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Altistin Summers: "Boulez höre ich nicht beim Autofahren"

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Hilary Summer feiert am Mittwoch ihr Staatsoperndebüt
©APA/APA/Hilary Summers/Claire Newman Williams
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Die - in jeder Hinsicht - große Hilary Summers feiert am Mittwoch ihr persönliches Debüt an der Wiener Staatsoper. Die Britin gehört dabei seit mittlerweile Jahrzehnten zu den wichtigsten lyrischen Altistinnen, die im Barock wie der zeitgenössischen Musik herausragende Projekte realisiert hat. Nun ist sie im Haus am Ring mit György Kurtágs Beckett-Adaption "Fin de Partie" als Nell zu erleben - eine Rolle, die sie bereits bei der Uraufführung 2018 an der Scala sang.

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Aus diesem Anlass sprach Hilary Summers mit der APA über die Frage, weshalb sie Pierre Boulez nicht beim Autofahren hört, das Casting mit György Kurtág und den Part einer alten Frau ohne Bein in einer Mülltonne als Lebensrolle.

APA: Bevor wir bei "Fin de Partie" enden, ein kleiner Blick auf Ihre Anfänge. Für Sie war schon als Kind klar, dass es für Ihr Leben keine andere Option gibt, als Sängerin zu werden?

Hilary Summers: Ach, man hat natürlich immer andere Optionen und weiß nie, wie es so läuft im Leben. Aber mich hat es tatsächlich immer zur Bühne gezogen, um mich dort zur Schau zu stellen. Da ging es mir gar nicht so sehr darum zu singen - ich wollte einfach beklatscht werden. Wurscht wofür. (lacht) In der Schule habe ich dann entdeckt, dass ich tatsächlich eine Begabung für die Musik habe. Allerdings habe ich nie gedacht (wechselt in affektiertes Diventimbre): "Oh, ich muss Opernsängerin werden!" Wenn ich ehrlich sein soll: Die Oper war nie meine größte Liebe. Ich habe das nie als den Höhepunkt einer Laufbahn begriffen. Aber es war die perfekte Kombination aus wunderschöner Musik und Applaus bekommen. (lacht)

APA: Die großen Parts der Romantik waren dabei aber nie Ihr Steckenpferd...

Summers: Meine Stimme hat sich nie in eine Richtung entwickelt, dass ich die großen, schweren Rollen der Romantik hätte singen können. Aber das war auch nie so ganz meine Musik. Das heißt nicht, dass ich Puccini nicht mögen würde. Aber ich möchte ihn nicht singen. Hinzu kommt, dass ich 1,90 Meter groß bin! Ich bin größer als der Tenor - keine Chance, dass mir da jemand ein Angebot für solch eine Rolle gemacht hätte. (lacht) Aber ich heule hier nicht rum, ich bin total glücklich mit den wunderschönen Rollen, die ich gesungen habe. Ich liebe den Barock und seine Mischung aus Kontrolle und Freiheit. Und es hat auch zu meinem Körper gepasst. Dass ich so groß bin, hat perfekt zu den Hosenrollen bei Händel gepasst. Und auf der anderen Seite habe ich schon am College zeitgenössische Musik gesungen. Das ist die Kunst, die hier und heute passiert mit Texten, die aus unserer Zeit sprechen. Wer, wenn nicht wir, sollte das machen?! Klar ist das Ganze oft schwierig, aber ich liebe Herausforderungen.

APA: Abseits Ihrer Operneinsätze machen Sie ja auch stets viele konzertante Projekte...

Summers: Stimmt, auch wenn das mittlerweile eher ungewöhnlich ist. Im vergangenen Jahrhundert war das noch normal, dass man sein Leben mit Oratorien bestreiten konnte, aber heutzutage fühle ich mich privilegiert, dass ich die Balance zwischen Oper und Konzert halten kann. Ich bin einfach auch gerne daheim! Da fragen einen Kollegen: "Wohin geht es als nächstes?" Und wenn ich dann sage: "Gott sei Dank nach Hause", schauen sie einen an und sagen: "Ui, deine Karriere ist aber auch am Sand." Im Gegenteil, aber ich will nicht von einem Auftritt zum nächsten durch die Welt rasen und mein Haus, meinen Mann und meinen Hund nie sehen!

APA: Zumindest Hund und Mann könnten Sie doch mitnehmen?

Summers: Nein! Der muss arbeiten. Also der Mann, nicht der Hund... Und mit meinem Hund reisen, ist ein Albtraum. Der ist eine Furie! (lacht)

APA: Sie gehören zu den wenigen Altstimmen, für die Komponisten Rollen geschrieben haben. Wie wickeln Sie Tonsetzer um den Finger?

Summers: Meine erste große Oper war "What next?" von Elliot Carter unter Daniel Barenboim. Mein Part hat extreme Höhe und extreme Tiefe verlangt - was mir als lyrischem Alt entgegenkommt. Das hat sich irgendwie rumgesprochen - auch zu Komponisten. So ist Pierre Boulez auf mich aufmerksam geworden, was weitere Künstler und tolle Projekte nach sich gezogen hat.

APA: Dabei haben Sie eng mit so unterschiedlichen Komponisten wie Pierre Boulez oder Michael Nyman kooperiert...

Summers: Das stimmt - unterschiedlichere Komponisten als die beiden kann man wohl kaum finden! Boulez war so gegen den Minimalismus, den Michael vertritt. Das war und ist eine Haltung, die man in der traditionellen Klassik mit ihrem Snobismus leider immer noch oft antrifft. Aber ich liiieeebe die Musik von Michael Nyman! Ich habe mich nie so sehr wie ein Rockstar gefühlt, als wenn ich seine Sachen gesungen habe.

