Auch wenn Sie selbst Führungskraft sind, gibt es meist noch einen, der über Ihnen steht. Mit diesem unmittelbaren Vorgesetzten richtig umzugehen bringt auch Ihnen mehr Erfolg. Fredmund Malik beschreibt, wie man seinen Chef richtig managt.
Es gibt sehr viele Leute, die sich ständig über ihren Chef beklagen. Entweder sind das Anfänger, dann kann man ihnen noch helfen; oder sie sind schlicht inkompetent - dann kann man ihnen nicht mehr helfen.
Ich habe viel mit jüngeren Führungskräften zu tun. Immer wieder gibt es ein Gespräch in dem Stil:
"Ich will die Firma wechseln."
"Warum?"
"Ich komme mit meinem Chef nicht klar. Eigentlich würde es mir gut gefallen, aber mein Chef ist unmöglich."
Meistens sage ich darauf: "Was glauben Sie denn, was für einen Chef Sie in der neuen Firma bekommen werden? Einen besseren? - Sie werden einen anderen bekommen; und das Spiel wird sich nach kurzer Zeit wiederholen. Es gibt keinen Ausweg aus dieser Situation, außer Sie machen sich selbständig."
Es gibt nur eine Handvoll Extremgründe, die es rechtfertigen, den Chef zu verlassen (siehe "5 Gründe, Ihren Chef zu verlassen"). Sie dürfen sich nicht darauf verlassen, dass Ihnen der Zufall einen rundum kompetenten und problemlosen Chef zuspielt. Manchmal hat man Glück, aber es ist selten. Man muss daher lernen, seinen Chef zu managen."
5 Gründe, Ihren Chef zu verlassen
Man geht, wenn man definitiv einen inkompetenten Chef hat.
Man geht, wenn man einen moralisch korrupten Chef hat.
Man muss gehen, wenn man definitiv unterfordert ist.
Man geht, wenn man alles erreicht hat, was man erreichen kann.
Man geht, wenn man nichts mehr bewegen kann.
Was für ein Mensch ist mein Chef? Das ist die Frage, mit der man beginnen muss. Man muss herausfinden, welche spezifischen Eigenarten dieser Mensch, mein Chef, hat. Ich betone: dieser eine, spezielle Mensch. Ich habe längst aufgehört, mich dafür zu interessieren, was Manager im allgemeinen für Menschen sind. Sämtliche Umfragen über die "deutschen Manager" oder über die "schweizerischen" oder die "österreichischen" sind völlig irrelevant. Es gibt nicht "die österreichischen Manager", es gibt nur "meinen Chef", den Herrn Maier, Müller oder Huber.
Und er ist ein Unikat. Es gibt keine zwei gleichen Menschen, auch nicht in den Chefetagen unserer Wirtschaft. Zum Glück muss man auch nicht "die Manager" dieser Welt managen, sondern nur seinen eigenen Chef.
Worauf muss man achten? Man muss die speziellen Eigenarten eines Menschen kennen - und sich dann ein bisschen darauf einstellen. Im folgenden will ich - beispielhaft - skizzieren, was damit gemeint ist, welche Eigenarten ich im Auge habe. Dies wird kein vollständiger Katalog sein, es sind nur Beispiele, mit denen ich die Art der Dinge illustrieren will, die ich meine:
Ist mein Chef ein Leser, oder ist er ein Hörer?
Ist mein Chef ein Freund von längeren und detaillierten Darstellungen, oder will er alles ganz knapp und kurz haben?
Will mein Chef lange und dafür eher seltene Besprechungen oder eher kurze, dafür aber häufige?
Geht er gerne ins Detail, und kümmert er sich auch um Kleinigkeiten, oder konzentriert er sich, vielleicht sogar etwas oberflächlich, nur auf die großen Züge?
Genügt es, wenn ich meinem Chef einmal etwas sage, oder muss man die Dinge wiederholen, bevor er sie zur Kenntnis nimmt?
Ist er völlig auf die Arbeit konzentriert und eher spröde und unzugänglich, oder sucht er Kontakte und die zwischenmenschliche Beziehung?
Auf Dinge dieser Art muss man achten. Man kann sich darauf einstellen, man kann sie sogar nützen, man kann sie aber nicht ändern.
Die nächste Frage ist: Nun, da ich weiß, was für ein Mensch mein Chef ist, wie muss ich mit ihm zusammenarbeiten? Denn: Sowenig es Sinn macht, einem Hörertyp lange schriftliche Abhandlungen zu geben, so wenig Sinn hat es, einen detailverliebten Chef nur in großen Zügen zu informieren.
