Nina Raftopoulo, Managing Director von Independent Collectors
©Independent CollectorsNina Raftopoulo ist Managing Director von Independent Collectors. Ein Gespräch über das Kunstsammeln, Kunst als Investment und die eine Frage, die wir uns im Leben immer stellen sollten.
Nina Raftopoulo kennt sich aus in der Kunstbranche. Sie ist seit 2017 Geschäftsführerin von Independent Collectors - einer der führenden Online-Plattformen, die sich auf private Sammlungen zeitgenössischer Kunst spezialisiert hat.
Die 2008 in Berlin gegründete Agentur hat es sich zur Aufgabe gemacht, private Sammlungen zu repräsentierten, zu beraten und zu betreuen. Zudem unterstützt sie auch Unternehmen, Zugang in die Kunstwelt zu erhalten. 2019 wurde die Agentur mit dem Art-Cologne-Preis für herausragende Kunstvermittlung ausgezeichnet.
Was ist die Vision hinter Independent Collectors und wie hat sich diese seit der Gründung entwickelt?
Independent Collectors wurde 2008 als erstes soziales Netzwerk für Sammler:innen gegründet. Wir sind also sozusagen ein Social-Media-Oldie – vier Jahre jünger als Facebook und zwei Jahre älter als Instagram. "Die Zeit" schrieb kurz nach unserer Gründung über uns, wir seien eine Art "Facebook für Ästheten", was wir einerseits schmeichelhaft und andererseits etwas prätentiös fanden.
Von Anfang an ging es uns nicht um Elitismus, sondern um eine verbindende, digitale Kunstvermittlung. Wir ersetzten damals Quantität – das Geheimnis eines jeden erfolgreichen sozialen Netzwerks – durch die Qualität einer individuell verifizierten und somit geschützten Community, die sich in den darauffolgenden Jahren zur größten Online-Plattform für Kunst in Privatbesitz entwickeln sollte.
Ein Jahrzehnt später öffneten wir den Membership-Bereich für die breite Öffentlichkeit und ermöglichten allen Kunstbegeisterten den Zugang zu über 500 Online-Ausstellungen auf independent-collectors.com. Für unser Engagement wurden wir 2019 mit dem Art-Cologne-Preis ausgezeichnet. Seit Anfang 2024 sind wir Teil der NZZ Mediengruppe und freuen uns nun auf eine spannende Weiterentwicklung.
Unsere Vision bleibt aber bestehen: Wir möchten Menschen für zeitgenössische Kunst begeistern.
Wie fördert Independent Collectors den Austausch und die Vernetzung innerhalb der Sammler:innen-Community?
Als wir noch einen geschlossenen Membership-Bereich hatten, konnten unsere Sammler:innen Fotos ihrer Kunstwerke hochladen und sich untereinander austauschen. Aus so manchen Chats entstand dann über die Jahre eine innige Freundschaft.
Heute fördern wir die Vernetzung wieder verstärkt in analogen Settings. Wir veranstalten Kunstreisen, kuratieren gemeinsam mit Künstler:innen Ausstellungen oder besondere Dinner-Events und treffen die Sammler:innen auf Kunstmessen oder Biennalen. Mit über 7.000 Sammler:innen halten wir digital Kontakt.
Ca. 300 davon sehen wir regelmäßig. An die 50 zählen wir zu unseren engen Vertrauten. Die Kunstwelt ist ein Dorf, aber die digitale Vernetzung sprengt glücklicherweise die Grenzen.
Wie trägt Independent Collectors zur Bildung und Sensibilisierung für zeitgenössische Kunst bei?
Auf independent-collectors.com zeigen wir zeitgenössische Kunst in Privatbesitz – vom weltbekannten Museum in einer Kultur-Metropole bis hin zu unbekannten Privathäusern im ländlichen Raum.
In unserem Newsletter und Social-Media-Kanälen schaffen wir Plattformen sowohl für aufstrebende Talente als auch für etablierte Künstler:innen. Diese Diversität erleichtert den Zugang für Menschen, die noch nicht mit zeitgenössischer Kunst in Berührung gekommen sind.
