Szene aus "Veni Vidi Vici". Die Maynards (Bildmitte: Laurence Rupp und Ursina Lardi) samt Entourage am Poloplatz. Julia Niemann und Daniel Hoesl sehen ihren bereits beim Sundance Festival gefeierten Film über die Superreichen und die skrupellosen Verstrickungen von Wirtschaft und Politik als gesellschaftlichen Wakeup Call.
©ULRICH SEIDL FILMPRODUKTION, ELSA OKAZAKIDaniel Hoesls und Julia Niemanns bitterböse Satire VENI VIDI VICI erzählt von einer superreichen Familie und den Verflechtungen mit Politik und Wirtschaft. Das Regieduo im Interview über die Role Models und die Lüge der Leistungsgesellschaft.
Ethik? Pure Zeitverschwendung! Sich an Regeln halten? Dafür bin ich zu kreativ“, das ist das Lebensmotto von Amon Maynard. Und der Erfolg gibt ihm recht. Maynard, gespielt von Laurence Rupp, ist der Protagonist im Film „Veni Vidi Vici“ des österreichischen Regieduos Julia Niemann und Daniel Hoesl. Ein smarter Milliardär, Investor und begeisterter Familienmensch, der mit seiner Frau Viktoria, einer erfolgreichen Anwältin (Ursina Lardi), ein perfektes Leben führt, wozu auch zwei kleine nicht weiße Adoptivkinder zählen, auch Butler und Au-pair sind natürlich bestens in die Familie integriert. Die älteste Tochter spielt Polo und kann auch schon eine Kalaschnikow aus der hauseigenen Waffensammlung zerlegen.
Im weitläufigen Wohnpalais hört man Mozart, sammelt Kunst, diskutiert über Architektur und die Turbokapitalismus-Theorien von Ayn Rand. Auch geschäftlich ist Maynard, der mit Barta die größte Batteriefabrik Europas baut, erfolgreich. Medial gefeiert und bestens vernetzt, bekommt er von der Politik, alles, was er will. Flächenumwidmung in Bauland? Kein Problem. Immerhin geht es um den Erhalt des Wirtschaftsstandorts. Gesetze, die für andere gelten, sind für ihn längst außer Kraft gesetzt. Amon Maynard ist einer, der mit allem durchkommt.
Das Spiel der Mächtigen
Aber „no risk, no fun“. Und so geht Amon für seine Work-Life-Balance zur Jagd, aber er schießt keine Tiere, sondern auf Menschen. In „American Psycho“-Manier ist er sich sicher, straffrei alles tun zu können, was er will. Ein Mindset, das man, so Drehbuchautor und Regisseur Daniel Hoesl, durchaus kennt, etwa von Donald Trump, der, bevor er 2016 zum Präsidenten der USA gewählt wurde, prahlte: „Ich könnte mitten auf der Fifth Avenue stehen und jemanden erschießen, und ich würde keine Wähler:innen verlieren.“
Der Regisseur und Drehbuchautor beschäftigt sich in seiner filmischen Arbeit bevorzugt mit dem Kapital und seinen Kräften und recherchiert gemeinsam mit Julia Niemann seit über zehn Jahren im Milieu der Superreichen. Ihre grelle Kapitalismus-Groteske „Veni Vidi Vici“ hat am 12. 9. Premiere. Warum das kein Thema für wenige ist und wir alle mehr über Geld sprechen sollten, erklären sie im Interview.
"Wir nennen das nicht Satire, sondern Hyperrealismus."
Sie beschäftigen sich seit über zehn Jahren in Ihrer Arbeit mit Geld und Wohlstandsphänomenen …
Wir machen Filme über den Preis des Geldes. Unsere Interessengruppe deckt sich also mit der Zielgruppe des trend.
Der Protagonist Ihres neuen Films würde sich wohl auch im trend-Ranking der 100 reichsten Österreicher finden. Mit der bitterbösen Satire geben Sie einen Einblick ins Leben der Milliardärsfamilie Maynard, die sich, wörtlich und im übertragenen Sinn, alles leisten kann.
Wir nennen das nicht Satire, sondern Hyperrealismus. Die Idee ist, die Wirklichkeit nur ein bisschen verschärft dazustellen. Eine kleine Anekdote dazu: Wir haben das Drehbuch einer sehr, sehr wohlhabenden Person vorab zu lesen gegeben. Und die meinte nur: „Wo ist denn dabei die Satire?“ HOESL: Vielen reichen Investoren ist ja bewusst, dass sie quasi über dem Gesetz stehen. Wenn man eine größere Firma besitzt, dann kennt man die Politiker, die auch von einem abhängig sind, weil Arbeitsplätze benötigt werden, und so beginnt bereits auf kommunaler Ebene die Macht.
