Franz Grabmayr (1927–2015)
©Rudi MolacekDer Kärntner Maler Franz Grabmayr ist 2015 verstorben. Eine Auseinandersetzung mit der Arbeitsweise und dem Werk des ekstatischen Künstlers.
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„Ein Maler lebt anders“, steht da auf ein weißes Blatt Papier gekritzelt, zu sehen im Hintergrund einer der raren Aufnahmen der Werkstatt von Franz Grabmayr. Ein beiläufiger Satz, der aber wohl zeitlebens Programm des 2015 verstorbenen Kärntner Künstlers war.
Mit seinem pastosen Œuvre, das eine außerordentliche Stellung in der Geschichte der Kunst nach 1945 einnimmt, wurde Grabmayr in den 1980er-Jahren zum Vorbild der Neuen Wilden und zu einer Kultfigur der österreichischen Malerei, zu der Herbert Brandl oder Hubert Scheibl in jungen Jahren pilgerten, weil Grabmayr sie nach Jahren des Minimalismus und der Konzeptkunst ermutigte, wieder zum Pinsel und ins Volle zu greifen. Doch während die Neuen Wilden schnell Anschluss an das internationale Kunstgeschehen fanden, hielt er sich selbst vom Ausstellungsgeschehen weitgehend fern und blieb so einem breiteren Publikum unbekannt.
„Es ist die größte Stärke und Schwäche gleichzeitig meines Vaters gewesen, dass ihn nie der Markt, sondern immer nur das Arbeiten interessiert hat“, kommentiert das Jakob Grabmayr, der 52-jährige jüngere der beiden Söhne des Künstlers. „Er hat auch nur verkauft, wenn er dringend Geld gebraucht hat, ansonsten hat ihn das Geschäft nicht interessiert. Er hat diesbezüglich auch weder Netzwerk noch Strategie aufgebaut.“
Im Jahr seines 95. Geburtstags zeigte die Galerie Artecont in enger Zusammenarbeit mit dem Sohn, der auch den Nachlass verwaltet, eine schon lange überfällige Ausstellung. Eröffnet wird sie von Albertina-Chef Klaus Albrecht Schröder, der Franz Grabmayr „für einen der größten österreichischen Künstler der letzten 50 Jahre“ hält, wie er betont, „und für einen der prononciertesten und originellsten Materialkünstler, der sein Werk mit einer fast beispiellosen kontinuierlichen Konsequenz entwickelt hat“.
Warum er allerdings noch nicht den Stellenwert bekommen hat, den seine Kunst absolut verdient, sei eine Frage, die er sich schon oft gestellt habe, so Schröder. "Die Malerei von Franz Grabmayr ist vergleichbar dem Œuvre eines Frank Auerbach oder Eugène Leroy, die international ihren Rang haben und preislich in Millionenhöhe rangieren. Bei Grabmayr ist das bisher nicht der Fall.“
Grabmayr, der bodenständige Künstler
Was also ist ihm im Weg gestanden? „Ich war mit ihm sehr, sehr gut befreundet und ich denke: Es war er selbst“, analysiert der Experte Schröder. „In Österreich haben jene Künstler Karriere gemacht, die relativ früh auch die Attitüde des Künstlers gezeigt haben, auf ganz unterschiedliche Weise: Ob Ernst Fuchs, Friedensreich Hundertwasser oder Walter Pichler, alle hatten einen Habitus, der klarmachte, der Künstler ist anders als der Rest der Gesellschaft. Das alles hat der Franz nicht kultiviert. Er war einfach ein sympathischer, bodenständiger, in der Ausdrucksweise einfacher Mensch, obwohl hochgebildet, und in seiner Kunst firm und unglaublich sensibel.“
Aufgewachsen am Pfaffenberg bei Obervellach in Kärnten als Bergbauernkind, hat Franz Grabmayr konsequent das spartanische Leben seiner Kindheit auch als Künstler fortgesetzt. Zunächst hat Grabmayr aber nach dem Besuch der Lehrerbildungsanstalt Mathematik und Darstellende Geometrie unterrichtet, ehe ihm ein Lehrertausch im Alter von 27 Jahren die Möglichkeit bot, von Kärnten nach Wien zu gehen, um an der Akademie der bildenden Künste Malerei zu studieren, und er sich, noch einmal einige Jahre später, endgültig für das Leben eines Künstlers entschied. Nach dem Diplom bei Herbert Boeckl ließ er sich sofort im Waldviertel nieder, um in einem Trakt des leer stehenden Schlosses Rosenau zu arbeiten, in vollkommener Abgeschiedenheit. Ohne Strom und Fließwasser. Eine Ursprünglichkeit, die Grabmayr auch später beibehält, als er in einen alten Bauernhof bei Zwettl übersiedelt.
