WAYNE GRIFFITHS ist seit Oktober 2020 Chef der spanischen VW-Töchter Seat und Cupra. Mit SUSANNE HOFBAUER sprach er über den Bilderbucherfolg seiner jüngsten Marke und den Gegenwind beim Ausrollen der Elektro-Offensive.
Cupra kam als eigenständige Marke 2018 auf die Welt. Im Vorjahr machte Cupra mit 152.900 Fahrzeugen 40 Prozent der Gesamtverkäufe der Seat S.A. aus. Wie macht man in schwierigen Zeiten eine so sagenhaft steile Karriere?
Vielleicht ist es uns gerade wegen der schwierigen Zeit und dem schwierigen Umfeld gelungen. Als wir 2018 entschieden, Cupra als eigenständige Marke zu führen, haben uns viele belächelt. Wir fingen mit dem Ateca an, und als 2020 der Formentor kam, war es noch nicht klar, ob wir das Auto auch als Seat bringen würden. Wir haben uns dann entschieden, ihn nur als Cupra zu bringen, was sicherlich gewagt war.
Wie geht das in einer Zeit, die von Lieferengpässen und Chipmangel geprägt war?
In dieser Zeit haben es margenstarke Marken leichter. Wir haben immer im Rahmen unserer Möglichkeiten auch die ergebnisstarken Fahrzeuge priorisiert, und das waren im Sinne des Unternehmens eben die Cupra-Modelle.
Mit welchen Auswirkungen auf die Marke Seat?
Viele denken, dass Cupra Seat substituiert. Aber das stimmt nicht. Es sind zwei unterschiedliche Fahrzeugmarken, zwei unterschiedliche Kundengruppen. Trotzdem haben wir 2022 mit Seat und Cupra positiv abgeschlossen. Heuer ist die Versorgung mit Halbleitern besser, und jetzt steigt auch Seat wieder, um 14 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch das Unternehmensergebnis: 371 Millionen Betriebsgewinn im ersten Halbjahr 2023, das ist für uns ein Rekord. Ich erinnere mich, als ich bei Seat angefangen habe, da waren wir bei einem Gesamtjahresumsatz von neun bis zehn Milliarden. Jetzt machen wir mit Seat und Cupra über sieben Milliarden in einem Halbjahr.
Der Formentor wird als reiner Verbrenner und als Plug-in-Hybrid verkauft. Wird mit den kommenden, in der Hauptsache elektrischen Modellen das Wachstum so weitergehen?
Ich denke schon. Wenn wir die komplette Palette von Cupra zur Verfügung haben, könnten wir in Richtung 500.000 Fahrzeuge gehen. Mit der Produktoffensive starten wir in sehr starken Segmenten: der Terramar im A-SUV-Segment, der Tavascan im Crossover-SUV-Segment als Elektro, der kleine Raval im Elektro-Massensegment. Allerdings ist da die Frage, wie schnell sich die Elektrifizierung entwickelt. Am Beginn dachten wir, das läuft von selbst. Als die Regierungen jetzt die Incentives zurückgenommen haben, ist der Markt ein bisschen abgekühlt. Aber mittel- und langfristig ist das die Zukunft. Bis 2035 muss man null Emissionen erreichen, und ohne Elektroautos geht es nicht.
Sind Sie mit den 31.000 Fahrzeugen, die letztes Jahr vom E-Modell Born verkauft wurden, zufrieden?
Wir hätten doppelt so viele Fahrzeuge machen können. In Zwickau, wo der Born produziert wird, war aber die Produktion im ersten Jahr begrenzt. Zwickau hat den VW ID.3, ID.4 und einige Audi-Modelle – mehr ging nicht. Jetzt sind wir lieferfähig, und im ersten Halbjahr hat sich das Born-Volumen bereits mehr als verdoppelt. Ob wir uns auch im Ganzjahresergebnis verdoppeln können, werden wir aber noch sehen.
Mit dem Terramar kommt das letzte Cupra-Modell, das auch Verbrenner haben wird. Ist da das letzte Wort gesprochen?