Wir ermutigen jeden, mit dem Sammeln zu beginnen und mit der eigenen Kunst zu leben. All unsere Aktivitäten sollen dazu beitragen, die Vielfalt und Lebendigkeit der zeitgenössischen Kunstszene zu stärken und zu feiern.
Independent Collectors bietet auch Beratungsdienste an. Welche spezifischen Dienstleistungen bieten Sie an und wie unterstützen diese Sammler:innen und Künstler:innen?
Es gibt zwei große Hürden, die den Menschen den Zugang zur Kunstwelt vermeintlich verwehren: Geld und Intellekt. Entweder denken die Leute, sie seien nicht wohlhabend genug, um Kunst zu kaufen, oder sie gehen davon aus, dass es ihnen an Wissen mangelt. Wir glauben, dass sich der Zugang zu dieser scheinbar unzugänglichen Welt erarbeiten lässt – und zwar mit Neugier, Authentizität und manchmal auch Humor.
In unseren Vorträgen und Workshops navigieren wir sowohl etablierte als auch aufstrebende Sammler:innen durch den vermeintlich komplexen Kunstbetrieb. Außerdem ermutigen wir Unternehmen, sich in der Kunst zu engagieren. Nicht als ein altmodischer Sponsor, sondern als eine zukunftsweisende Marke, die sich anspruchsvolle Zielgruppen erschließt, indem sie substantielle Kunstformate schafft. Diese entwickelt dann unsere Inhouse-Agentur. Ein tolles Beispiel hierfür ist der BMW Art Guide by Independent Collectors, den wir seit 2012 gemeinsam mit dem Münchner Autokonzern herausbringen.
Was ist - gute - Kunst für Sie?
Für mich ist gute Kunst eine, die emotionale Resonanz erzeugt und zum Nachdenken anregt. Sie kann vielfältige Formen annehmen, von Malerei und Skulptur bis hin zu Performance, Installation und Neuen Medien. Gute Kunst kann innovativ, provokativ, subversiv oder einfach nur schön sein, aber vor allem berührt sie mich auf irgendeine Weise. Wenn ich über eine Kunstmesse laufe, finde ich in der Regel 75 Prozent der Arbeiten eher gruselig, 20 Prozent ganz gut und die restlichen 5 Prozent wirklich herausragend. Solche Arbeiten machen wirklich was mit mir – emotional, intellektuell und manchmal sogar spirituell.
Welche Fragen muss ich mir stellen, wenn ich mir eine Kunstsammlung aufbauen möchte?
Die Frage, die wir uns immer im Leben stellen sollten: Was bringe ich in die Welt und warum?
Eine eigene Sammlung spiegelt im besten Fall die eigene Persönlichkeit wider und gibt einem die Möglichkeit, diese kontinuierlich zu hinterfragen. Und am Ende eines kunsterfüllten Lebens ist die Sammlung ein wichtiger Teil des eigenen Vermächtnisses.
Wie wichtig ist es, dass Sammler:innen eine persönliche Verbindung zu den Werken in ihrer Sammlung haben? Wie beeinflusst dies ihre Auswahlentscheidungen?
Die persönliche Verbindung ist oft von entscheidender Bedeutung. Diese Verbindung kann auf verschiedenen Ebenen existieren: emotional, intellektuell, ästhetisch oder sogar historisch. Eine solche Verbindung kann das Sammeln zu einer leidenschaftlichen und erfüllenden Erfahrung machen. Die Bedeutung dieser Verbindung für die Auswahlentscheidungen der Sammler:innen kann enorm sein. Sie kann dazu führen, dass Sammler bevorzugt Werke von Künstler:innen erwerben, mit denen sie sich identifizieren können. Auch persönliche Erinnerungen oder Lebensphasen können eine Rolle bei der Auswahl spielen. Letztendlich trägt die persönliche Verbindung dazu bei, dass eine Sammlung nicht nur aus rein materiellen Objekten besteht, sondern auch eine Geschichte erzählt und einen Einblick in die Persönlichkeit und die Interessen des Sammlers bietet.
