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Vienna Design Week: Welten Gestalten

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„Re:Form“ analysiert die ökologischen Auswirkungen langer Zertifizierungsprozesse

„Re:Form“ analysiert die ökologischen Auswirkungen langer Zertifizierungsprozesse

©Alexandre Fruhstorfer
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Seit 2007 zeigt die VIENNA DESIGN WEEK, wie und wo überall Design die Möglichkeit hat, unsere Welt zukunftsfähig zu machen. Ein Gespräch mit Gabriel Roland, dem Chef des Festivals, über die Entgrenzung der Branche, neue Perspektiven auf Altbekanntes, Zirkularwirtschaft, schlechten Geschmack und gute Ideen.

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Wie sehr, abseits der Brancheninsider, ist denn das Interesse für Design in Österreich überhaupt verankert?

Gabriel Roland

Design ist ein ganz wichtiger Faktor bei der Entwicklung von Strategien für eine zukunftsfähige Stadt und im Weiteren für eine zukunftsfähige Weltgeworden. Auch an den entscheidenden Stellen von Politik und Wirtschaft ist das Bewusstsein dafür, dass Design ein Werkzeug sein kann, auf multidisziplinäre Weise konkrete Lösungen und Ansätze zu entwickeln, gewachsen.

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Auch der Designbegriff hat sich extrem ausgeweitet, geht schon lange über die Gestaltung von Produkten hinaus bis hin zu Social oder digitalem Design. Wie vermittelt man das? 

Gabriel Roland

Der Begriff muss natürlich einiges aushalten. Auf der einen Seite geht es um gesamtgesellschaftliche Prozesse, auf der anderen Seite um ein Marketinginstrument. Diese absolute Entgrenzung der Branche ist eine Herausforderung in der Definition wie in der Kommunikation. Wir setzen daher sehr stark darauf, genau diesen Spagat einer gesamtgesellschaftlichen Relevanz von Design im Dialog mit der kommerziellen Seite für alle erlebbar zu machen. Es geht darum, zu vermitteln, wie wirkmächtig Design als Werkzeug sein kann. Aber es geht auch darum, die Lust am Gestalten zu feiern und neue Perspektiven anzubieten. Deswegen gehen wir an Orte, wo man Design nicht vermutet hätte, und in den öffentlichen Raum hin zu den Menschen und versuchen, uns auch mit den jeweiligen Festivalzentralen aus der Blase hinauszubewegen. So gut wie alle Veranstaltungsorte und Programmschienen der Vienna Design Week sind bei freiem Eintritt zugänglich und von niederschwelligem Vermittlungsprogramm erschlossen.

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Hat Ihre jahrelange Aufbauarbeit schon gefruchtet? 

Gabriel Roland

Das zu beurteilen, wäre eine Selbstüberschätzung. Aber das Beglückende in unserer Arbeit ist, dass so ein Festival zumindest in der Lage ist, Neugier zu wecken, Schwellenangst zu nehmen und Leute zu vernetzen, die normalerweise nicht miteinander reden. Wie etwa bei unseren "Passionswegen", wo neue Kooperationen zwischen Handwerksbetrieben und Designer:innen entstehen.

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DESIGN FOR HUMAN DIVERSITY (l.): Georg Siegele zeigt seine "Haustiere", Objekte zum Stützen und Sitzen. NEUINTERPRETATION (M.): Tischlermeisterin Johanna Schörkhuber übersetzt den traditionellen Sekretär ins 21. Jahrhundert und vereint Funktionalität und Eleganz. FOOD DESIGN (r.): Das Forschungsstudio zOO, Food-Designerin Magdalena Weiss und Biotech-Start-up Arkeon inszenierten neuartige Nahrungsmittel.

 © Vienna Design Week 2023: New Design University/Franz Weingartner)/Studio zOO
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Was zeichnet denn gutes Design aus?

Gabriel Roland

Ich denke, Design ist dann gut, wenn es eine konzeptionelle, gestalterische und emotionale Ebene hat. Das kann man nicht immer rational begründen. Gutes Design ist in der Lage, ganz viele Aspekte miteinzubeziehen und mitzudenken: etwa ökologische Aspekte, jene der Zirkularität, der Kreislaufführung von Materialien, der Vermeidung von unnötigem Aufwand und soziale Nachhaltigkeit. Design soll Menschen zusammenbringen und ihr Auskommen miteinander erleichtern.

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Was heißt das angewandt? 