Diese Verstrickung von Politik, Wirtschaft und Medien samt Bezügen zur Realität, ist eines der zentralen Motive von „Veni Vidi Vici.“ Sie zeigen, wie leicht Hürden für Menschen an den Quellen der Macht aus dem Weg geräumt werden.
Die Geschichte, die wir erzählen, findet man immer wieder: ob bei den Panama Papers, dem Wirecard-Skandal rund um unseren All-Time-Hero Jan Marsalek. Oder bei der Pleite der Signa Holding von René Benko. NIEMANN: Auch der deutsch-amerikanische Investor Nicolas Berggruen war uns eine große Inspiration. Der Mann, der von Politik wie Gewerkschaft als Heilsbringer beklatscht wurde, gut aussehend, kunstsinnig – sein Vater war der Galerist von Picasso – und der dann Karstadt für einen Euro geschenkt bekommen hat. Haben sich die Hoffnungen in ihn als tragbar erwiesen? Eher nicht.
Serien wie „Succession“ oder Filme wie „Saltburn“, also Geschichten über Luxus und Lifstyle der Superreichen boomen. Woher kommt diese Faszination?
Wir haben nach Fertigstellung unseres Films bemerkt, dass da gerade großes Interesse da ist. Vor allem in den USA gibt es einen Hunger nach Storys, die sich ums Geld und das Milieu der Superreichen drehen. Wir suchen offenbar immer nach so einem Messias, der letzten Endes aber nur sich selbst in die Taschen wirtschaftet. Weil das die Sehnsucht in uns füttert, dass das uns auch gelingen könnte. Dass auch wir vom Eisverkäufer in Schönbrunn zum Superreichen aufsteigen könnten.
Faktum ist, dass man mit herkömmlicher Arbeit heute nicht mehr reich werden kann, eher mit einer guten Start-up-Idee.
Die Leistungsgesellschaft ist Bauerntheater, aber die Leute glauben immer noch dran. Weil sie daran glauben müssen, dass man es wirklich zu was bringen kann, wenn man hart genug arbeitet. Weil sie einen Motor brauchen, um weiterzumachen. Es bleibt immer die Hoffnung, dass man selbst die Ausnahme ist. Wir Menschen haben das in uns, dass wir besser werden wollen, einen Schritt vorausgehen wollen, für unsere Kinder ein besseres Leben haben wollen. Daher inspirieren uns solche Erfolgsgeschichten.
Die Hybris glänzt ja. Der amerikanische Traum ist immer noch am Leben, obwohl sich der Kapitalismus dort noch in viel harscherer Form zeigt. Wenn man sich anschaut, was Elon Musk alles Beeindruckendes geleistet hat – vom Bezahldienst bis zum Elektroauto und einem Medienimperium – und ihm ein Präsidentschaftskandidat einen Sitz in seinem Kabinett anbietet, sieht man, wie Geld und Macht miteinander verwoben sind. Das sind Dinge, die wir alle wissen. Auch in unserem Film zeigen wir nur Dinge, die wir alle schon wissen. Aber man wundert sich, wie klein man uns alle machen kann. Die Mittelschicht zerbröselt und arbeitet sich dumm und deppert, um sich bald das Leben nicht mehr leisten zu können. Wir wissen doch alle, dass es Steueroasen gibt, Millionen an Europäern entgehen Milliarden an Steuergeldern, und wir lassen es einfach zu. Leute wie unser Protagonist nutzen das einfach aus.
In Serien wie „Succession“ oder „White Lotus“ sieht man die reiche Familie auch immer dysfunktional und man denkt sich, so reich zu sein ist auch nicht leicht. Das wollten wir anders machen. Bei uns ist man nicht im Safe Space des Unterhaltungskinos mit leichten Lösungen und im Schwarz-Weiß-Denken. Meistens lautet das Narrativ: „Kill the Rich.“ Bei uns ist es: „The Rich kill us!“ „Veni Vidi Vici“ ist ein Wake-up Call. Wir wollten die Leute wütend machen mit dem Film. Die Leute sind zwar schon wütend. Aber auf die Falschen. Die Wut nach den Panama Papers war nicht annähernd so stark wie während der Flüchtlingskrise. Wir wollen, dass die Leute mit einer Wut aus diesem Film herausgehen auf das obere eine Prozent und zum Teil auch auf sich selbst. Es geht in diesem Film definitiv um die Frage: Wer wird diesen Leuten endlich Einhalt gebieten? Wer, wenn nicht wir?
Wo sehen Sie denn Handlungsmöglichkeiten für den Einzelnen?