Wie beeinflusst denn der persönliche Kontakt oder das Kennenlernen der Künstler:innen Entscheidungen beim Sammeln von Werken?
Der persönliche Kontakt zu den Künstler:innen in Form von Atelierbesuchen und inspirierenden Gesprächen ist für mich oft der schönste Aspekt am Sammeln und mündet manchmal sogar in einer innigen Freundschaft. Das muss aber bzw. darf nicht für jede:n Sammler:in gelten. Die armen Künstler:innen müssten ja sonst mit jedem befreundet sein, der ihre Werke kauft. Das kann man ja niemandem zumuten (lacht).
Außerdem ist es auch schön, einen Künstler oder eine Künstlerin lediglich aus der Ferne zu bewundern.
Können Sie den Prozess der - intuitiven - Auswahl eines Kunstwerks beschreiben? Wie wissen Sie, dass ein Kunstwerk 'richtig' für Ihre Sammlung ist?
Da ich mit meiner Kunst lebe, ist der Auswahlprozess sehr einfach. Ich weiß es einfach, wenn sich ein neues Kunstwerk zu den anderen gesellen sollte. Wichtig ist mir, dass alle Arbeiten miteinander kommunizieren. Das gilt auch für alle anderen Objekte, wie Möbel und Küchengeräte, die sich in meiner Wohnung frei im Raum verteilt einander zuwenden. Deshalb steht in meinem Schlafzimmer zum Beispiel eine zu einem Stuhl umgestaltete Mikrowelle von Pegasus Product, die mit einer Metall-Installation von Paco König spricht, während ich dazwischen schlafe.
Welche Hauptherausforderungen sehen Sie derzeit für Sammler:innen und Investor:innen im Kunstmarkt?
Fälschungen, Preisvolatilität, Spekulation, Regulierung, Globalisierung, Marktintegration und vor allem technologische Innovation. Neue Technologien wie die Blockchain können das Potenzial haben, Transparenz und Authentizität im Kunstmarkt zu verbessern, stellen jedoch auch neue Herausforderungen und Anpassungen dar. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist es wichtig, dass sich Sammler:innen und Investor:innen im Kunstmarkt gründlich informieren, Risiken abwägen und sich professionelle Beratung suchen, um fundierte Entscheidungen zu treffen.
Wie sehen Sie die Rolle von Kunst als Investitionsobjekt?
Kunst kann eine alternative Anlageform sein, aber sie ist auch volatil und mit erheblichen Risiken verbunden. Obwohl einige Kunstwerke beträchtliche Wertsteigerungen erfahren können, ist der langfristige Erfolg nicht garantiert.
Investitionen in Kunst erfordern gründliche Recherche und Risikobereitschaft, da der Markt von Spekulationen beeinflusst wird. Der Unterschied zu anderen hochspekulativen Anlagen wie Kryptowährungen, Derivatprodukte, Penny Stocks oder Start-ups ist der, dass die Recherche zu Kunstwerken immer auch kulturell reich macht. Ich empfehle, junge Kunst zu kaufen, damit jahrzehntelang zu leben, um sich dann im besten Fall darüber zu freuen, dass man eine weltbekannte Künstlerposition zu Hause hat. Das freut dann auch die Erben.
Wie beurteilen Sie die Rolle von Kunstfonds im aktuellen Kunstinvestmentmarkt und welche Vorteile bieten sie im Vergleich zu direkten Kunstinvestitionen?
