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"Alma" an der Volksoper: Das Almagam eines Lebens

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Wer im Glashaus sitzt... "Alma" an der Wiener Volksoper
©APA/APA/Volksoper/Barbara Pálffy
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Alma Mahler-Werfel scheint eine jener Persönlichkeiten zu sein, über die alles, oder zumindest mehr als genug, erzählt ist. Der israelischen Komponistin Ella Milch-Sheriff und ihrem Librettisten Ido Ricklin gelingt an der Volksoper Wien jedoch, einen frischen Blick auf die legendäre Femme fatale des Fin de Siècle zu werfen. "Alma" feierte Samstagabend die umjubelte Uraufführung - und was wäre passender für den Nationalfeiertag als eine Oper über eine der nationalen Ikonen?

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Das Stück wählt dabei den ungewohnten Ansatz, Alma (gebürtige Schindler) nicht wie gewöhnlich über ihre Männer, sondern ihre Kinder zu erzählen. Schließlich starben drei noch im Kindesalter oder als Teenager, eines ließ sie abtreiben. MArtin, MAnon, MAria: Lediglich jenes der Kinder, dessen Namensanfangsbuchstaben sich nicht zu "Mama" formen lassen, erreicht das Erwachsenenalter - auch wenn "Anna" sich immerhin auf Mama reimt. Anna Mahler wurde später Bildhauerin und fungiert im Stück als Dialogpartnerin der Mutter.

Der anfängliche Konflikt zweier Frauen verläuft sich jedoch im Fortgang des Alma-Lebens, das Milch-Sheriff und Ricklin rückwärts erzählen. A Show Biz an den Anfang gleichsam. Zu Beginn steht die von Antisemitismus verbitterte, gealterte Alma in ihren Sympathien für die Nazis. Von hier aus geht es zurück durch die Jahrzehnte, in denen sie Mahler mit Gropius betrügt, Gropius mit Kokoschka, Gropius mit Werfel.

Regisseurin Ruth Brauer-Kvam, die sich zuletzt mit "Luziwuzi" einem weiteren Proponenten des ausgehenden Habsburger-Reiches gewidmet hatte, positioniert die Bioper in Anna Mahlers Atelier. Dieses ist als Hybrid aus Glashaus und Geisterbahn mit Schienen ausgestattet, auf denen Fahrwerke die Geister der Vergangenheit auf die Bühne bringen. Ein ausgehöhlter Flügel dient als Bett wie als Spiegelbild für unerfüllte Träume vom Dasein als Komponistin. Der mit Totenkopf versehene Fahrkorb einer Geisterbahn bringt die toten Kinder zurück auf die Spielfläche.

Dabei scheut die Inszenierung auch nicht Derbheiten, geht schonungslos mit ihrer Titelfigur ins Gericht, wenn diese etwa einen Pas de deux mit dem abgetriebenen Kind (Hila Baggio) von Kokoschka tanzt, noch immer mit der Nabelschnur verbunden. Oder wenn sie so harten Sex mit Werfel auf dem Flügel hat, dass es zur Frühgeburt des behinderten Sohnes Martin kommt. Die klischeeumwobene Alma ist hier weniger die Muse großer Männer denn eine männerverschlingende, getriebene Megäre.

Mit dem Alma-Gütesiegel der Paradebesetzung für diese Furie ausgestattet ist Annette Dasch, die im fleischfarbenen Ganzkörperanzug über den Abend hinweg von der reifen Frau zur jungen mutiert. Sie dominiert die Szenerie mit ihrer Präsenz und lässt etwa Annelie Sophie Müller als Tochter Anna primär die Rolle des Conférenciers, aber weniger Raum zu glänzen. Ein kleines Spotlight setzt neben Dasch hingegen Lauren Urquhart als Tochter Manon mit schnörkelloser, lyrischer Höhe, während Bühnentier Martin Winkler als manischer Kokoschka die Sau rauslassen darf. Timothy Fallon als Werfel und Josef Wagner als Mahler dürfen da stückimmanent nicht wesentlich mehr als Stichwortgeber sein, während Gropius gleich ganz stumm bleibt und mit dem Tänzer Florian Hurler besetzt ist.

Die Emotionalität findet sich überhaupt weniger in den Gesangslinien als in der Musik. Milch-Sheriffs Partitur ist energiegetrieben, emotionaler als viele zeitgenössische Arbeiten, ohne auf Textverständlichkeit zu verzichten. Mal werden Walzer, mal die Kaiserhymne und am Ende auch Mahler und Bach absorbiert und moduliert. Es erwächst eine vielgestaltige Musik, die unter dem straffen Zügel des einstigen Volksopern-Musikdirektors Omer Meir Wellber im Graben stilistisch dennoch nicht auseinanderfällt, sondern eine einfühlsame Tonalität für die einzelnen Szenen findet.

Einzig zum Ende hin kann "Alma" gewisse Längen nicht leugnen, Milch-Sheriff und Ricklin scheinen, nicht zum finalen Punkt kommen zu können. Die Gründe für die friktionssatte Alma-Vita werden in psychoanalytischer Zuspitzung im von Mahler verlangten Komponierverzicht der jungen Tonsetzerin vor Eintritt in die Ehe gesehen. Eigentlich seien Almas Lieder ihre eigentlichen Kinder, so die These. Unterdrückte Kreativität als Ausgangspunkt für die spätere Malaise. Die Sublimierung der Frustration durch verhinderte Künstler ist ja bekanntlich gefährlich. Immerhin hat Alma keinen Völkermord und Weltkrieg vom Zaun gebrochen - aber genügend Stoff für einen spannenden, lohnenden Musiktheaterabend geliefert.

(Von Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Alma" von Ella Milch-Sheriff/Ido Ricklin an der Volksoper, Währinger Gürtel 78, 1090 Wien. Dirigent: Omer Meir Wellber, Regie: Ruth Brauer-Kvam, Bühnenbild: Falko Herold, Kostüme: Alfred Mayerhofer, Licht: Alex Brok. Mit Alma Mahler-Gropius-Werfel - Annette Dasch, Anna Mahler - Annelie Sophie Müller, Manon - Lauren Urquhart, Martin - Christopher Ainslie, Das Ungeborene - Hila Baggio, Maria - Victoria Schnut, Franz Werfel - Timothy Fallon, Walter Gropius - Florian Hurler, Oskar Kokoschka - Martin Winkler, Gustav Mahler - Josef Wagner, Erste Hebamme - Maria Theresia Gruber, Zweite Hebamme - Elisabeth Ebner, Dritte Hebamme - Angela Riefenthaler, Priester - Daniel Pannermayr. Weitere Aufführungen am 31. Oktober sowie am 4., 6. und 9. November. www.volksoper.at/produktion/alma-2024.de.html)

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Volksoper/Barbara Pálffy

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