6 Praktiken für das Management des Chefs
1. Die Zeit des Chefs richtig nutzen
Alle Mitarbeiter beklagen sich darüber, dass ihr Chef zu wenig Zeit für sie hat; und alle Chefs beklagen sich darüber, dass sie ihren Mitarbeitern viel zu viel Zeit widmen müssen. Es gibt nur eines: die wenige Zeit, die man als Mitarbeiter von seinem Chef bekommt (es wird immer zu wenig sein), auch wirklich produktiv zu nützen. Und als Vorgesetzter hat man das Recht, dies von seinen Mitarbeitern zu verlangen. Man muss es ganz einfach tun, wenn man wirksam arbeiten will.
Der Schlüssel dazu ist Vorbereitung. Wer unvorbereitet zu seinem Chef geht, ist selber schuld, wenn nichts dabei herauskommt und wenn ihn sein Chef mit der Zeit als ineffizienten Mitarbeiter empfindet.
Für Jobeinsteiger gilt: zehn Minuten Vorbereitung für jede Minute, die man bei seinem Chef zubringt. Erfahrenere Mitarbeiter können das auf die Hälfte reduzieren; aber auch sie kommen nicht ohne Vorbereitung aus.
Man darf seinen Chef auch nicht einfach anrufen und sagen: "Ich sollte heute noch mit Ihnen sprechen." Man ruft ihn an und gibt Zweck und Ziel des erforderlichen Gespräches an, den mutmaßlichen Zeitbedarf, die Art des Resultats, das man braucht, und die Art der Vorbereitung, die dafür seinerseits erforderlich ist. "Ich muss Sie morgen sprechen. Es geht um die Angelegenheit XY. Und ich brauche eine Entscheidung von Ihnen. Es wird vermutlich etwa 30 Minuten dauern, und ich schicke Ihnen noch eine kurze Zusammenfassung über den Stand der Dinge, damit Sie sich orientieren können."
Vielleicht werden dann aus den 30 Minuten 45, und vielleicht bekommt man keine Entscheidung, weil der Chef seinerseits die Dinge noch mit anderen besprechen muss. Aber man stolpert niemals unvorbereitet in das Büro des Chefs und beginnt erst dann, seine Gedanken zusammenzustöpseln.
2. Auf die Stärken seines Chefs achten
Mein Chef, jeder Chef, hat wahrscheinlich viele und schwerwiegende Schwächen. Das gilt immer und überall. Aber er hat auch einige Stärken, vermutlich nur wenige, aber die sind es, worauf es ankommt. Nur auf Gebieten, wo er Stärken hat, wird man produktiv mit ihm zusammenarbeiten können, und nur dort werden Erfolge zu verzeichnen sein. Und das ist es, was Chefs brauchen: Erfolge. Jeden, der ihnen dabei hilft, werden sie schätzen und fördern, und die anderen, die immer ihre Schwächen sichtbar machen, werden kaum lange in ihrem Umfeld überleben. Dies mag man begrüßen oder beklagen; es ist in der Regel einfach eine Realität.
3. Niemals seinen Chef unterschätzen
Besonders jüngere Mitarbeiter, und hier ganz besonders die akademisch ausgebildeten, neigen dazu, ihren Chef zu unterschätzen - aus vielen Gründen: weil er schon älter ist, weil er nicht akademisch gebildet ist und weil sie sich selbst überschätzen.
Es ist aber immer ein kapitaler Fehler, seinen Chef zu unterschätzen. Er wird das spüren - und entsprechend reagieren. Solange mein Chef mein Chef ist, sitzt er am längeren Hebel. So ist es nun einmal. Und es muss irgendeinen Grund geben, dass er mein Chef ist und nicht ich seiner.
4. Nie den Chef überraschen - besonders nicht mit Problemen
Das ist eine eherne Regel: Verheimliche niemals ein Problem vor deinem Chef. Orientiere ihn so früh wie möglich, bei ersten Anzeichen eines Problems.
Auch für diesen Fehler sind jüngere Mitarbeiter sehr anfällig. Sie wollen die Dinge selbst erledigen, man hat ihnen ja auch entsprechende Aufgaben delegiert. Und sie trauen es sich auch zu, mit den Problemen fertig zu werden. Das alles ist im Prinzip in Ordnung, und dennoch muss man strikt auf diese Regel achten.