Man soll nicht zu dogmatisch sein und nicht nur eine Lösung vorgeben, wie man das Ziel von null Emissionen erreichen will. Derzeit sehen wir das BEV (Battery-Electric-Vehicle; Anm.) als sinnvollsten Weg, aber es gibt auch andere Möglichkeiten, mit Verbrennern mit E-Fuels zum Beispiel. Am Ziel von null Emissionen sollte man jedenfalls festhalten.
Seat hat das Projekt übertragen bekommen, für den Konzern die Small-BEV-Plattform zu entwickeln und für die Marken VW, Škoda und eben Cupra ein kleines E-Modell mit einem Einstiegspreis unter 25.000 Euro zu bauen. Wird sich das preislich ausgehen?
Der wesentliche Stellhebel bei kleinen Elektroautos ist die Batterie. Der Anteil an den Kosten ist der bei Weitem größte Teil. Wenn 40 Prozent zu teuer sind, dann kannst du das nicht über die Karosserie und andere Teile abfedern. Daran wird gearbeitet und deswegen dauert es noch bis 2025. Der VW-Konzern hat mit PowerCo (im Juli 2022 gegründete Volkswagen-Tochter; Anm.) in Sagunto, Valencia, drei Milliarden Euro in eine Batteriefabrik investiert. Dort werden Batteriezellen produziert. Und kürzlich haben wir auch bekannt gegeben, dass wir in unserem Werk in Martorell eine Batterie-Assembly bauen, ein Investment von 300 Millionen mit 400 bis 500 neuen Arbeitsplätzen.
Es ist wichtig, dass man als Hersteller diese Kette selber in der Hand hat. Ausschlaggebend, warum wir das Projekt nach Spanien bekommen haben, ist unsere Wettbewerbsfähigkeit durch erneuerbare Energie. Spanien hat jetzt schon einen sehr hohen Anteil an erneuerbarer Energie, es sind etwa 50 Prozent, und das kann und wird noch deutlich ausgebaut werden. Wir haben 300 bis 320 Tage Sonne. Das ist ein enormes Potenzial.
Stellen die chinesischen Marken, die gerade auf den europäischen Markt drängen, für Ihre Planung eine Gefahr dar?
Wettbewerb spornt an, und wir müssen uns diesem Wettbewerb stellen. Aber der Wettbewerb muss fair sein – in beide Richtungen. Wenn wir Fahrzeuge in China verkaufen wollen, gibt es einiges, was wir dafür erfüllen müssen. Das sollte auch in Europa gelten – nicht nur für China, auch für die USA. Ich glaube, wir haben in diesem Wettbewerb einige entscheidende Vorteile, da sind wir wieder bei der erneuerbaren Energie, denn es macht nur Sinn, Null-Emissions-Autos mit erneuerbarer Energie zu bauen. Und da haben wir in Europa, vor allem in Südeuropa, gute Möglichkeiten.
Der Cupra Tavascan wird in China gebaut. Wieso?
Wir mussten das so entscheiden, um den Tavascan möglichst früh zu bekommen. Wie gesagt: Zwickau war voll. Der VW-Konzern ist stark in China und hat über ein Joint Venture in eine nagelneue Fabrik in Anhui in der Nähe von Shanghai investiert. Das war für uns ein Win-Win. Die VW-Modelle auf dieser Plattform werden in China verkauft, der Tavascan ist das erste Auto im Konzern, das aus China nach Europa exportiert wird.
Trotz verbesserter Chipverfügbarkeit: In Verbrennerautos werden 400 bis 500 Halbleiter verbaut, in einem E-Auto 3.000 bis 5.000 je nach Modellklasse. In der Taktzahl, in der E-Modelle derzeit auf den Markt kommen: Sorgt das nicht für neue Engpässe?
Es geht weniger um "batterieelektrischer Antrieb versus Verbrenner". Es ist die zunehmende Digitalisierung, die den Bedarf erhöht, also Connected Car, Over-the-Air-Flashing, autonomes Fahren. Da muss Europa eine Antwort geben. Bis diese Chipfabriken in Europa aufgebaut sind, das wird dauern. Für die nächste Generation Autos werden aber auch Chips aus Europa kommen.