Während also seine Künstlerkollegen des Wiener Aktionismus wie Otto Muehl, Günter Brus oder Hermann Nitsch in Wien ihre Karrieren in Gang brachten, zog Grabmayr sich aus dem urbanen Klima der Großstadt auf das Land zurück, um Landschaftsbilder zu malen. Dafür studierte und beobachtete er geradezu fanatisch die Natur: seien es die Felsen im Kamp, Wurzelstöcke, Sandgruben oder Strohballen.
Neue Dynamik, neue Materialästhetik
Schon Mitte der 1960er- Jahre vollzog er dann den Schritt zu einer neuen Materialästhetik, indem er „das Farbpigment zentimeterdick mit dem Palettenmesser aufträgt. Dadurch schreitet die Abstraktion rasant voran, die teils sechs bis sieben Zentimeter dicken Bilder bekommen plastische Qualitäten, die gesamte Energie der Natur wird in Farbenergie umgesetzt, und entfalten eine Intensität, der man sich schwerlich entziehen kann“, erklärt das Klaus Albrecht Schröder anschaulich.
Und genau um diese „Übertragung der Energie, darum, die Kraft der Natur einzufangen und in Abstraktion zu übersetzen“, sei es seinem Vater gegangen, unterstreicht Jakob Grabmayr.
„Das Wesentliche aber – und das unterscheidet ihn von allen anderen – ist seine 1.000-prozentige Fokussierung auf sein Werk und die absolute Besessenheit. Wenn er nicht gearbeitet hat, hat er Kunstbücher studiert. Selbst unsere Mutter hat er im Louvre vor der ‚Mona Lisa‘ kennengelernt. Woanders wär’s gar nicht möglich gewesen. Und auch mit zwei Kindern hat sich bei ihm weiter alles um die Kunst gedreht. Es hat keinen Tag Urlaub gegeben. Er hat auch eine Professur an der Akademie abgelehnt, obwohl er das Geld gut gebrauchen hätte können, weil es lange finanziell sehr schwierig war“, erinnert sich Jakob Grabmayr an abenteuerlich-spannende wie oftmals anstrengende Zeiten mit seinem Vater.
„Die Familie Grabmayr war ein Uhrwerk, das funktionieren musste, damit mein Vater sein Werk erschaffen konnte. Er war nur einen Tag in der Woche zu Hause, hat entweder im Wiener Winteratelier gelebt oder monatelang im Waldviertel“ – wo es bis zu seinem Tod weder Strom noch Fließwasser gab. „Er hat die Kraft des Primitiven und Ursprünglichen gesucht. Das war ihm wichtiger als Komfort. Seine ganze Arbeit ist ja in der Natur entstanden. Nicht in der Fantasie oder im Atelier. Er hat immer vor dem konkreten Motiv gearbeitet, in der Landschaft, vor dem Feuer oder neben einer Tänzerin.“
Rausch und Extase
Und dafür hat Grabmayr keine noch so halsbrecherische Aktion gescheut. Jeder andere Künstler hätte aufwendige Events wie nächtliche Feueraktionen vermarktet, gar nicht zu reden davon, wie instagramable das für die heutige Generation umzusetzen wäre. Franz Grabmayr tat Gegenteiliges, wollte seine Ruhe haben und ließ kaum jemanden abseits der Familie an seinen extremen Arbeitssituationen teilhaben.