Kunstfonds spielen eine zunehmend wichtige Rolle im Kunstinvestmentmarkt und bieten verschiedene Vorteile. Im Vergleich zu direkten Kunstinvestitionen, bei denen es oft schwierig ist, Käufer:innen zu finden oder Kunstwerke zu verkaufen, bieten Kunstfonds oft eine höhere Liquidität. Anleger:innen können ihre Anteile am Fonds leicht kaufen oder verkaufen, was Flexibilität und Zugänglichkeit erhöht. Außerdem ermöglichen Kunstfonds Anleger:innen den Zugang zu hochwertigen Kunstwerken, die normalerweise für Einzelpersonen unerschwinglich wären. Im besten Fall werden Kunstfonds von Expert:innen verwaltet, die über fundiertes Wissen und Erfahrung im Kunstmarkt verfügen. Dennoch sollten Anleger:innen die üblichen Risiken von Anlagefonds berücksichtigen. Es ist natürlich wichtig, selbst gründliche Recherche zu betreiben und die Anlageziele und Risikotoleranz zu berücksichtigen, bevor man sich für eine Investition entscheidet.
Inwiefern hat die Digitalisierung die Art und Weise verändert, wie Kunst gesammelt und präsentiert wird?
Social Media hat die Art und Weise Kunst zu präsentieren natürlich radikal verändert. Zu Beginn hatten die meisten unserer Sammler:innen noch nicht mal eine Website. Heute hat so gut wie jede:r einen Instagram-Kanal und manche sogar professionelle Marketingabteilungen. Die Lust sich zu zeigen hat sich enorm gesteigert. Das beobachten wir natürlich auch bei vielen Künstler:innen. Die Digitalisierung ermöglicht ihnen ganz neue Vertriebsmöglichkeiten und eine nie dagewesene Unabhängigkeit vom etablierten Kunstmarkt. Gleichzeitig gelten immer noch die alten, analogen Regeln. Viele Künstler:innen wünschen sich, von etablierten Galerien langfristig vertreten zu werden, und die vermeintliche Demokratisierung hat leider nicht nur Gerechtigkeit und Sichtbarkeit für unterrepräsentierte Künstlerpositionen hervorgebracht, sondern mündet viel zu oft in Beliebigkeit und Austauschbarkeit.
Ich beobachte beides: einen nostalgischen Wunsch nach analogen Methoden, der leider auch oft mit Ressentiments gegenüber neuen Technologien einhergeht, sowie eine hoffnungsvolle und teils blinde Euphorie in Bezug auf Neue Medien und KI. Letzteres ist natürlich ein absoluter Gamechanger.
Welche Rolle spielt der Zufall beim Aufbau Ihrer Kunstsammlung?
Manche Sammler:innen lassen sich spontan von einem bestimmten Werk inspirieren, das sie zufällig entdecken, während andere gezielt nach bestimmten Künstler:innen suchen, aber dennoch dem Zufall überlassen, welche Arbeiten letztendlich ihren Weg in ihre Sammlung finden. Außerdem können Umstände wie Auktionsergebnisse, Ausstellungen oder sogar persönliche Begegnungen mit Künstler:innen oder anderen Sammler:innen den Zufall in die Auswahl einspielen. In gewisser Weise kann der Zufall dazu beitragen, dass eine Kunstsammlung eine organische und einzigartige Zusammensetzung erhält. Ich persönlich glaube aber nicht an Zufall. Es wäre zu einfach, unsentimental und geheimnislos.
Ist gute Kunst immer teuer?
Sehr gute Kunst kann sehr erschwinglich sein. Und sehr teure Kunst kann sehr schlecht sein. Es ist wichtig, dass Sammler:innen sich nicht ausschließlich auf den Preis verlassen, sondern sich von ihrer eigenen Begeisterung und Wertschätzung für das Werk leiten lassen.
Welcher Künstler, welche Künstlerin beeindruckt Sie aktuell am meisten?
Hague Yang, Slavs and Tatars, Nina Carell sowie neue Positionen wie Pegasus Product, Lucia Kempkes und Shona Stark.
Wie würden Sie Ihre persönliche Kunstsammlung beschreiben?
Politisch und poetisch zugleich. Knarzig. Eigenartig. Persönlich. Noch nicht der Rede wert. Vielleicht bald der Rede wert.