APA: Können Sie für sich selbst definieren, was Sie an Musik reizt?

Summers: Das sind verschiedene Formen der Liebe. An Boulez liebe ich die Intelligenz, die Schnörkellosigkeit, die Makellosigkeit. Aber Boulez höre ich nicht beim Autofahren. Da höre ich Nyman! Seine Arbeiten gehen ganz tief, sind unheimlich aufregend. Wenn der Notenschlüssel wechselt, sich alles beschleunigt, das ist ein Erlebnis! Auch wenn ich seine konzertanten Werke den Opern gegenüber bevorzuge, ist er doch eine der markantesten Stimmen in der zeitgenössischen Musik. Man hört etwas und weiß sofort: Das ist Nyman. Oder zumindest jemand, der ihn kopiert. Ich habe praktisch jede CD, die je von ihm veröffentlicht wurde.

APA: Man kann also sagen, dass Sie nie mit Ihrem Stimmfach gehadert haben? Schließlich ist der Alt ja meistens der oder die Böse?

Summers: Keinen Tag! Jeder Sänger wird Ihnen sagen, dass die Bösen immer die besten Rollen sind! Nehmen Sie "Fin de Partie". Da hat mich mein Agent damals angerufen und gesagt: "Ich weiß jetzt nicht, ob dich die Rolle interessiert... Es ist eine uralte Frau, die in einem Mülleimer lebt und keine Beine hat." Und ich habe nur gemeint: "Unterschreibe. Das ist meine Lebensrolle!" (lacht)

APA: Und dann hatten Sie die Rolle für die Uraufführung an der Scala in der Tasche...

Summers: (lacht) Nicht direkt. Es hieß dann, dass der Assistent von György Kurtág zunächst mit mir arbeiten wolle, eine Aufnahme machen und diese zu ihm nach Budapest schicken werde. Und ich dachte mir: "Was soll's?! Ich will die Rolle unbedingt haben, also mache ich das." Als Reaktion kam dann zurück: "Das hat Potenzial. Aber sie singt es, als wäre es Boulez!" Was sollte denn das heißen?! Ich habe das gesungen, was im Notenmaterial stand. Ich bin keine Gedankenleserin! Ich und drei andere Finalistinnen sind dann nach Ungarn zur Endrunde geladen worden. Das war ein Casting wie für die Miss World! Ich habe die Rolle bekommen, aber wir vier Sänger mussten über die folgenden drei Jahre regelmäßig nach Budapest, um an den Parts zu arbeiten.

APA: Die Inszenierung von Herbert Fritsch als Meister des Bühnen-Nonsense wird vermutlich deutlich anders ausfallen als die sehr düstere, statische von Pierre Audi bei der Uraufführung in Mailand...

Summers: Ja, die Inszenierungen sind völlig unterschiedlich, aber diese Produktion wird das Publikum viel mehr bei der Stange halten. Audis Interpretation war sehr ernst, herzzerreißend, dunkel. Kurtág hat viel vom Humor Becketts beiseite gelassen. Da sind vielleicht noch drei Scherze übrig geblieben. Aber bei Fritsch passieren die ganze Zeit umwerfend komische Dinge auf der Bühne! Das ist eine Clownkomödie.

APA: Kurtág setzt mit wenigen Ausnahmen bei "Fin de Partie" eher auf begleitete Rezitative, die sich auf die Sprachmelodie konzentrieren, denn lyrische Passagen. Ist das herausfordernder für Sie als Sängerin oder leichter?

Summers: Man bekommt tatsächlich ein tieferes Verständnis der französischen Sprache. Wann immer man von einem Rhythmus irritiert ist, muss man sich der gesprochenen Sprache besinnen, dann macht es Sinn. Ich will nicht behaupten, dass mein Part keine Herausforderung ist. Aber ich singe den nun seit neun Jahren. Wenn ich den immer noch nicht könnte, wäre mir wirklich nicht mehr zu helfen!

APA: Sie feiern mit der Premiere Ihr persönliches Debüt an der Wiener Staatsoper. Wieso kommt das so spät?

Summers: Ich bin jetzt mal überhaupt nicht bescheiden: Ich weiß, dass ich die Dinge, die ich singe, gut mache. Aber es gibt vieles, das andere Leute besser machen. Und das trifft auf einen guten Teil des Repertoires zu, das an der Staatsoper gemacht wird. Außerdem bin ich jetzt zu alt, um die jungen Charaktere zu singen. Deshalb ist ja die Rolle einer uralten Frau ohne Beine in einem Mülleimer das große Los. Die kann ich noch die nächsten 15 Jahre singen! (lacht)

(Das Gespräch führte Martin Fichter-Wöß/APA)

(S E R V I C E - "Fin de Partie" von György Kurtág nach Samuel Beckett an der Staatsoper, Opernring 2, 1010 Wien. Musikalische Leitung: Simone Young, Inszenierung/Bühne/Kostüme: Herbert Fritsch, Licht: Friedrich Rom. Mit Nagg - Charles Workman, Nell - Hilary Summers, Hamm - Philippe Sly und Clov - Georg Nigl. Premiere am 16. Oktober, weitere Aufführungen am 19., 22., 25. und 29. Oktober. https://kalender.wiener-staatsoper.at/kalender/detail/fin-de-partie/ ; https://hilarysummers.com/)

WIEN - ÖSTERREICH: FOTO: APA/APA/Hilary Summers/Claire Newman Williams

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