Egal, ob er ein halbes Jahr lang ausschließlich und mitten im Fluss die Kamp-Felsen malte oder einen Traktoranhänger zur „fahrenden Werkstatt“ umgebaute, auf der er mit Leinwand und fixierten Farbkübeln loderndes Feuer als Motiv während des Malvorgangs umkreiste. Dafür bat er einen Bauern, mit dem Traktor im Fünf-Stundenkilometer-Tempo um das Lagerfeuer zu kurven.
Den rauschhaften Malprozess beschrieb er später in einem seiner raren Interviews folgendermaßen: „Das Feuer hat so eine Wildheit, man muss ihm die gleiche Kraft entgegensetzen. Ich habe die Farbe aus dem Kübel auf die Leinwand geworfen: die Kraft und die Wildheit des Feuers und meine Kraft und Wildheit auf der Leinwand. Da kann man nicht einfach mit dem Pinsel feinmalen.“
Ende der 1960er-Jahre begeisterte sich der Künstler auch für die Dynamik und Ausdruckskraft des bewegten Körpers und seine ersten „Tanzbilder“ entstanden. Und zwar auch während der Ballettaufführungen in der Staatsoper, wo Grabmayr bis 1982 im Seitengang auf dem Boden kniend mit Erlaubnis der Direktion malen durfte. Neben Edgar Degas war Franz Grabmayr damit wohl der einzige Künstler, der in einem Opernhaus gemalt hat.
Nicht von ungefähr outet sich auch Staatsopernchef Bogdan Roščić als Fan des Malers und seiner hochdynamischen Kompositionen. Roščić erbat sich von den Erben für sein neues Büro ein zwei mal drei Meter großes „Tanzbild“ als Leihgabe. Womit Franz Grabmayr in gewisser Weise an die Wiener Staatsoper zurückgekehrt ist.
Die Tanzmalerei hat er später übrigens auch in seinem Winteratelier im Karl-Marx-Hof weiterentwickelt, mit großformatigen Bildern auf Molino, zuerst mit Stoff-, später mit Acrylfarben. Nach und nach kamen die Tänzerinnen für die Bewegungsstudien zu Grabmayr ins Atelier, während in einer Nachbarwohnung Franz West seine ersten „Passstücke“ fertigte. Im Winter 2011 entstehen die letzten „Tanzblätter“. 2015 stirbt Franz Grabmayr 88-jährig nach langem Spitalsaufenthalt.
Sein Vater sei kein Geschäftsmann gewesen, sondern einer, dem jede Marketingstrategie fremd war, resümiert Sohn Jakob. Als er im Zuge seiner Ausstellung im Belvedere zum 75. Geburtstag einige Arbeiten verkauft hat, worauf man als Künstler ja durchaus aufbauen kann, hätte sich sein Vater nur gefreut, sich jetzt zwei Jahre nicht mehr ums Geschäft kümmern zu müssen. „Sein Job war das Malen, und da wusste er immer, wo seine Stärken liegen.“
In Kooperation mit dem Galeristen Herwig Dunzendorfer der Galerie Artecont ist Jakob Grabmayr bemüht, den Nachlass entsprechend sorgfältig aufzuarbeiten und langfristig auch mit internationalen Partnergalerien zusammenzuarbeiten. Die Preise der Arbeiten haben sich seit dem Tod des Künstlers zwar verdoppelt. Mit einer Preisspanne zwischen 40.000 und 120.000 Euro gilt Grabmayr aber international als noch unterbewertet. Für Klaus Albrecht Schröder nur eine Frage der Zeit, denn: „Wirkliche Genies werden irgendwann auch als solche erkannt.“
Der Artikel ist ursprünglich in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 9. September 2022 erschienen.