Wenn man seinen Chef bei den ersten Anzeichen über ein entstehendes Problem orientiert, kann es zwei Reaktionen geben: Entweder er sagt, dass sich der Mitarbeiter selbst darum kümmern soll, weil es dessen Aufgabe sei, und er solle ihn alle zwei Wochen auf dem laufenden halten; oder er zieht die Sache an sich und kümmert sich selbst um die Angelegenheit.
Den ersten Cheftyp werden die meisten schätzen und den zweiten weniger. Aber wenn der Chef dem zweiten Typ entspricht, so ist das zwar etwas lästiger, aber es ist nun mal die Realität. Entscheidend ist, dass er orientiert ist - und wie er darauf reagiert, ist seine Sache.
5. Geben Sie Ihrem Chef systematisches Feedback
Die meisten Bücher und Seminare ignorieren zwei simple Methoden, die die Kommunikation unendlich viel besser machen, ja sie überhaupt erst ermöglichen: Auftragsquittierung und Vollzugsmeldung.
Das ist die Schließung der Kommunikationskreisläufe. Es ist jener Trick, der in allen natürlichen Organismen und in allen Organisationen zu einer in der Literatur praktisch völlig übersehenen Eigenschaft führt: zu Funktionssicherheit. Überall dort, wo etwas wirklich funktioniert, wird man feststellen können, dass genau diese zwei kleinen Methoden die Kommunikation bestimmen. Die Erscheinungsformen sind sehr verschieden, das Prinzip ist immer dasselbe.
Anwendung und Wirkung dieses simplen Prinzips kann man zum Beispiel im internationalen Flugverkehr bei der Kommunikation zwischen Piloten und Tower-Lotsen, in den Operationssälen der Kliniken, bei den Börsen-Tradern oder bei alpinistischen Seilschaften studieren.
Als Mitarbeiter ist man gut beraten, nach einem Gespräch mit seinem Chef nochmals knapp zusammenzufassen, worauf man sich verständigt hat. Und zweitens ist es wichtig, den Chef in angemessen kurzen Abständen über den Stand der Dinge zu informieren und/oder den Vollzug der Sache zu melden. Ein kurzes Telefonat genügt, wenn der Chef ein Hörer ist; wenn er ein Leser ist, dann legt man eine kurze Notiz auf seinen Schreibtisch oder gibt sie der Sekretärin.
Auf diese Weise - und nur auf diese - baut man systematisch Feedback in die Arbeitsbeziehung ein, und das ist der einzige Weg, eine gute Arbeitsbeziehung zu schaffen und zu erhalten.
6. Nicht auf die Kunst des Gedankenlesens vertrauen
Man kann auf alles vertrauen, aber nicht darauf, dass der Chef ein Weltmeister darin ist, Dinge zu merken, zu spüren oder zu ahnen. Chefs sind viel zu beschäftigt, um etwas zu spüren oder zu merken. Es gibt zwar wie überall Ausnahmen, aber diese sind selten.
Wenn mir also etwas nicht passt, dann muss ich es meinem Chef sagen, damit er es weiß, wahrscheinlich sogar mehrmals. Die Kunst des Gedankenlesens kommt in den Chefetagen nicht vor. Es gehört zu meinem Job als Mitarbeiter dazu, den Chef zu informieren und nicht zu warten, bis er etwas merkt.
Dies sind die wenigen, simplen, aber praktisch in der gesamten Management-Literatur übersehenen Praktiken, die es ermöglichen, mit fast jedem Chef konstruktiv zusammenzuarbeiten. Man muss seinen Chef weder lieben, noch muss man ihn hassen. Man muss ihn nur managen.
Jüngere Leute halten mir gelegentlich vor, das sei doch blanker Opportunismus oder Speichelleckerei. Unerfahrenheit kann einen dies so sehen lassen. In Wahrheit ist es lediglich jenes Minimum an Klugheit im Umgang mit einem Menschen, der zufällig mein Vorgesetzter ist, welches das Leben und die Arbeit unendlich erleichtert.
Take Aways
Es nützt nichts, sich über den eigenen Chef zu beklagen.
Es gibt nur wenige Gründe, einen Chef zu verlassen: Inkompetenz des Chefs, Korruption, Unterforderung, eine Karriere-Sackgasse, zu wenig eigene Kompetenzen.
Man muss eine bilaterale Basis schaffen und den Chef "erziehen".
Der Beitrag ist ursprünglich in der Reihe "Malik on Management" im Magazin trend. erschienen.