Maße?
Bitte keinen weiteren Namen mehr aussprechen, sonst muss ich dringend nach Alka-Seltzer greifen. Solange Angebote da sind wie ein Herr Trump, der in Amerika wieder Präsident wurde, kann das niemand verstehen und auch seelisch nicht verkraften. Immer, wenn der Druck im Schädel zu groß wird, braucht es ein Ventil, wo man Dampf ablassen kann. Und für mich ist das meine Arbeit. Das bringt eine Art psychische Hygiene mit sich. Das mache ich nicht, um andere Menschen glücklich zu machen, sondern um mich selbst in irgendeiner Art und Weise gerade halten zu können. Ich habe mich auch noch nie als spaßiger Entertainer verstanden. Hin und wieder habe ich eine leicht verschobene Realitätsdarstellung geliefert. Wenn das die Menschen wirklich lustig finden, wundert mich das sogar, weil im Moment alles, was wir erleben, ganz schlechtes Kabarett ist, für ausgeschlafene Menschen kaum zu ertragen. Meine Bilder sind da so etwas wie eine versuchte Ironisierung, zu sagen: „Achtung, wenn es ganz schlimm wird, tretet einmal einen Schritt zurück und schaltet ein Augenzwinkern dazwischen und versucht, nicht alles bierernst zu nehmen, was einem die Medien in praller Brutalität manchmal reindrücken wollen.“ Das ist eine Art von Frischluftkur, die man sich hin und wieder verordnen sollte. Aber weil gerade so viele Politiker- und Politikerinnen-Namen gefallen sind: Ich bin kein Angestellter dieser Damen und Herren und habe auch nicht vor, diese in die Höhe zu heben, indem man sie auch noch porträtiert. Aber ich bin so etwas wie ein Träumer: Ich möchte, dass wir Menschen anständig miteinander umgehen. Und wenn das nicht passiert, muss man sich gegen die Scharfmacher wehren, die im Augenblick einen Graben nach dem anderen aufreißen. Wir Menschen sind soziale Wesen, das sollte man nicht vergessen.
Zur Person:
Gerhard Haderer, 73, wurde in Leonding bei Linz geboren und zählt zu den bedeutendsten satirischen Zeichnern im deutschsprachigen Raum. Seine Arbeiten erschienen im „Profil“ wie im „trend“, auch für den „stern“ lieferte Haderer 25 Jahre lang wöchentlich einen Cartoon. Er kreierte mit maschek und dem Rabenhof Theater eine eigene Politpuppenshow und publizierte an die 30 Bücher. Mit „MOFF.“ startete er 1997 sein eigenes Comicheft, das am 18. jedes Monats in der Scherz & Schund Fabrik erscheint, scherzundschund.at.


Der Karikaturist bei seiner Bühnenshow "Haderer live" mit "Attwenger"-Musiker Hans Peter Falkner.
© Julia HadererWie und wo studieren Sie denn die sozialen Wesen? Auf der Straße, via TV oder Print?
All das zusammen. Manche Menschen speichern Gespräche, ich persönlich speichere Gesichter und Körperhaltungen. Unbewusst. Das ist vermutlich eine Begabung. Und ich habe wie jeder Satiriker Lust an den Brüchen. Wenn ich vermeintlich glückliche reiche Menschen in ihren Teslas ganz armselig sitzen sehe, interessiert mich die Frage, warum die mit all den Segnungen der Konsumwelt nicht wirklich happy sein können. Und hin und wieder habe ich die Chance, mit den Leuten in Kontakt zu treten, die sich die Mühe machen, meine Arbeiten anzusehen. Aber die Betroffenen erkennen sich sehr selten selbst, glauben immer, dass der Nachbar gemeint ist. Aber manchmal erwisch ich sie. Und das freut mich schon. Dann ist ein imaginärer Dialog eröffnet.
Scrollen Sie auch durch die sozialen Medien, wie Instagram-Accounts von Politikern?
Dazu finde ich meine Zeit zu kostbar, um sie damit zu vergeuden. Ich habe aber erstklassig informierte Menschen um mich, die mich diesbezüglich immer über die „Highlights“ am Laufenden halten. Aber eines der wichtigsten Studienobjekte bin ich mir selbst. Wenn ich an einem Spiegel vorbeikomme …
Sie waren als Zeichner Angela Merkel verfallen und in die „Schlittenhund-Augen“ von Maria Fekter verliebt. Wer sind denn im Moment Ihre Topstars oder gibt’s nur mehr fade G’sichter?