Gabriel Roland

Ob bei Sitzmöbeln oder Verpackungslösungen - gerade in der Gestaltung von Dingen, die wir alltäglich und ausgiebig verwenden, kann innovatives, nachhaltig gedachtes Produktdesign sein volles Veränderungspotenzial entfalten. Noch mehr, wenn der lange Hebel der Industrie dazukommt, wie bei unserem Pilotprojekt "Re:Form", wo wir Design, Unternehmensberatung und Industriebetriebe zusammenbringen. Gemeinsames Ziel sind ökologisch und sozial verträgliche Formen des Wirtschaftens. Bei einem der fünf Projekte arbeiten wir mit dem Wiener Verpackungsunternehmen Pawel Packing, das wir mit den Designer:innen von studio re.d zusammengespannt haben, die auf Zirkularität spezialisiert sind. In der Regel werden die hochwertigen Verpackungen vom Empfänger als Abfall entsorgt. Jetzt geht es darum, wie man damit etwas Sinnvolles, Nachhaltiges machen kann wie eine Sitzgruppe, die sich mit einfachem Werkzeug herstellen lässt. Das stärkt das Empfinden für den Wert von Materialien und ist ein einfacher Eingriff mit großer Wirkung.

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REST IN BEAUTY (l.): Barbara Gollackner zelebriert die Schönheit des Materials mit einer raffinierten Kombination von übrig gebliebenen Werkstoffen. GRAFIKDESIGN (M.): Die Festivalkampagne "Design is in the Air" kommt auch heuer wieder vom Wiener Studio Bueronardin um Art Director Christof Nardin. ZIRKULARITÄT (r.) Für das Projekt "Re:Form" hat das das Studio re.d Sitzmöbel aus entsorgten Verpackungen von Pawel Packing gemacht.

 © Vienna Design Week 2023: studio re.d /Kathrin Gollackner/Apollonia t. Bitzan
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Da drängt sich die Frage auf, warum es andererseits noch nicht gelungen ist, das Verpackungsdesign vieler alltäglicher Produkte so zu gestalten, dass man sie "deppensicher" öffnen kann. 

Gabriel Roland

Die Welt der Produkte und unsere materielle Existenz sind Quell endloser Frustrationen. Dass nach wie vor die Welt nicht für uns entworfen scheint, ist der Treppenwitz dieses Themas. Faktum ist, dass konstant weltweit für jeden von uns Designentscheidungen getroffen werden. Das zu reflektieren, kann uns Möglichkeiten zeigen, mit diesem Frust umzugehen.

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Wien hat ja eine lange Tradition in gutem Design, war schon mit der Wiener Werkstätte international prägend. Wie steht es aktuell um das kreative Potenzial der Stadt?

Gabriel Roland

Wien hat ein starkes Profil, das international vielfach stärker wahrgenommen wird als im Land selber. Die jungen Designstudios arbeiten mit allen Facetten der Stadt von der Handwerkskunst bis zur Versorgungssicherheit, wie auch unser Programmschwerpunkt "The City as a Resource" zeigt. Die jungen Designer:innen arbeiten sehr kollektiv, haben Shared Studios, nutzen Ressourcen gemeinsam, sind international gut vernetzt, viele haben bereits internationale Karriereschritte hinter sich und eine breite Basis, wo Kontakte und Kooperationen auch in die bildende Kunst, die Forschung oder die Architektur reichen. Das versuchen wir als Festival auch abzubilden. Wir wollen eine Plattform sein, wo sich nicht nur die "Fachidioten" austauschen, sondern eine Relevanz entwickeln. Man muss sich aber natürlich auch über die Grenzen von Design bewusst sein. Man kann nicht alles bewegen mit einem Blatt Papier und einem Bleistift. Design als allmächtige Generallösung kann man nicht anbieten. Es ist ein lohnendes Thema und der Schlüssel zu einer Zukunft, die lebenswert ist, aber nicht der einzige.

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Gibt es noch so etwas wie eine österreichische Handschrift im Design?

Gabriel Roland

Wahrscheinlich schon, aber sehr subtil. Man kann sie weniger ästhetisch nachzeichnen. In Wien kann man aber bei den Designstudios von einem starken Bewusstsein für ökologische und soziale Nachhaltigkeit sprechen und einem sehr bewussten Umgang mit Materialien. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es überhaupt noch die Zeit ist für große nationale Designästhetiken. Ich glaube nicht, dass das noch ein relevantes Referenzmodell im 21. Jahrhundert ist.