Die Verkäufe von E-Autos sind in den letzten Monaten in Europa ins Stocken geraten, die Kaufbereitschaft hat spürbar nachgelassen. Wie reagieren Sie darauf?
Man muss flexibel bleiben, und wir haben das Glück, flexibel bleiben zu können, weil wir zwei Marken haben: Seat fokussiert mehr auf Verbrenner und Plug-in-Hybrid, Cupra auf Elektro. Und wir haben beide Produktionen in einem Werk. Wenn Cupra besonders stark ist, könnten wir Seat ausgleichen – wobei Seat, wie gesagt, derzeit ein Plus von 15 Prozent hat. Oder umgekehrt: Wenn Elektro nicht so schnell durchstartet, dann haben wir immer noch unseren Seat Ibiza, unseren Seat Arona, unseren Seat Leon. Wir arbeiten über den Sommer daran, diese Flexibilität maximal auszubauen und in der Produktion maximal die Verbrenner oder maximal die Elektroautos fahren zu können.
Tesla sorgt am Markt mit teilweise drastischen Preissenkungen für Aufruhr, und auch Newcomer BYD hat in Österreich beim Listenpreis des Atto 3 kürzlich 5.000 Euro nachgelassen. Reicht es, dass der VW-Konzern darauf nur mit "Value over Volume" antwortet?
Das Wichtigste ist tatsächlich die Rentabilität. Wir steuern das Unternehmen auch auf Rentabilität, und deshalb haben wir ein so tolles Halbjahresergebnis, obwohl wir zehn Prozent weniger Fahrzeuge gebaut haben. Die Small BEVs werden sicherlich kleinere Margen bringen, dafür brauchen wir als Gegengewicht eben den Formentor. Der Mix muss stimmen. Und natürlich müssen wir auch Volumen machen! Das ist wichtig. Wenn wir auf Volumen verzichten, werden sich andere den Anteil nehmen und wir verzichten auf Kunden, vor allem junge Kunden, die vielleicht ihr erstes Elektroauto kaufen. Wir hätten dann die Kundenloyalität für später nicht.
Oliver Blume hat erhöhte Rentabilität zu einem seiner Kernanliegen gemacht. Haben Sie da ein paar Nächte schlecht geschlafen?
Wir haben die Challenge angenommen. Wir sind sehr gut unterwegs, wir haben im ersten Halbjahr fünf Prozent Umsatzrendite gemacht. Das ist für uns ein Rekord! Ich hätte nicht gedacht, dass wir das so schnell hinkriegen.
Seat hat kein Elektromodell im Portfolio. Wird Seat nach dem Verbrenner-Aus Geschichte sein?
Das Aus für den Verbrenner kommt ja erst 2035, da sind noch mindestens ein, wahrscheinlich zwei Lebenszyklen und Zeit, zu entscheiden, welche Modelle wir für Seat anbieten werden. Aber als kleines Unternehmen mussten wir priorisieren. Wir haben uns für die Marke Cupra als ersten Schritt entschieden. Aber das heißt nicht, dass es in Zukunft keine Elektro-Seat geben könnte.
Mit Seat experimentieren Sie an einer Refurbed-Idee, also einer werkseitigen Aufbereitung für Gebrauchtwagen. Gibt es schon erste Erkenntnisse?
Ja, nämlich: wie schwer es ist, das profitabel zu gestalten. Dabei glaube ich, es könnte gewisse Vorteile bringen, den industriellen Prozess für Wiederaufarbeitung, Second Life und zum Schluss auch Recycling zu übernehmen. Wir machen das auch aus Verantwortung – für unsere Produkte und darüber hinaus.
Zur Person
Wayne Anthony Griffiths,1966 in der Nähe von Manchester, UK, geboren, startete seine berufliche Karriere im familieneigenen Autohaus, studierte Management und Deutsch in Leeds und kam 1989 zu Audi nach Deutschland. Er leitete ab 2005 den Vertrieb in den europäischen Exportmärkten und ab 2013 den Deutschland-Vertrieb. 2016 wurde Griffiths zum Vorstand für Vertrieb und Marketing von Seat ernannt. Seit Oktober 2020 ist er CEO von Seat und Cupra.
Interview aus trend. PREMIUM vom 25.8.2023