Ich arbeite daran, den neuen ÖVP-Vorsitzenden so darzustellen, wie er ausschaut. Und ich habe all die hübschen Burschen, die vor gar nicht allzu langer Zeit in der Regierung gesessen sind, einer davon hatte auffällige Ohren, mit ihren Slim-Fit-Anzügen und den kleinen entenähnlichen Bürzeln am Hinterteil in unglaubliche Eleganz getaucht, in eine strahlend schöne, nahezu Barbie-artige Welt. Aber als Zeichner tut man sich natürlich mit solchen Windkanal-geföhnten Figuren wesentlich schwerer als mit jenen, die im Moment auftauchen. An dieser Stelle noch mal einen schönen Gruß an Herrn Stocker. Auch Herr Doskozil gibt was her. Allein schon, weil er Burgenländer ist. Diesen Luxus leiste ich mir schon, dass ich mich nicht immer nur politisch korrekt auf die Spuren meiner Figuren hefte. Manchmal genügt auch ein kleiner Burgenländerwitz für einen bildnerischen Kommentar. Immerhin bin ich nicht zuletzt deshalb Karikaturist geworden, weil damals Bundeskanzler Fred Sinowatz im Amt war mit einer grandiosen Nase. Für uns Zeichner ein Angebot, das man unmöglich ablehnen konnte. Aber auch über Heinz Fischer habe ich mich immer gefreut, der hatte als Bundespräsident seine absolute Bestimmung gefunden, ein glücklicher Mensch. Aber im Ernst: Ich freue mich auch, dass wir Van der Bellen in den politischen Turbulenzen der letzten Jahre als Bundespräsidenten hatten, so ist uns manches blaue Wunder erspart geblieben.
Auch Herr Doskozil gibt was her. Allein schon, weil er Burgenländer ist. Diesen Luxus leiste ich mir schon, dass ich mich nicht immer nur politisch korrekt auf die Spuren meiner Figuren hefte.
Haben Sie auch schon die Stifte für das Personal der FPÖ-Welt gespitzt?
Natürlich reibt man sich auch an einer Figur wie Kickl oder dem lieben Herrn Hofer, der sich immer bemüht, besonders süß zu sein. Aber Entwicklungen wie in Amerika, wo die Oligarchen einen Präsidenten zur Handpuppe minimiert haben, machen mir deutlich mehr Sorgen. Das sind Entwicklungen, die den Planeten überschwemmen werden, solange der Kapitalismus solche Ausformungen hat, wie er sie im Moment hat, und Slogans wie „Nichts ist so erfolgreich wie der Erfolg“ gefeiert werden.
Die langjährige Zeichnerin der „Washington Post“, Ann Telnaes, hat gerade gekündigt, weil eine Karikatur, die den Eigentümer der Zeitung, Amazon-Boss Jeff Bezos, und andere Techmilliardäre beim Kniefall vor Trump zeigte, nicht abgedruckt wurde. Sie sind selbst schon verurteilt und wieder freigesprochen worden. Drohen in Sachen Zensur wieder härtere Zeiten?
Selbstverständlich. Was ich an dieser Causa noch herausstreichen kann, ist die Haltung der Kollegin, die ihren Abgang öffentlich gemacht hat. Wenn das dann aber beim Publikum auf Ignoranz stößt, ist das ein Alarmzeichen, dass Menschen, die Cartoons zeichnen, wieder mit unglaublichem Widerstand zu rechnen haben. Die demokratischen Grundwerte werden immer kleiner und der Zug der Zeit ist im Augenblick ein äußerst bedrohlicher. Diese Bedrohung hat man nicht zu ignorieren, sondern man muss dagegen ankämpfen. Ich kann diesen Satz nicht oft genug wiederholen: Unterhaltung hat auch etwas mit Haltung zu tun. Diese Selbstverständlichkeit nehme ich auch für mich in Anspruch.
Hat Gerhard Haderer so etwas wie eine Mission?
Na, selbstverständlich wollte ich als junger Mann die Welt verbessern. Ich habe mich umgeschaut und Absurditäten gesehen, die ich mir mit meinem Talent von der Seele gezeichnet habe. Jetzt, als 73-Jähriger, muss ich sagen, nach vier Jahrzehnten habe ich das genaue Gegenteil dessen, was ich jemals intendiert habe, vor der Nase. Rechte, menschenverachtende Politik ist plötzlich nicht nur mehrheitsfähig, sondern ihr Siegeszug überrollt den ganzen Planeten. Ohne Selbstironie oder einen Funken Humor wäre diese Entwicklung unerträglich.
Vor ein paar Jahren haben Sie ein Ermutigungsprojekt namens „Schule des Ungehorsams“ ins Leben gerufen.
Eine Denkschule, die natürlich satirisch gemeint ist. Sie wird von meinem Sohn Christoph betrieben, ich selbst bin nur der Schulwart. Wir gehen davon aus, dass es nicht nur notwendig ist, sondern dass es auch Spaß machen kann, sich politisch einzumischen. Es kann aber nicht sein, dass jeder, der einen Rülpser gepostet hat, glaubt, sich schon politisch geäußert zu haben. Dafür braucht es eine Schule, die zeigt, dass auch Kultur ein Lebensmittel ist. Diese Welt, in der wir leben, ist jetzt wirklich am Krachen, aber es zahlt sich aus, etwas dafür zu tun, um sie zu erhalten. Es kommt nicht in Frage, sich ins geistige Neobiedermeier zurückzuziehen, es geht darum, wachsam zu bleiben, die Augen offen zu halten und sich zu beteiligen an allem, was positiv möglich ist. Und keineswegs zu resignieren.