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Secondhand ist heute ebenso Thema wie Rückbesinnung auf alte Formen...

Gabriel Roland

Das Arbeiten mit dem Bestand ist im Design derzeit genauso entscheidend wie in der Architektur. Wir müssen uns mit dem auseinandersetzen, was es gibt, es neu bewerten und nutzen. Wir haben heuer auch beim Festival Ausstellungsarchitektur aus bereits verwendeten und wiederverwendbaren Materialien.

Wir wollen eine Plattform sein, wo sich nicht nur die ,Fachidioten‘ aus tauschen, sondern eine Relevanz entwickeln.

Roland GabrielDirektor, Vienna Design Week
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Secondhand ist heute ebenso Thema wie Rückbesinnung auf alte Formen...

Gabriel Roland

Das Arbeiten mit dem Bestand ist im Design derzeit genauso entscheidend wie in der Architektur. Wir müssen uns mit dem auseinandersetzen, was es gibt, es neu bewerten und nutzen. Wir haben heuer auch beim Festival Ausstellungsarchitektur aus bereits verwendeten und wiederverwendbaren Materialien.

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Mittlerweile kann die KI eingesetzt werden, um bei Markenprodukten zu erkennen, ob es ein Original ist. Wird sie auch bald Originale kreieren? 

Gabriel Roland

Ich sehe noch nicht, dass man den persönlichen Dialogprozess im Design durch KI ersetzen kann. Wenn es aber um serielles Weiterentwickeln geht und sich Designer:innen bewusst entschließen, KI als Instrument einzusetzen, wird das wahrscheinlich funktionieren. Viel relevanter wird sein, wie man die Technologiekonzerne dazu bringt, Verantwortung zu übernehmen für das, was sie in die Welt setzen. Und natürlich ist auch in Hinblick auf Open Design eine Diskussion über Urheberschaft längst überfällig.

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Im Rahmen einer Konferenz "Über die Grenzen von Design" setzt sich das Festival auch mit "schlechtem Geschmack" auseinander.

Gabriel Roland

Es geht nicht um den Knigge des guten Geschmacks, sondern darum, zu lernen, wie eine Gesellschaft funktioniert, anhand dessen, was sie schön oder hässlich empfindet. Interessant wird es, wenn bewusste Übertretungen passieren. Es gibt aktuell einen sehr populären Instagram-Account, der sich uglydesign nennt und einem Schauer über den Rücken treibt, gleichzeitig triggert er aber Mechanismen von Richtig und Falsch. Einer der Betreiber kommt auch zu unserer Konferenz.

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In der bildenden Kunst wird "Bad Painting" ja gerade wieder sehr gefeiert ...

Gabriel Roland

Das kann man sicher auch im Design ganz bewusst einsetzen. Immer nur alles richtig machen, ist kein valider Ansatz in der Gestaltung. Das Kultivieren des Fehlers und der Reibung des Widerstandes ist für Gestaltung sehr wichtig.

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Damit zur Gretchenfrage im Design: Wie halten Sie es mit Kitsch und gibt's in einer sehr durchökonomisierten digitalen Welt nicht wieder mehr Sehnsucht danach?

Gabriel Roland

Kitsch kann, genauso wie der schlechte Geschmack, eine sehr widerständige Praxis sein und zeigen, dass man nicht einverstanden ist mit einem Stildiktat. Das muss man durchaus ernst nehmen. Niemand lebt doch privat in einer homogen gestalteten Welt, in der es nur guten Geschmack und nur das Richtige gibt. Ich fühle mich am wohlsten in einem Mix aus Gegenständen, die nach rigorosen ästhetischen Grundsätzen gemacht worden sind, und welchen, die emotionaler, amateurhafter entstanden sind. Es geht um die Mischung. Kitsch kann dabei etwas Befreiendes sein. Gerade in einer Zeit, wo so viel Stress hinter jeder gestalterischen Entscheidung steht.

© Vienna Design Week

Steckbrief

Roland Gabriel

Beruf
Direktor, Vienna Design Week
Beschreibung

Roland Gabriel, geb. 1989 in Wien, absolvierte ein Designkolleg und studierte Textildesign in England. 2014 gründete er mit Yasmin Proksch das Lederdesignlabel YA'GA und arbeitete zeitgleich für Agenturen und Designmagazine. Seit 2021 ist er Direktor der Vienna Design Week.

Vienna Design Week 2024

Interview erschienen in der trend. PREMIUM Ausgabe vom 08.09.2023

Über die Autoren

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