Man muss aufstehen, sich engagieren, formulieren, wofür man steht. Es gibt sehr reiche Leute, die selbst fordern, besteuert zu werden. Wir müssen unsere Politiker dazu zwingen, Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Vermögen umverteilt wird, damit wir alle Perspektiven haben. Auch wenn wir nicht das Rezept, wie man das ändern kann, mit dem Film auf den Tisch legen können, ist ein Tropfen auf den heißen Stein die Chance, dass sich das komplette Weltklima ändert.
Die SPÖ pocht auf einen „gerechten Beitrag“ für Reiche gegen die wachsende gesellschaftliche Ungleichheit, auch beim G20-Gipfel im Juli wurde eine Mindeststeuer für Milliardär:innen gefordert, die die strukturelle Ungerechtigkeit heutiger Steuersysteme beseitigt …
Es gab auch schon Zeiten, wo es für die Armen noch schlimmer war als heute und die Reichen noch reicher waren. Aber es geht ja darum, dass man sich in einer Gesellschaft wohl fühlt. Wir alle wollen auch Perspektiven haben und durch Leistung etwas erreichen können. Wenn diese Perspektive fehlt, sind Probleme für alle da. Da will niemand hin. Es ist nicht nur ethisch problematisch, dass immer weniger Menschen immer mehr und immer mehr Menschen immer weniger besitzen.
Auf eine Entwicklung der Hauptcharaktere Ihres Films hofft man vergebens, es gibt keine Katharsis der Protagonisten, die dadurch nicht wirklich sympathisch rüberkommen.
Wir haben schon versucht, die Geschichte mit einer „Sympathy for the Devil“ zu betrachten.
Selbst unsere Hauptfigur, einen Mörder, zeigen wir auch als liebenswürdigen Familienvater, als einen mit Handschlagqualitäten, der viel erreicht hat in seinem Leben. Aber der Protagonist und seine Familie durchleben keine Katharsis, weil sie quasi nichts dazulernen müssen. Wenn sie einen Fehler machen, wird der ausgebügelt oder übersehen, weil die Katharsis ein Märchen ist, das meist nicht zutrifft.
„Veni Vidi Vici“ ist schon international gelaufen, u. a. beim Sundance Film Festival. Wird der Film unterschiedlich aufgenommen?
Wir merken, dass er in Städten oder Ländern, in denen die Menschen viel Geld haben, besonders gut aufgenommen und heftig diskutiert wird. Auch in postkommunistischen Ländern gibt es ein Sensorium für die Thematik.
In Österreich ist das Finanzwissen der breiten Bevölkerung immer noch erschreckend gering.
Es braucht eine Kultur im Umgang mit Finanzwissen. Bei uns gibt es um 20 Uhr im ORF „Seitenblicke“, in der Schweiz gibt es Börsennachrichten. Finanzwissen bedeutet für viele hierzulande auch zumeist nur: Wie macht man das schnelle Geld? Wichtiger wäre, zu wissen, was es bedeutet, wenn ich in den Nasdaq investiere. Was passiert da in Holland, Irland und Delaware? Das sind Dinge, die Finanzwissen ausmachen, und nicht: Wer sind die top zehn ETF-Manager oder was ist die beste Bitcoin-Trading-Plattform?
Gehen wir zum Umgang mit Reichtum. Wo liegt denn der Unterschied zwischen Millionär:innen und Milliardär:innen?
Ab einem gewissen Grad haben die Menschen nicht mehr nötig, ihren Reichtum zu zeigen. Der Millionär möchte vielleicht noch zeigen, was er für ein Auto fährt, was er für ein Haus bewohnt, aber der Milliardär tut gut daran, den Reichtum unter dem Radar zu halten. So haben wir auch versucht, im Film diesen Quiet-Luxury-Ton zu treffen. Ab einem gewissen Wohlstand geht es auch nicht mehr um Geld, sondern um Machterhalt und Machtausbau, darum, Geschichte zu schreiben.
Haben Sie sich jetzt am Thema zur Genüge abgearbeitet?
Ich habe eine absolute Fixierung auf das Thema. Weil ich finde, dass die Wirtschaft im Zentrum der Gesellschaft steht. Ich denke auch, dass die katholische Kirche vom Geld abgelöst wurde. Daran hängt unser Glauben. Wir vergöttern gern Dinge und blenden auch hier, wie in der Religion, aus, dass diese oft negative Nebeneffekte haben. Ich habe mittlerweile schon einen weiteren Film über das größte Kasino Europas im Tessin gemacht. Da geht es um Hoffnung und wie sie verspielt wird. Egal, wo man hinschaut, es geht ums Geld. Das Geld existiert ja nur, weil wir dran glauben. Wer nicht dran glaubt, wird erst recht dran glauben müssen.
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